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Karen Köhler freut sich sichtlich über den Wistschen "Kleinen Hei".

© Michael Lüder

Potsdamer Preis für "Miroloi": Karen Köhler mit "Kleinem Hei" ausgezeichnet

Karen Köhlers "Miroloi" ist laut dem Potsdamer Literaturladen Wist das interessanteste Buch des Jahres. Berechtigt.

Von Sarah Kugler

Potsdam - Ein Bärenkostüm als Arbeitskleidung. Bei Schauspielern nichts Ungewöhnliches, aber bei einer Schriftstellerin? Karen Köhler kann sich immerhin damit herausreden, dass sie vom Schauspiel kommt und damit eine Verwandlung zu ihrem Kreativprozess dazugehört. Zumindest beim Schreiben ihres Romans "Miroloi" war das der Fall, wie sie am Dienstagabend im Literaturladen Wist erzählte. Ein Bärenkostüm hat sie sich extra dafür bestellt, es auch im Sommer getragen und einmal sogar darin dem Hermesboten die Tür geöffnet. Es hat sich gelohnt: "Miroloi" stand nicht nur auf der Longlist des Deutschen Buchpreises 2019, sondern wurde am Dienstag auch mit dem "Kleinen Hei" ausgezeichnet. Für das interessanteste Buch des Jahres vergibt der Literaturladen diesen Preis bereits seit 17 Jahren, benannt ist er nach Heinrich, dem jüngsten Sohn von Buchhändler Carsten Wist. 

Es ist der erste Preis, mit dem "Miroloi" überhaupt ausgezeichnet wird - unglaublich scheint das, ob der gesellschaftlichen Relevanz, die der Roman mit sich bringt, von seiner Liebe zur Sprache ganz zu schweigen. Erzählt wird von einem nicht näher benannten Dorf am Meer, das ohne moderne Errungenschaften auskommt und patriarchisch von einem Ältestenrat regiert wird. Frauen dürfen weder wählen gehen, noch lesen lernen. Überhaupt ist ihnen der Zugang zu jeglicher Bildung versagt. Männer hingegen ist es verboten, zu singen oder zu kochen. Die Geschlechterollen sind klar verteilt, wer gegen die Gesetze verstößt, muss an den Pfahl. 

Karen Köhler ist gut gelaunt bei ihrer Lesung in Potsdam.
Karen Köhler ist gut gelaunt bei ihrer Lesung in Potsdam.

© Michael Lüder

"Ob ein Kuss auch ein Urknall ist?"

Ein Schicksal, das die Protagonistin des Romans, ein etwa 15-jähriges Mädchen, bereits als Kind erfahren musste. Sie ist zunächst namenlos und von Grunde her eine Außenseiterin. Weil sie ein Findelkind ist, noch dazu eines, das außerhalb des Dorfes geboren wurde. Im Dorf wird sie gemieden, nur der oberste Kirchenmann, ihr Ziehvater, und später eine Frau aus dem Dorf halten zu ihr. Von ihnen lernt sie nicht nur das Lesen, sondern auch, ihre eigene sexuelle Lust zu entdecken. Als sie sich dann noch verliebt, wandelt sich ihr Leben nachhaltig.  Der wunderbare Satz "Ob ein Kuss auch ein Urknall ist? Der erste Blick? Wenn man sich wirklich sieht?" teasert das bereits an. 

All das mag zunächst nicht innovativ und etwas naiv klingen, doch Karen Köhler erzählt ihre Geschichte klug, einfühlsam und mit einer emotionalen Wucht weit jenseits des Kitschigen. Wie sich ihre Hauptfigur von einem gebeugten Mädchen zu einer wissbegierigen, willensstarken jungen Frau wandelt, ist nicht nur spannend erzählt, es findet sich auch in der Sprache des Romans wieder. 

Das Schauspiel steckt noch immer in Karen Köhler. 
Das Schauspiel steckt noch immer in Karen Köhler. 

