zum Hauptinhalt
Oskar Schlemmers Triadisches Ballett kommt während der Tanztage in Potsdam zur Aufführung.

© promo/Wilfried Hösl

Potsdamer Tanztage: „Sie sahen die Robotisierung voraus“

Festivalleiter Sven Till spricht im PNN-Interview über die Potsdamer Tanztage, die sich dem Bauhaus und den Visionen im Tanz zuwenden.

Von Helena Davenport

Herr Till, die Potsdamer Tanztage widmen sich in diesem Jahr auch dem Bauhaus-Jubiläum. Inwiefern hat das Bauhaus den Tanz revolutioniert?
 

Der Künstler, der sofort mit Tanz und Theaterexperimenten am Bauhaus in Verbindung gebracht wird, ist Oskar Schlemmer – sowohl über eigene Werke wie das Triadische Ballett, das in unserem Programm wiederzufinden ist, als auch über kleinere Formate, wie Stabtänze oder Reifentänze. Er hat das Verhältnis von Körper und Raum in Weimar und Dessau untersucht und Impulse weit über die 1920er hinaus gegeben. Wir haben einige Choreografen mit im Programm, die sich direkt auf Schlemmer beziehen. Darunter ist die Brasilianerin Lia Rodrigues, die mit „Formas Breves“ eine Hommage an Oskar Schlemmer erarbeitet hat. Sie transformiert seine Formsprache samt rhythmischer Experimente und Körperveränderungen mithilfe von Alltagsgegenständen in ihre Zeit. Vergleicht man diese beiden Stücke in unserem Programm, das Triadische Ballett und „Formas Breves“, sieht man, welche Verbindungen dadurch entstanden sind, dass die Bauhausideen an verschiedenen Institutionen in den USA fortgeführt wurden.

Welche Ideen sind das?

Es wurden Kompositionsstrukturen für das Verhältnis Raum-Körper entworfen – für architektonische Körper, aber auch für den Menschen, der im Mittelpunkt der Reflexionen stand. Es wurde darüber nachgedacht, wie sich gesellschaftliche Prozesse in Räumen verändern, oder wie die Situation des Menschen sich in gesellschaftlichen Räumen verändert. Es gibt da zum Beispiel das New Bauhaus in Chicago, das von László Moholy-Nagy gegründet wurde. Walter Gropius prägte die Harvard University stark, er führte hier den Grundlagenkurs vom Bauhaus ein. Dann gibt es das Black Mountain College in Colorado, wo verschiedene Bauhaus-Künstler, die aus Deutschland emigrieren mussten, in den Dreißigern und Vierzigern unterrichteten.

Wie wurden die Ideen weiterentwickelt?

John Cage etwa führte am Black Mountain College schon in seiner Studienzeit erste performative Experimente durch, die auf die spätere Performancekunst in den Fünfzigern und Sechzigern verweisen. Erste Happenings entstehen, die das Verhältnis von Performer und Zuschauer neu ausloten. Das Beteiligtsein wird neu definiert. Man möchte das Ganze offener und demokratischer machen.

Wo taucht dieser Gedanke im Programm der Tanztage auf?

Das Gleiche begegnet uns bei Anna Halprin, die ihr Stück „Parades & Changes“ in Potsdam zeigt, eine Rekonstruktion der französischen Choreografin Anne Collod. Auch sie will das Verhältnis zwischen Künstler und Publikum neu bestimmen. In den Fünfzigern gründete sie ihr eigenes Ensemble: das erste, in dem Schwarze und Weiße vereint sind. Das Ensemble experimentiert mit Alltagsgegenständen, agiert zum ersten Mal nackt auf der Bühne. Halprin hat sozusagen das Bauhaus in ein Ensemble übersetzt, indem sie es San Francisco Dancer’s Workshop nennt, also als eine Art Arbeitsraum betrachtet. Sie führt die Experimente von Schlemmer nicht direkt weiter, sondern auf einer philosophischen Ebene – indem sie die klassische Bühnensituation öffnet, unter anderem Performances in den Stadtraum bringt, sich politisch engagiert und Künstler und Publikum in ein demokratisches Verhältnis bringt. Außerdem hat sie später neue choreografische Strukturen entwickelt, sodass es quasi verabredete Punkte gibt, wo die Tänzer sich treffen, aber auch gestalterische Freiräume.

Eröffnet werden die Tanztage mit dem Triadischen Ballett. Was ist, Ihrer Meinung nach, das Besondere an dem Stück?

Es liegt schon im Titel – es ist die Schlemmer’sche Überlegung, einen Dreiklang zu gestalten: aus Raum, Körper, Farbe. Die Kostüme werden fast als skulpturale Elemente eingesetzt, um den Tänzer in bestimmte Räume zu versetzen. Sein Bewegungsrepertoire entwickelt sich aus diesem Zustand. Kostüme werden sozusagen in ihrer Einschränkung Möglichkeitsräume.

Welche Bilder entstehen da?

Das Werk bringt sehr spielerische, sehr leichte und humorvolle Elemente zusammen mit düster und geheimnisvoll anmutenden in kurzen Sequenzen auf die Bühne. Wir sehen Puppenfiguren, die an Jahrmarkt erinnern, utopistische, futuristische, roboterartige oder taucherartige Gestalten. Dann tauchen Soldaten auf, die aus der Antike stammen könnten und vielleicht auf eine Weltkriegsauseinandersetzung hinweisen. Für mich gibt das Stück den emotionalen Zustand der damaligen Gesellschaft wider.

Bei den Tanztagen wird eine Neufassung von Gerhard Bohner auf die Bühne gebracht.

