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Gestatten: die Digitalität. Jacob Keller als Herr Kwant in "Die Mitwisser" von Philipp Löhle.

© Thomas M. Jauk

Premiere in der Reithalle: Das Dauerlächeln der Digitalität

„Die Mitwisser“ von Philipp Löhle sollte vor anderthalb Jahren in Potsdam Premiere haben, dann kam der Lockdown. Jetzt war soweit. Ein Stück über Segen und Fluch des Internets.  

Potsdam - Erinnern Sie sich, wie das war, ohne Google, GPS, Wikipedia? Ja? Dann wissen Sie, von welchem aus heutiger Sicht unfassbaren Urzustand das Stück „Die Mitwisser“ spricht. Wenn nicht, dann vermittelt es eine Ahnung, wie schlimm das war. Und wie herrlich, als es anders wurde. Oder war es andersrum?

Der Autor Philipp Löhle entwirft in dem 2018 geschriebenen Stück eine vordigitale Welt. Die Potsdamer Premiere war für März 2020 geplant, es kam der Lockdown, im Mai wurde „Die Mitwisser“ online gezeigt. Am Samstag wurde das Stück in der Reithalle des Hans Otto Theaters aufgeführt. 

„Vordigital“, das ruft deutlich bereits die Ausstattung von Harm Naaijer (Bühne) und Alin Pilan (Kostüme): vom Hemdkragen des Theo Glass (Arne Lenk) bis zum Strumpf der Anna Glass (Alina Wolff), alles hat nostalgische Sepiatöne. Die Digitalisierung steht hier eines Tags in Form des dauerlächelnden Herrn Kwant (schauerlich freundlich: Jacob Keller) im Raum. Und schon dessen lila Polyesterpuschen sind eine Revolution. 

Das Staunen über „das Internet“ 

Mehr noch: Herr Kwant weiß alles, macht alles – und kostet: nichts, erstmal. Theos unbändige, kindliche Freude über die jederzeit bereitwillig ausgespuckten Informationen ist darstellerisch mitreißend und denkwürdig: Ja, so dürfte das Staunen über „das Internet“ sich angefühlt haben. Herr Kwant hilft Theo bei der Selbstoptimierung, verwaltet seine Kreditarte, begleitet ihn aufs Klo (als Vorleser) und auch ins Schlafzimmer (Schlafphasenüberwachung). Theo arbeitet beim „Internationalen Institut für allgemeines Wissen“. Klar, Herr Kwant macht bald auch diese Arbeit. 

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Und Theo? Wird überflüssig. Das bekehrt ihn, aber da hat seine Frau schon einen eigenen Herrn Kwant, und der zeigt ihr: Die Übereinstimmungsrate des Ehepaares liegt bei 11 Prozent. Zu wenig. Theo verwahrlost, der Rest wird bunt. Immer mehr Kwants tauchen auf, hip, dauerlächelnd, gnadenlos. Annas Blumenladenlogo trägt am Ende die Farben von Google.

Der Furor versteckt sich in den Songs

Regisseur Marc Becker („Viel gut essen“) lässt „Die Mitwisser“ musikalisch und unterhaltsam herunterschnurren, zur Ukulele gesungene Songs geben zwischen den kurzen Szenen den Rhythmus vor: Der „Grotesksong“ der Ärzte, Dylans „Times they are a changing“, „Macht kaputt was euch kaputt macht“ von Ton Steine Scherben. In diesen Songs versteckt sich, sanft vorgetragen, der Furor, der dem Text fehlt. Oder woran liegt es sonst, dass „Die Mitwisser“ letztlich nicht zusammenzucken, sondern nur bestätigend nicken lässt? Erstaunlich wenig, angesichts des Smartphones in der eigenen Tasche. 

„Die Mitwisser“, wieder am 28. und 29. August um 19.30 Uhr in der Reithalle

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