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Den Glauben an sich nicht verlieren. Marianna Linden muss das Hans Otto Theater im Sommer nach acht Jahren verlassen. Sie wäre gern geblieben. Aus Potsdam wird sie nicht weggehen. Hier hat die Familie begonnen, Wurzeln zu schlagen.

© Ronny Budweth

Premiere am Hans Otto Theater Potsdam: Eine Schauspielerin unter Druck

Marianna Linden freut sich auf ihre Rolle in „Heilig Abend“ von Daniel Kehlmann. Im Sommer wird sie noch einmal in "Effi Briest" zu sehen sein, nach der Saison muss sie das Hans Otto Theater verlassen – ein Verlust für Potsdam.

Potsdam - Wenn Marianna Linden heute vor den Premierenvorhang tritt, spielt der Abschied mit. Sie, die sich als Medea unter die Haut des Publikums tanzte, die in so zahlreichen Tragödien und Komödien mit der ihr eigenen stillen Kraft auftrumpfte, muss gehen. Warum? Diese Frage wühlt sie auf. Auch wenn sie weiß, dass am Theater nichts von Dauer ist, Neue ihre eigene Mannschaft mitbringen, es ein Alter gibt, für das es weniger Rollenfutter gibt. Oder es einfach heißt: „Ihr Typ ist schon besetzt.“ Dennoch bleibt dieses Warum. Dieser leise Zweifel an sich selbst. Dabei wandelte Marianna Linden rollensicher zwischen Mütterlichkeit und junggebliebenem Aufbegehren, zwischen Strenge und untergründiger Verletzlichkeit. Sie hat diese Ausstrahlung und Persönlichkeit, die noch immer für Überraschung sorgt, die nicht festgefahren oder vorhersehbar ist. Diese Facetten reichten offensichtlich nicht aus, um in den zehnköpfigen Kreis der Auserwählten zu kommen, die unter der neuen Intendantin weiterspielen dürfen. Ein Gespräch über das genaue Warum und Weshalb gab es nicht. „Vielleicht ist das auch gut so.“

Seit einem Jahr weiß die gebürtige Hallenserin um ihren Ausstieg: „Da ist man manchmal auch schon müde.“ Trotzdem spielt sie unverdrossen weiter. Große Rollen. So wie jetzt in dem Thriller von Daniel Kehlmann, „Heilig Abend“, „ein Stück für zwei Schauspieler und eine Uhr“, in dem sie als die Philosophieprofessorin Judith unter Verdacht steht, einen Anschlag geplant zu haben. Die ganze Stadt ist in Alarmbereitschaft. Der Verhörer und die Verhörte belauern sich wie Katz und Maus. Keiner weiß, inwieweit er dem anderen trauen kann. Doch die Zeit drängt.

Marianna Linden versteckt ihre Ängste nicht

So wie auch bei ihr, bei Marianna Linden ganz privat. Was wird nach dem Sommer, wenn „Effi Briest“, ihre letzte Produktion am Hans Otto Theater, abgelaufen ist? Die Schauspielerin versteckt ihre Ängste nicht hinter gespielten Gesten. Sie erzählt, dass sie das gründliche Umschauen erstmal vertagt hat. Ja, es gab ein erstes Nachfragen beim Synchronstudio in Babelsberg, wo man ihr durchaus freundlich gegenüberstand. Auch wenn sie, völlig aus der digitalen Zeit gefallen, mit einer CD ankam. Aber natürlich weiß sie auch um das große Heer freischaffender, stets arbeitssuchender Schauspieler im Berliner Raum. Dennoch will sie in Potsdam bleiben. „Für uns als Familie ist diese Stadt noch nicht abgeschlossen. Die Kinder lieben den Neuen Garten, den Elefantenbaum. Die Große ist gerade in die Schule gekommen. Mein Mann hat in der Panzerhalle Groß Glienicke sein Atelier. Ein Lottogewinn wäre jetzt nicht schlecht, um eine Besinnungszeit zu nehmen.“ Sie will sich an anderen Theatern umschauen, beim Radio, vielleicht auch beim Fernsehen, wo es wohl auf Krimis hinauslaufen würde. „Vielleicht kann ich mich nochmal neu erfinden. Das sage ich heute. Keine Ahnung, wie es im halben Jahr aussieht.“

