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Die Neue Kreisstraße zwischen Kohlhasenbrück und Babelsberg endete einst ziemlich abrupt. Das Mauerbild entstand im Winter 1989/90. 

© Klaus Fahlbusch

Potsdamer Buchprojekt zur Mauergeschichte: Brückenfrage und Kompostpolitikum

Drei Potsdamer wollen ein Buch mit Fotos und Geschichten zur Mauer in Potsdam und Berlin herausgeben. Bis Mittwoch läuft das Crowdfunding-Projekt.

Potsdam - Drei Jahrzehnte nach dem Mauerfall gibt es immer weniger, was daran erinnert. An manchen Stellen erschließen sich Zusammenhänge zudem erst auf dem zweiten Blick: So wurde die im Krieg zerstörte Enver-Pascha-Brücke von Babelsberg nach Klein Glienicke von der DDR weder abgerissen noch aufgebaut, über die Brückenreste führen nur ein paar Leitungen. Der Grund hat mit dem früheren Grenzverlauf zu tun, erklärt der Babelsberger Fotograf Klaus Fahlbusch: „Die Straßenanbindung auf Klein Glienicker Seite wäre kompliziert geworden, weil man dort ziemlich dicht an das Westgebiet ran kam.“ Also quäle sich bis heute der gesamte Verkehr über die kleine einspurige Brücke nebenan – für viele Menschen heute komplett unverständlich.

Solche Orte, die Mauergeschichte erzählen, gibt es noch, aber sie werden weniger. Damit sie nicht vergessen werden, wollen drei Potsdamer, zwei Fotografen und ein Textautor, jetzt ein Fotobuch zur Berliner Mauer herausgeben. Das Projekt „Berlin Wall Stories“ schien zunächst aussichtslos: „Wir haben monatelang Verlage abgeklappert, keiner wollte das Buch verlegen“, sagt Fahlbusch. Jetzt wird es über Crowdfunding finanziert. „Das ist unsere letzte Möglichkeit, das Projekt zu retten“. Noch bis kommenden Mittwoch kann man sich auch mit kleineren Beträgen daran beteiligen. Von der Mindestzielsumme in Höhe von 6 154,50 Euro sind bereits 96 Prozent erreicht. Wird es mehr, kann die Auflage – derzeit sind etwa 800 geplant – erhöht werden.

Die Autoren Klaus Fahlbusch, Friedrich-W. Gerstengarbe, Georg Hollaz (v.l.).
Die Autoren Klaus Fahlbusch, Friedrich-W. Gerstengarbe, Georg Hollaz (v.l.).

© Jörg Hauschlid

Ein zeitloses Buchprojekt

Das Buch werde gut zum Mauerfalljubiläum passen, sei aber im Grunde zeitlos. „Viele junge Menschen können sich heute absolut nicht mehr vorstellen, dass früher Potsdamer und Klein Glienicker Straßen komplett zugemauert waren“, sagt Klaus Fahlbusch. „Die stehen dann an diesen Orten und können das einfach nicht glauben.“ Deshalb brauche es nach wie vor Erinnerungshilfen.

Die Autoren waren zur Wendezeit alle Mitte 30 und Kollegen beim DDR-Wetterdienst. Klaus Fahlbusch arbeitete bald als freier Fotograf und lieferte, wie Georg Hollaz, Klimatologe im Ruhestand, die Fotos. Friedrich-Wilhelm Gerstengarbe, Professor am Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung und Autor mehrerer Bücher, ist der Geschichtenerzähler.

30 Jahre nach dem Mauerfall stellten sie sich nicht nur die Frage, was damals war, sondern auch: Was hat sich seitdem verändert? Deshalb stellten sie vielen Mauerfotos von damals Bilder gegenüber, die sie jetzt an demselben Orten machten. „Es ist schon erstaunlich, dass man an vielen Stellen nicht mehr erkennt, dass das mal Grenzgebiete mit Mauer und Todesstreifen waren“, sagt Fahlbusch.

Der Babelsberger zog unmittelbar nach dem 9. November 1989 beinahe täglich los und hielt den Zustand der Grenze in jenen ersten Wochen und Monaten fest: mal mit den Menschenströmen der ersten Tage, mal als verlassene, dröge Orte, Mauern und Wachtürme, die in ihrer plötzlichen Funktionslosigkeit doppelt hässlich und störend wirken. Den Schwarz-Weiß-Aufnahmen aus jenem Winter wohnen Trostlosigkeit aber auch eine gewisse Nüchternheit inne. Die politische Grenze wird zur Kulisse, zum nutzlosen Interieur, das jetzt ausrangiert ist.

Zeitzeugen erzählen

Interessant sind die Perspektivwechsel: Westberliner, die neugierig in den Osten blicken, und Stillleben auf der Westseite, wo die Mauer zwar eine Barriere bildete, aber weniger bedrohlich war. Wo die Neue Kreisstraße in Kohlhasenbrück zu Ende war, parkte man halt sein Auto.

Bei aller Kunst: Die Autoren fragten sich zunächst, ob es nicht schon genug Mauerbücher gäbe. Deshalb wollten sie mehr liefern als Bilder und suchten Zeitzeugen, die Geschichten von damals erzählten. Wie diese der alten Frau, die in Kohlhasenbrück, also auf West-Berliner Seite im ersten Haus hinter der Mauer wohnte. Der Komposthaufen in ihrem Garten stand direkt an der Mauer und wurde eines Tages zum Politikum. Ein schmaler Streifen an der Westseite gehörte noch der DDR und musste den Grenzern zugänglich sein, damit sie regelmäßig den baulichen Zustand der Mauer überprüfen konnten. „Da war der West-Kompost im Weg. Aber die Frau weigerte sich, den wegzumachen“, so Fahlbusch. „Letztlich mussten die Alliierten einen West-Berliner Polizisten anweisen, den Haufen umzuschaufeln.“ 

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