© Michael Lüder

Miroloi bezeichnet einen Totengesang

In 128 Strophen ist dieser geteilt. Strophen deshalb, weil "Miroloi" einen  Totengesang bezeichnet. Die ersten sind noch geprägt von der kindlichen Weltwahrnehmung der Hauptfigur, von simplen Wörtern, wie "das große Blaublau" für Meer. Das wandelt sich. Mit dem Lesenlernen kommen neue Wörter dazu, ja schier ganze Welten. Durch die Liebe sowieso. Sprache ist bei Köhler gleichzusetzen mit Emotion, die Lust am Sprachspiel zieht sich durch das gesamte Buch.

Eine Strophe besteht nur aus dem sich wiederholenden Namen "Yael" - so heißt der Angebetete. Wiederum eine andere besteht aus einem einzigen Satz über die Farbe Schwarz: "Schwarz ist die heiligste Farbe. Im Schwarz sind alle Farben der Welt enthalten. [...] Meine Seele ist auch schwarz, in ihr ist alles enthalten", heißt es dort. Bei Wist liest Köhler diese Stelle vor. Temperamentvoll tut sie das, mit sich überschlagender Stimme und gestikulierenden Händen - das Schauspiel steckt noch immer in ihr. Vor allem das damit verbundene Rhythmusgefühl, wie sie am Dienstag erzählt.

Studiert hat sie es in Bern und arbeitete anschließend an verschiedenen Theatern, bis sie selbst Stücke zu schreiben begann. Seit acht Jahren lebt sie nun vom Schreiben, ihr Erzählband "Wir haben Raketen geangelt" erschien 2014, "Miroloi" ist ihr erster Roman. Als einen großen Prokrastinationsexzess bezeichnet Köhler die Arbeit daran. Überhaupt ist sie gut gelaunt am Dienstagabend, freut sich sichtlich über den Preis und stößt gerne mit den Buchhändlern Carsten Wist und Felix Palent an. "Ich bin ganz schön angetütert", sagt sie am Ende des Abends und strahlt dabei immer noch. 

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Ein Kosmos gegen Unterdrückung

Von ihrem Bärenkostüm erzählt sie. Dass es geholfen habe, in den Schreibfluss zu kommen. Und davon, dass sie nach 45 Minuten Schreiben immer eine Pause einlegen musste. Mit den Händen hat Köhler dann gearbeitet, genäht, gestrickt oder gemalt. Dass "Miroloi" ein Herzensprojekt ist, ist ihr anzumerken. Viel Kraft und Mut habe sie der Roman gekostet, für den sie viele Interviews geführt hat. Mit den Bewohnern einer Mittelmeerinsel, die bis in die 1980er Jahre tatsächlich ohne Strom gelebt haben und von denen manche in ihrem ganzen Leben nicht mal das Nachbardorf besucht hätten. 

In ihren Bastelpausen ist der gesamte Miroloikosmos in Miniaturform in ihrem Büro entstanden: Die Wände seien gespickt worden mit Landkarten, Figurenzeichnungen und Karteikarten, welche die einzelnen Strophen darstellen. Ein Kosmos, der sogar seine eigene Religion hat, weil Köhler keiner der bestehenden auf die Füße treten wollte - und trotzdem ihre Machtstrukturen erklären möchte. Auch diese wandeln sich im Buch, beschneiden die Frauenrechte immer mehr, spiegeln die fanatischen Machtregimes der Welt. Und erzählen von der Bedrohung, die ein einzelne Andersdenkende sein kann.

Dabei ist "Miroloi" nicht nur ein feministisches Buch. Vielmehr setzt es sich fürs Hinterfragen ein: von Geschlechterrollenzuweisungen, von gesellschaftlichen Strukturen, von Machtmissbrauch. Für den Menschen setzt es sich ein, wie Köhler selbst sagt und wie es auch im Buch heißt: "Warum wird alles so getrennt in ein Mann-Frau, Entweder-Oder? Ich will einfach nur Mensch sein."

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