Vor acht Jahren kam sie frisch aus ihrer ersten Babyzeit vom Dresdner Theater hierher. Ihr zweites Kind wurde in Potsdam geboren. Der Mann, freiberuflicher Maler, betreute die Kinder, wenn sie krank wurden. Marianna Linden konnte arbeiten gehen, ins Theater, „der Zeit- und Kräfteschleuder“. Wir sahen sie als Alkmene in Kleists „Amphitryon“. „In Feinripp-Wäsche im Schlosstheater, unter der noch mein Schwangerschaftsspeck zu sehen war“, erinnert sie sich zurück und muss lachen. Und wie spannend es war, als sie für den „Abend über Potsdam“, in dem sie die Malerin Lotte Laserstein spielte, ins Depot der Neuen Nationalgalerie fuhren, sich zwischen den Kunstwerken der 20er- und 30er- Jahre umsehen durften. „Dort, wo keiner sonst hinkommt.“ Die Erinnerungen fallen aus ihr heraus und ihr warmes Strahlen berührt. Von dieser Mascha in Tschechows „Drei Schwestern“, mit der sie ihre Möglichkeiten so meisterlich austarierte, immer das Angreifbarsein mitschwang. Sie war Elizabeth Proctor in Arthur Millers „Hexenjagd“, spielte in den Literaturbearbeitungen von Tobias Wellemeyer: im „Turm“, in „Krebsstation“, in „Auferstehung“. „Große Dinge.“ Und wie oft sprach sie Sätze von Schiller und Goethe, „so viele kluge Gedanken, in denen es um die Verteidigung der Schwachen geht, um Menschlichkeit“.

"Heilig Abend" wollte sie unbedingt machen

Sie fühlt sich gerade jetzt als Schauspielerin mehr denn je aufgefordert, Positionen auf die Bühne zu bringen, die in gesellschaftliche Diskurse eingreifen. Für ihre jetzige Rolle las sie Ilija Trojanows und Julie Zehs „Der Angriff auf die Freiheit“, setzte sich damit auseinander, was es mit uns macht, wenn wir täglich von Terror und Gefahr hören.

Marianna Linden steckt mittendrin in der Arbeit, in diese Gedanken drumherum. Sie wollte diesen „Heilig Abend“ unbedingt noch machen, obwohl sie es hätte ablehnen können. Aber dieser Text, den sie schon zum Theaterfest gelesen hatte, interessierte sie. Sechs Vorstellungen wird es nur geben, „ich hoffe, dass sich diese Inszenierung schnell herumspricht, denn es ist ein Stück am Puls der Zeit“. Es geht um das Dilemma zwischen Freiheit und Sicherheit, wo bei Gefahr in Verzug schnell ein rechtsfreier Raum entsteht. Es existiert ein Schreiben, von dem die Polizei meint, es sei ein Bekennerschreiben, die Professorin Judith aber sagt, es sei ein theoretischer Text. „Alles ist möglich. Der Mensch bleibt unberechenbar.“

In "Effi Briest" darf sie noch einmal jung sein

Auf diese heutige Premiere folgt am 8. Juni noch das Sommertheater mit „Effi Briest“ und mit Marianna Linden als Freundin von Effi. Ja, so jung darf sie auch noch. „Ich freue mich, nochmal mit den Mädels zu tun zu haben“, mit Meike Finck, mit Denia Nironen, die ebenfalls gehen müssen. Wenn im Mai die Proben beginnen, teilen sich die „Alten“ mit den Neuen die Bühne. „Auch die neuen Kollegen stecken ihr Herzblut in die Arbeit. Natürlich. Und sie werden vom Publikum sicher schnell angenommen“, meint Marianna Linden. Aber es schmerzt, dass sie nicht mehr dabei ist.

In Dresden erlebte sie es schon mal, dass ihr gekündigt wurde. Nach zwölf Jahren. Und es ging weiter. „Allerdings war ich damals um einiges jünger. Dennoch muss man sich selber hochhalten und nicht den Glauben an sich verlieren. Ich fühle mich mit Anfang 40 noch nicht vertrocknet, sondern eher neugierig und frisch.“

Wenn man Marianna Linden künftig mit dem Rad durch Potsdam fahren sieht, wird man sich an sie erinnern: an ihre Medea, an ihre Mascha, vielleicht auch an ihre Judith. Und vielleicht sehen wir sie irgendwann wieder auf der Bühne: in ihrem geerdeten Tanz der Leidenschaft.

Premiere am heutigen Donnerstag, 19.30 Uhr, Reithalle, Schiffbauergasse

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