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Jacob Keller als das Schaf Kalle in "Wolf sein" am Hans Otto Theater.

© Thomas M. Jauk

Potsdamer Theaterstück für Kinder ab sechs: Schaf im Wolfspelz

Vom Schaf, das kein Herdentier mehr sein wollte: Mit dem Kinderstück „Wolf sein“ rüttelt das Hans Otto Theater unterhaltsam am Märchenkanon und seinen Rollenbildern.

Potsdam - Stellen wir uns vor, wir wären Schafe auf einer Wiese. Gras, ein Blöken in Richtung Nachbar, dann wieder Gras. Dann die Nachricht: Der Wolf ist tot! Sie würde uns in Ekstase versetzen. Zu toppen wäre diese Ekstase nur durch die Aussicht, einmal selbst dieser Wolf zu sein. Einmal der sein, der draußen im Wald jagt, statt sich hinterm Zaun vor ihm zu fürchten. Einmal Pause machen vom Warten auf das Hammelkeulewerden.

„Wolf sein“, so heißt vielsagend das Stück von Bettina Wegenast, das das Hans Otto Theater auf der Großen Bühne für Kinder ab sechs zeigt. Das Schaf, das hierin die Chance seines Lebens bekommt, heißt Kalle (Jacob Keller). Kalle ist der in der Herde, der nicht mehr Herdentier sein will, kein „Glockenträger“, nicht den Anordnungen des Streberschafs folgen. Als Kalle sieht, dass ein Nachfolger für den toten Wolf gesucht wird, greift er zu. „Mal was anderes.“

Ein Job wie jeder andere

Ja, in diesem Stück ist „Wolf“ ein Job wie jeder andere. Einer muss ihn eben machen, das wird immer wieder betont, darin ist „Wolf sein“ durchaus postmärchenhaft. Die Guten und die Bösen: alles nur Rollen, die vergeben werden müssen – keiner hat den „bösen Wolf“ selbst je gesehen, höchstens mal fast. Vergeben werden die Jobs von einem bürokratisch verkniffenen Zwerg (Anja Willutzki) hinter riesenhaftem Schreibtisch, der mit schwierigen Erwachsenenwörtern nur so um sich wirft. Management, Firmenphilosophie, B.V.S-Methode, so in der Art.

Das erzählt für begleitende Erwachsene am Rande viel über die heutige Arbeitswelt und die Probleme „der Großen“, und es hinterfragt natürlich auch, wie realitätskompatibel das Märchengenre überhaupt noch ist. Vor posttheatralem Meta-Kindertheater muss sich bei der Regie von Michael Böhnisch allerdings niemand fürchten. Im Vordergrund stehen konkrete Figuren und Konflikte, um die das Herdentier Mensch nicht herumkommt – am wenigsten vielleicht jene im schulfähigen Alter, von denen ständig verlangt wird, dass sie auf das hören, was der Schäfer oder seine Stellvertreterin sagt. 

Humor, Melodiebögen, Schauereffekte

Jacob Keller, in dem Stück "Die Mitwisser" bereits von beindruckend furchteinflößender Freundlichkeit, gibt das Schaf Kalle mit entzückend hintergründiger Hingabe: Zunächst blökt Kalle noch, als er wie ein Wolf heulen soll (Lachsalven aus dem Publikum) – später wird er so sehr in seiner Wolfsrolle aufgehen, dass er ein Schaf verschlingt (Stille im Publikum). 

„Wolf sein“ ermutigt zum Überwinden des Gartenzauns, zum vielgepriesenen, aber deswegen nicht minder nötigen Perspektivwechsel, den es braucht, um andere nicht als per se gut oder böse, streberhaft oder dumm abzustempeln. Die Inszenierung macht das mit viel Humor, mit großen Melodiebögen und einer genregerechten Lust an Schauereffekten: ein blutroter Mond überstrahlt die Gruselszenen, eine goldgelbe Sonne das versöhnliche Ende, darin bleibt „Wolf sein“ dem Märchenmodus treu. 

Die B.V.S.-Methode aber kommt nicht zum Einsatz. Statt mit einem Bauch voller Steine erwacht der Schafswolf hier mit einer Glocke, die bei jeder Bewegung anschlägt. So viel Pädagogik muss dann offenbar doch sein. 

Karten gibt es wieder für den 24.10. im Hans Otto Theater. Für Kinder ab 6.

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