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PNN-Serie über Potsdamer Ufer: Freundschaftsinsel: Wo sind die tiefer Träumenden geblieben?

In der Sommerreihe Potsdamer Ufer stellen wir besondere Orte am Wasser vor. Heute führen Gärtnertochter Brigitte Breitkreutz und der Gartenvorsteher Jörg Näthe über die Freundschaftsinsel.

Potsdam - Räumen wir zunächst mit einem Irrtum auf. Es soll ja immer noch Menschen geben, die glauben, die Freundschaftsinsel sei ein Relikt jüngerer Zeitgeschichte. Solche, die die „Freundschaft“ im Namen mit Pioniergruß und Käppi verbinden. Also: Nein, die Insel hat nichts mit sozialistischer Völkerverständigung zu tun. Zumindest nicht ursprünglich. Der Name ist viel älter, ein Gasthaus auf der Insel zur Zeit der Jahrhundertwende hieß einst so. Erstmals erwähnte ihn der damalige Besitzer, ein Schankwirt, noch früher: in einem Brief von 1841. Wo jüngere Zeitgeschichte so dicht gedrängt steht wie hier in Potsdams Zentrum, vergisst man manchmal, dass es bestimmte Begriffe schon viel länger gibt als manchmal angenommen. Freundschaft!, das war auch schon für Romantiker ein Schlachtruf. Nur dass man damals nicht zum Fahnenappell antrat.

Die Freundschaftsinsel wurde gegen Kriegsende größtenteils zerstört

Der Mann, der Fakten und Erläuterungen jahreszahlengenau aus dem Ärmel schütteln kann, ohne dass er dafür irgendwo nachschlagen müsste, heißt Jörg Näthe. Wer die zwischen Alter Fahrt und Neuer Fahrt liegende Insel heute besucht, kommt nicht an ihm vorbei. Und zwar im Wortsinn. Näthe war von 1981 bis 2013 Inselgärtner, seitdem ist er Vorsitzender des Vereins „Freunde der Freundschaftsinsel“. Als dieser lenkt er die Insel-Geschicke vom Schwanenhaus aus, dem kleinen weißen Gebäude am linken Eingangstor. Das Pendant auf der rechten Seite wurde 1945 zerstört und erst zur Buga 2001 wieder aufgebaut. Heute sieht der Zugang wieder aus wie Ende der 1930er Jahre von Karl Foerster und Hermann Mattern gestaltet. Die damalige Bepflanzung gab es nur wenige Jahre: Gegen Kriegsende wurde auch die Insel in großen Teilen zerstört.

Karl Foerster, ach! Der Staudenzüchter und Gartenphilosoph ist auch heute so etwas wie eine kleine Inselgottheit. Verständig lächelt er vom gerahmten Schwarzweißfoto hinunter auf den großen Tisch im kleinen Schwanenhaus. Hier hat Jörg Näthe die dicken Ordner ausgebreitet, die den Pressespiegel über das Inselgeschehen seit der Neubebauung in den 1950ern festhalten. Fein säuberlich ist alles aufgelistet. Besorgte Leserbriefe zum Zustand der Insel. Kleine Nachrichten. Und ein Porträt von Peter Altmann, dem Vorgänger Näthes. Mit Sorge habe Altmann die für die Insel geplanten Vorbereitungen zu den 10. Weltfestspielen vernommen, ist da aus dem Jahr 1973 zu lesen. Was bis dahin vor allem ein „Schau- und Lehrgarten“ gewesen war, wurde damals mit viel Beton in einen Ort sozialistischer Feierlichkeit und Freizeitgestaltung umgewandelt. Letztlich habe ihn die Weitsicht der Planer doch überzeugt, man erwarte das Ereignis voller Vorfreude!, heißt es im Artikel weiter. Dokument einer Zeit, in der man lavieren musste. Auch Dokument der Fürsorge eines liebevoll wachenden Freundeskreises: seit Kriegsende wurden die Geschicke der Insel nicht aus den Augen gelassen.

