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Marcel Ophüls eröffnete das Filmfestival.

© Manfred Thomas

Potsdamer Moving History Filmfestival eröffnet: Gegen unsichtbare Mauern

Das Potsdamer Moving History Filmfestival eröffnete im Filmmuseum mit Marcel Ophüls’ Dokumentation „Novembertage“, die ein emotionales filmisches Mahnmal ist.

Von Sarah Kugler

Potsdam - Bertolt Brecht hat ihm zum Schreiben geraten, zum Belauschen von Mitfahrern in der Straßenbahn, um daraus Geschichten zu spinnen. Marcel Ophüls hat sich allerdings für den Film entschieden. Der 1927 geborene Sohn von Regisseur Max Ophüls ist ein beachteter Dokumentarfilmer, einer der genau hinguckt. So auch in „Novembertage“, einem Film, den er kurz nach der Wende für den englischen Sender BBC produzierte und der am Mittwochabend das diesjährige Potsdamer Moving History Filmfestival im Filmmuseum eröffnete. Zum zweiten Mal findet das Festival statt und zeigt noch bis Sonntag 30 Spiel- und Dokumentarfilme der Vergangenheit sowie der Gegenwart zum Thema Mauerfall und Nachwendezeit. „Als wir träumten“ lautet das Motto – entlehnt aus Clemens Meyers gleichnamigen Roman und der Filmadaption von Andreas Dresen.

Um Träume geht es auch in Marcel Ophüls’ „Novembertage“ – um zerschlagene, aber auch um neu aufkeimende. Kurz nach dem Mauerfall hat Ophüls Interviews mit ganz verschiedenen Protagonisten geführt. Mit Menschen, die am 9. November 1989 freudetaumelnd in den Westen gelaufen sind, aber auch mit bekannten Persönlichkeiten aus Kultur und Politik. Egon Krenz etwa, SED-Generalsekretär und zum Ende hin Staatsratsvorsitzender der DDR wird ausführlich befragt. Die Schriftsteller Heiner Müller und Stephan Hermlin genauso. Und Barbara Brecht-Schall, die Tochter Bertolt Brechts, die Marcel Ophüls aus dem Kalifornischen Santa Monica kannte. Dorthin flüchtete die jüdische Familie Ophüls vor den Nationalsozialisten, mit der Familie Brecht war sie befreundet.

Regisseur Marcel Ophüls wird im November dieses Jahres 92 Jahre alt. Im Filmmuseum mahnte er mit seinem Film „Novembertage“ zum genauen Hinsehen.
Regisseur Marcel Ophüls wird im November dieses Jahres 92 Jahre alt. Im Filmmuseum mahnte er mit seinem Film „Novembertage“ zum genauen Hinsehen.

© Foto Manfred Thomas

Freundschaft mit der Brechtschen Familie

„Barbara kannte ich vor allem vom Baden gehen“, erzählte Marcel Ophüls am Mittwochabend im Filmmuseum. Eine hübsche junge Frau sei sie gewesen, wie überhaupt einige seiner Interviewpartnerinnen im Film. Genau deswegen habe er diese auch ausgesucht, wie er freimütig erzählte und sogleich hinterherschob: „Aber darf man das heutzutage überhaupt noch so sagen?“ So oberflächlich wie das klingt, sind seine Interviews in „Novembertage“ aber nicht. Im Gegenteil: Barbara Brecht etwa rudert ganz schön, als sie auf ihre Reiseprivilegien in der DDR angesprochen wird, die sie als Schauspielerin des Berliner Ensembles hatte. Enge politische Kontakte zu der DDR-Führungsspitze bestreitet sie – historische Filmaufnahmen und Aussagen Heiner Müllers zeichnen ein anderes Bild. 

Wie Ophüls erzählte, hatte sie ihr Interview aus dem Film zurückziehen wollen. „Ich hatte allerdings ihre Einverständniserklärung auf Videoband“, berichtete er. „Das hätte sie dann mit der BBC klären müssen.“ Der Sender hätte sich im Übrigen auch etwas anderes unter dem Projekt vorgestellt: „Sie dachten, ich mache einen kritischen Film über den Mauerfall“, erzählte der Regisseur. Aber da er selbst den 9. November nur positiv gesehen habe, sei der zweistündige Film natürlich ganz anders geworden. In einer Mischung aus Interviews, Nachrichtenschnipseln und Ausschnitten aus bekannten Spielfilmen zeichnet Ophüls ein vielschichtiges, kluges Panorama, das alle Seiten dieses historischen Ereignisses zeigt. Eben auch die Ängste der ehemaligen DDR-Bürger, die plötzlich weniger verdienen oder gar ihre Jobs verlieren. Auch die erstarkende rechte Szene beleuchtet Ophüls – und ist damit auch heute noch erschreckend aktuell.

Neue unsichtbare Mauern

Schon hier werden sie deutlich: die neuen, unsichtbaren Mauern, die sich nach dem 9. November aufbauen. Bis heute sind sie nicht verschwunden, sondern nur noch stärker geworden, wie sowohl Ophüls als auch Regisseurin und Festivalschirmherrin Margarethe von Trotta am Mittwochabend sagten. Den erstarkenden Fremdenhass sprachen sie damit an, aber auch die Spaltungen in Europa. Umso wichtiger sei ein Festival, wie dieses, das mit dem Medium Film Fragen aufwerfen und zum Nachdenken anregen könne, sagte von Trotta.

Einen emotionalen Anstoß schaffte es bereits am Mittwoch. Beim Publikum, das „Novembertage“ mit heftigem Kopfschütteln oder Ausrufen kommentierte. Und bei den Organisatoren, die sich daran erinnerten, wie sie selbst den Mauerfall erlebt hatten. Das sei auch Ophüls’ Intention gewesen: Gefühle einzufangen, die bei großen historischen Ereignissen zunächst wichtiger seien als Theorien – und die die berührendsten Geschichten erzählen.

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