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Potsdam: Tatjana Meissner übt mit dem Publikum Orgasmusrufe

Tatjana Meissner wartet auf ein Enkelkind und schrieb derweil ein Buch über Kreuzfahrtweihnachten.

Potsdam - Die Szene erinnert etwas an den Film „Harry und Sally“, in dem Meg Ryan beim Lunch im Restaurant einen Orgasmus vortäuscht. Tatjana Meissner ist etwas dezenter. Sie beugt sich im voll besetzen Café der Theaterklause zwischen Besteckklappern und Baby-Weinen über den Tisch und erklärt, wie sie in ihrem neuen Programm mit dem Publikum Orgasmusrufe üben will. Und zwar internationale. „Die Deutschen rufen ,Ich komme’“, sagt sie, in Japan heißt es ,Ich gehe’, die türkischen Männer sagen ,Ich entleere mich’ und in Polen stammeln die Männer ,Schon schon schon’. Meissner lehnt sich zufrieden zurück und lächelt. Woher nur weiß sie das alles?

„Ich recherchiere für meine Texte immer sehr gründlich und überprüfe alles mehrmals“, sagt die Potsdamer Kabarettistin und Buchautorin. „Ich google viel und lese gerne Zeitung. Was mich interessiert, schneide ich aus. Die Seite Wissenschaft und Forschung der PNN ist meine Lieblingsseite.“ Neben wissenschaftlichen Schnipseln und kuriosen Meldungen gehören auch absurde Statistiken zu ihren Favoriten. Vor allem, was den menschlich-medizinischen Bereich betrifft. Liebe, Familie, Hormone, Mann und Frau, Fleisch und Fluch. Alles Material für ihre Comedy-Programme und Bücher. Gerade ist wieder eines erschienen: „Die pure Hormonie“. Laut Widmung „Für Omi“, aber vermutlich hat Meissner es für sich selbst geschrieben, denn zu gern wäre sie eine Omi, aber Meissners Tochter nimmt sich Zeit mit dem Kinderkriegen.

„Was tut man, wenn die Kinder aus dem Haus und die Haustiere gestorben sind? Man entwickelt das Empty-Nest-Syndrom“, sagt Meissner. Das sei eigentlich nicht lustig, das gibt es nämlich wirklich und befällt zunehmend gerne Frauen ab Mitte 50. In Berlin – West natürlich – soll es sogar eine Selbsthilfegruppe geben.

Flucht auf dem Kreuzfahrtschiff

Da musste sie Gottseidank nie hin. Meissner erkannte die Gefahr rechtzeitig und bevor sie zum zehnten Mal die Scheiben der Terrassentür ihrer Wohnung in Potsdam-West putzte und sich mit den Ökomüttern im Kiez, die ihre lauten Kinder nicht im Griff haben, endgültig überwarf, hat sie eine Kreuzfahrt gebucht: Über Weihnachten und für die ganze Familie. Das war im vergangenen Jahr. Das Buch, das prompt daraus entstand, liegt jetzt frisch auf dem Büchertisch. Sie könne Kreuzfahrten ganz uneingeschränkt empfehlen. „Ich schlafe an Board wie ein Engelchen“, sagt Meissner. Sie findet es gut, dass es endlich Schiffe mit schadstoffarmen Motoren gibt. Was nicht heißt, dass an Board alles problemlos läuft. Wie man also mit alten Eltern und fortpflanzungsunwilligen Kindern so eine Fahrt überlebt und was alles passieren kann, wenn der Blinddarm plötzlich zwickt und kein Rettungshubschrauber in der Nähe ist, das kann man in „Die pure Hormonie“ nachlesen.

In diesem Jahr allerdings verbringt Meissner die Feiertage an Land und bei ihrer Tochter. „Ich bin ein Familienmensch, besonders zu Weihnachten. Notfalls lade ich mich dann selbst bei meiner Familie ein, da müssen die dann durch.“

Kabarett ist harte Arbeit

Tatjana Meissner wurde 1961 in Tangermünde geboren und begann schon als Kind zu tanzen. In Leipzig studierte sie Betriebswirtschaft. Dann arbeitete sie zunehmend als freiberufliche Tänzerin und Moderatorin, bei Potsdam-TV, Berlin-TV und beim MDR, ab 1993 mehr und mehr für Theater und Kabarett. 2008 erschien das erste ihrer bisher fünf Bücher. Seit 2009 ist sie als Solokünstlerin mit Kabarettprogrammen und Lesungen unterwegs. Ihre Themen: Frech-Frivoles, Zwischenmenschliches, Persönliches. Von der Familie bis zur Menopause. Das Publikum findet es toll, dass jemand so locker darüber spricht.

Es ist harte Arbeit. Je lässiger und frecher sie auf der Bühne rüber kommt, desto mehr hat sie daran gefeilt. Monatelang schreibt sie an den Texten, bis sie zufrieden ist. Dann dürfen Testleser, oft Kollegen, urteilen, zuletzt die Lektorin. Erst nachdem das Programm zehn bis 20 Mal gelaufen ist, habe sie ein Gespür dafür entwickelt. „Dann weiß ich, ob es funktioniert.“

Als Einzelkämpferin auf der Bühne hängt alles an ihrer Person. „Ich mache aber nur, was ich kann“, sagt Meissner. Sie kann Vieles: Tanzen, singen, reden. Menschen direkt ansprechen. Brücken bauen, wenn sich jemand unangenehm angesprochen fühlt. Als im Programm über späte Mütter eine 40-Jährige mit Babybauch aufsprang und winkte, begegnete ihr Meissner ehrlich, freundlich und ein bisschen trickreich. „Ich frage in solchen Situationen immer erst nach dem Namen“, sagt Meissner. Und dann: „Tja, Claudia, da musst du jetzt durch“, habe sie dieser Frau gesagt. Ärger und schlechte Stimmung darf sie während eines Auftritts nicht an sich rankommen lassen. Das drücke sie weg, sagt die Kabarettistin.

Auch im normalen Leben. Groll bringt nie etwas, sagt sie, Humor dagegen schon. „Mit Humor kommt man durch alle Krisen, ich kann gar nicht anders.“

Auftritt bei Frank Schöbel

Deshalb findet sie es auch großartig, in Frank Schöbels diesjähriger Weihnachtsshow als Rotkäppchen sowie schrumpelige Hexe aufzutreten. Schöbel ist ein Kollege, den sie sehr schätzt. „Ich bin mit seiner Musik, auch mit seiner Weihnachtsplatte, aufgewachsen.“ Als er sie dann eines Tages anrief, sich ihr Held Frank Schöbel an ihrem persönlichen Telefon einfach so meldete, da habe sie sich sehr geehrt gefühlt. „Ich habe sofort ja gesagt, als er mich bat, in seiner Show mitzumachen.“ Woher der Erfolg der Show, 30 Jahre nach der Wende, kommt, kann sie nur vermuten. „Wir schauen eben alle gerne zurück in die Kindheit – egal, ob in Ost oder West.“ Die CD mit dem Sendungsmitschnitt wird sie mitnehmen zu ihrer 32-jährigen Tochter. „Das gucken wir uns an“, sagt die Mutter bestimmt, „ob sie will oder nicht.“

» Tatjana Meissner: „Die pure Hormonie“, Eulenspiegel Verlag, 272 Seiten, 14.99 Euro

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