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Zärtliche Zicken. Anita Berber (Sophia Euskirchen) und Marlene Dietrich (Nina Janke) belagert von der Journaille.

© Christian Kleiner

Revue "Berlin Berlin" im Admiralspalast: Der Dietrich ihr Milljöh

Die neueste Blüte des Zwanzigerjahre-Hypes: die Jukebox-Revue „Berlin Berlin“ im Admiralspalast vereint Jazzstandards, Musicalnummern und Berliner Schlager.

Schön ist das, den Admiralspalast so im Uraufführungsglanz zu sehen. Das dürfte in dem von Mehr-BB-Entertainment betriebenen Haus gern häufiger geschehen. Mit rotem Teppich im Hofdurchgang, Goldflitter-Projektion an der Fassade, Mini-Brassband im Hof und einem Zeitungsburschen in Knickerbockern, der an der Friedrichstraße ein Extrablatt verteilt und die Show „Berlin Berlin“ vollmundig als Sensation anpreist.

So willkommen geheißen, darf der vorläufige Höhepunkt des Zwanziger-Hypes am Beginn der Zwanziger des 21. Jahrhunderts kommen. Für 2020 ist von der Ausstrahlung der neuen Staffel von „Babylon Berlin“ über Musikprogramme bis zu Ausstellungen allerlei annonciert. Die Idee von Mehr-BB-Entertainment, mit einer anschließend auf Tournee gehenden Produktion an die Tradition des Admiralspalastes anzuknüpfen, fügt sich nahtlos in die Never-Ending-Retrowelle ein. Ab 1923 hat Hermann Haller den Vergnügungstempel mit Ausstattungsrevuen bespielt, die „Drunter und Drüber“, „An und Aus“ oder „Schön und Schick“ hießen.

Das Publikum treibt mehr Glamour als das Bühnenbild

Schick sehen übrigens auch die vielen im Charleston- und Swingstil gekleideten Premierengäste aus. Sie treiben deutlich mehr Glamour als das mit wackeligen Showtreppen, Barmöbeln und etwas Glühbirnen-, Projektions- und Art-déco- Zierrat sparsam ausstaffierte Bühnenbild. Die achtköpfige Showband musiziert auf der Hinterbühne. Davor spielt sich der von einem Conférencier namens „Admiral“ (Martin Bermoser) moderierte Nachtclubabend ab.

Als Auftakt schmettert er Irving Berlins „Puttin on the Ritz“, einen von vielen in jazzigem Stil dargebotenen Standards. Nummern wie „Just a Gigolo“, „Ain’t Missbehavin’“ und „It Don’t Mean a Thing“ sind aber eher Broadway als Berlin. „Bei mir biste scheen“ ist dann die erste deutschsprachige Nummer. Und noch vor Marlene Dietrich (Nina Janke) und Josephine Baker (Dominique Jackson), tritt Skandaltänzerin Anita Berber als berühmte Zeitgenossin auf.

Ihre Darstellerin, Sophia Euskirchen, ist in Berlin aus den Musicals „Grimm“ und „Cabaret“ wohlbekannt und brilliert als beste Sängerin. Umso nerviger, dass Regisseur und Autor Christoph Biermeier eine Knallcharge aus dem koksenden Bürgerschreck macht. Prompt hat die Berber nichts Besseres zu tun, als einen Zickenkrieg mit der Dietrich anzufangen. Was aber auch nicht erklärt, warum die 1928 verstorbene Exzentrikerin dann auch noch Cab Calloways erst 1931 erschienenen Klassiker „Minnie the Moocher“ intoniert.

Roaring Admiralspalast. Das Ensemble von "Berlin Berlin" in Aktion.
Roaring Admiralspalast. Das Ensemble von "Berlin Berlin" in Aktion.

© Christian Kleiner

Historische Haarspaltereien stören bei einer Jukebox-Revue auch nur. Deren einziges Sinnen und Trachten ist, möglichst viele Hits unterzubringen. Und das im Gegensatz zu Jukebox-Musicals wie „Mamma Mia“ und „Ich war noch niemals in New York“ ohne originelle Geschichte.

Also quasseln sich der Admiral und sein auf Icke-dette-kieke-mal-Appeal abonnierter Sidekick Kutte („Wie Nutte, nur mit K“) krampfhaft von einem Song zum nächsten. Und wenn dabei das Wort „Money“ fällt, hört man überlaut trapsen, dass keine fünf Minuten später „Money Makes the World Go Round“ aus „Cabaret“ erklingt.

["Berlin Berlin läuft bis zum 5. Januar im Admiralspalast, Tickets ab 32,50 Euro, Kartentelefon 01806/101011, Infos: www.berlinberlin-show.com]
Dass die Grundanlage der choreografisch und musikalisch streckenweise soliden, aber sinnfreien Plastik-Show nicht stimmt, wird nach der Pause noch deutlicher. Da folgt auf ein heiteres Potpourri mit Songs der Comedian Harmonists quasi übergangslos ein krachledernes Best-of aus Ralph Benatzkys Operette „Im Weißen Rössl“. Soll das jetzt der Musikkomödienblock des Jahres 1930 sein?

Je weiter der Abend fortschreitet, desto mehr wähnt man sich in „Cabaret“. Auch da löscht die repressive Kälte des Nationalsozialismus den fiebrigen Vergnügungstaumel der Weltkriegszwischenzeit aus. Von der Berber, der Dietrich und der ganzen Truppe bleiben nur Silhouetten, die hinter einer Hakenkreuzfahne die wehmütige Exilanten-Hymne „Irgendwo auf der Welt“ singen. Musikalische Denkmäler sehen anders aus.

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