In der Version, die auf dem Festival zu sehen sein wird, spiegelt sich das Potenzial und gleichzeitig die Tragik des Stücks wider. Tragik deswegen, weil es ja nur eine sehr begrenzte Anzahl an Aufführungen in den Zwanzigern und Dreißigern erlebt hat. Die Bauhaus-Schulen wurden geschlossen, die künstlerische Freiheit komplett eingeschränkt. Ab 1933 existierte das Stück eigentlich nur in den Schriften von Oskar Schlemmer weiter, in Form von Zeichnungen und Beschreibungen. Kostüme gab es zum Teil noch im Original.

Inwiefern hat Bohner Schlemmers Stück verändert?

Bohner suchte eine neue kollektive Arbeitsweise, andererseits Impulse für eine Formsprache in einem zeitgenössischen Ballettkontext, und wurde eben fündig bei Schlemmer. Eigentlich ist Bohners Version eine Forschungsreise zu Schlemmers Formen. Seine Version hat weltweit die meisten Aufführungen erlebt. Ivan Liska und seine Partnerin Colleen Scott, die in Potsdam für die Einstudierung zuständig sind, waren beide bei Bohner im Ensemble. Liska wurde dann später als Direktor des Bayerischen Staatsballetts angefragt, seine Version aus den Siebzigern mit dem Junior Ballett München aufzuführen. 2014 entsteht also die Fassung, die wir sehen werden – durch den Antrieb der Bundes-Kulturstiftung Tanzfonds Erbe.

Acht Stücke beziehen sich direkt auf das Bauhaus, fünf Stücke weisen auf die Zukunft von Tanz hin. Sind die 13 Stücke überhaupt voneinander zu trennen?

Es drängte sich quasi auf, den zukunftsweisenden Charakter als verbindende Klammer für das Bauhaus-Programm und das Tanztage-Rahmenprogramm zu benutzen. Denn natürlich ist der Zukunftsgedanke in den Bauhaus-Werken vertreten, die Arbeit mit neuen Technologien, Arbeitsweisen, und die Frage, die gerade bei Schlemmer im Fokus steht: Welche Rolle spielt der menschliche Körper in dem Kontext der neuen Techniken.

Sie sahen die Robotisierung teilweise voraus. Aber nach wie vor ist der menschliche Körper bei Schlemmer der Träger der Bewegung und somit der Bedeutung. Durch diese Abstraktion ergibt sich eine neue Definition von Menschsein in den neuen Arbeitsformen, Technikbeziehungen. Wir sehen das bei Anna Halprin und auch bei dem Stück von Thomas Hauert für junges Publikum, in dem John Cages Musik übrigens eine wichtige Rolle einnimmt. Hier wird ein ganz eigenes Universum um einen Solotänzer herum gestaltet.

Und bei welchem Stück tauchen zum Beispiel neue Technologien auf?

Im Bauhaus-Programm gibt es da ein Stück von Jonas Lopes und Lander Patrick. Ihre erste größere Gruppenproduktion hat hier Deuschlandpremiere. Dort tauchen viele Elemente von Hieronymus Bosch auf – aus seinen irdischen Gärten, aber auch aus den Höllenvisionen. Fünf Performer sind die Protagonisten, und die werden begleitet von kleinen Robotern. Diese Figuren agieren zum Teil autonom. Es gibt auch einen Swimmingpool. Der Jungbrunnen ist also auch vertreten, der erfrischt, kann aber auch zu einem gefährlichen Ort werden. Und es gibt Figuren, die so skurril sind, dass sie sich mechanischer bewegen als die mechanisch funktionierenden Figuren.

Und im Rahmenprogramm, haben dort auch neue Technologien einen Platz?

Hier haben wir einen Künstler aus Singapur, Choy Ka Fai. Er hat drei Jahre lang am Tanzhaus in Düsseldorf geforscht: an Technologien, die Gehirnstrommessungen aufnehmen, und sie übertragen. Weswegen wir sehen können, wie sich emotionale Zustände mit Bewegungen verbinden lassen. Gibt es vielleicht Bewegungsmuster, die wir speziellen Choreografen zuschreiben können? Und kann ich über diese Kategorisierung auch im Live-Verfahren Tänzer lesen und Rückimpulse senden, also Verbesserungsvorschläge? Es klingt erst einmal sehr theoretisch, aber im Kern beschäftigt er sich in ironischer Weise mit Optimierungsvorschlägen und der Frage: Wie groß ist der künstlerische Freiraum? Alles passiert in einer Art Lecture Performance. Choy Ka Fai berichtet selbst über seine Arbeit und interviewt dann einzelne Tänzer, die auf der Bühne sind. Einer ist Paul Duncan, alias Paula Dunker. Der rumänische Künstler wechselt fließend zwischen den Geschlechterrollen. Der zweite Künstler ist Darlane Litaay aus Java, der Maskentänze mit rituellen Tänzen verbindet. Es geht auch um den nicht ganz vorurteilsfreien europäischen Blick auf asiatische Kunst.

Dass Geschlechterrollen gewechselt werden, hat ja in Asien eine lange Tradition.

Das stimmt, was Choy Ka Fai macht, das ist nah dran an einer bestimmten asiatischen Theatertradition. Er bringt sein Publikum öfter in Glatteissituationen, man weiß nicht mehr genau, was real ist und was Phantasie. Und das ist, finde ich, sehr unterhaltsam und kommunikativ. Thomas Hauert hat noch eine weitere Produktion für das Rahmenprogramm mitgebracht: seine Jubiläumsarbeit für das 20. Jahr seiner Company, „How to Proceed“. Es wirft auch Zukunftsfragen auf, aus einer persönlichen Situation heraus. Wo sind wir im Moment in der künstlerischen Positionierung? Stücke wie dieses verweben das Rahmenprogramm mit dem Bauhaus-Programm.

Zur Startseite