Angst, die falsche Blüte zu erwischen

Die Insel hatte immer viele Freunde – in Ost und West. Auch vor 1989. „Die Insel war ein Loch in der Mauer“, wie Näthe sagt. Jörg Näthe ist kein geruhsamer Vorruheständler, sondern ein äußerst agiler Mann. Seine kurzen Hosen zeigen die sommerbraunen Beine. Den 1970 verstorbenen Karl Foerster hat er nicht mehr kennengelernt. Brigitte Breitkreutz schon. Sie ist die Tochter des ehemaligen Inselgärtners Peter Altmann, der den Garten seit 1953 pflegte. Als Mädchen durfte sie Meister Foerster im Rollstuhl umherschieben und unter Aufsicht auch mal welke Blüten aus den Stauden zupfen. „Mit zitternden Knien“, wie sie sagt. Nicht weil Foerster so furchteinflößend gewesen wäre, sondern weil er eine Berühmtheit war. Und: „Ich hatte immer Angst, dass ich die falsche Blüte erwische.“ Foerster muss ein charmanter, schönheitsliebender Mensch gewesen sein, und ein großzügiger. Als junges Mädchen war Brigitte Breitkreutz mal bei Foersters zu Besuch. In einem Kleid, das die Eltern ausgesucht hatten – aber weder Meister noch Mädchen gefiel. Also besorgte Foerster eines nach seinem Geschmack: in schönstem Blau.

Solche Geschichten gehen Brigitte Breitkreutz durch den Kopf, wenn sie heute auf der Freundschaftsinsel spazieren geht. Erinnerungen. Die Gartenliebe hat sich vom Vater auf die Tochter übertragen. Wenn die Gitarristin über die Insel spricht, dann mit einer Mischung aus tiefer Zuneigung und gesunder Distanz. Die Freundschaftsinsel ist für sie: ein Teil ihres Lebens, ganz einfach. In den fünfziger Jahren schon sprang sie auf den schmalen Steinwegen im Seerosenbecken herum. Als sie 1976 Hochzeit feierte, gab es nur einen Ort dafür: das damals zum Interhotel gehörende Inselcafé. In den Neunzigern war sie einige Jahre nicht in der Stadt, die Insel rückte in den Hintergrund. Heute ist sie wieder da, ein Lebensbegleiter. Breitkreutz kommt am liebsten früh morgens her: „Da hat man die Insel noch fast für sich alleine.“

Näthe kennt jeden Busch, jeden Baum, jede Blüte

Das Gebäude, wo Brigitte Breitkreutz einst Hochzeit feierte, ist für sie heute kaum mehr zu erkennen. Seit dem Buga-Jahr 2001 ist das Inselcafé ein „Daily Coffee“. Holzlamellen lassen den Siebziger-Jahre-Bau modern aussehen. An diesem grauen Sommervormittag ist es hier fast leer. Doch auch für Jörg Näthe steckt hier jeder Quadratmeter voller Geschichten – historischen. Begeistert zeigt er auf einen großen Baumstumpf auf dem Cafévorplatz. „Der älteste Baum auf der Insel!“, ruft er begeistert. Über 200 Jahre alt ist das, was von der Hybridpappel noch da ist. Daneben ein jüngerer, gesunder Baum: „Der Sohn“, sagt Näthe. Ein Ableger der alten Pappel. Näthe kennt hier jeden Busch, jeden Baum, jede Blüte. Eine Lieblingspflanze? Er mag, was gerade blüht. Jetzt, im Sommer, sind die „Sonnenbräute“ toll, die farblich schon in Richtung September zeigen. Und, da hält er es mit Meister Foerster: „Ein Sommer ohne Phloxe ist ein Irrtum.“

Auf der linken Seite, am Ufer der Alten Fahrt, der Beweis, dass die Freundschaftsinsel nicht nur etwas für Blumenliebhaber oder Historiker ist: der Abenteuerspielplatz. Er ist nicht nur einer der größten Potsdams, sondern auch der beliebteste, sind sich Näthe und Breitkreutz einig. Eine breite Brücke dahinter verbindet das Wohnviertel mit der Insel. „Früher wohnten drüben viele Familien, jetzt nur noch Alte“, sagt Näthe. Zum Spazieren auf die Insel kommen sie alle. Das ist das Schöne und auch das Schwierige an dieser Garteninsel, diesem „Paradies im Hier und Heute“, wie Jörg Näthe sagt: Alle kommen her, aber nicht alle wissen immer zu schätzen, was sie vorfinden. In den 2000er Jahren führte Näthe, damals noch Inselgärtner, ein Vandalismus-Tagebuch über Schäden an der Insel. Einmal waren es 26 Vorfälle in drei Monaten. Damals überlegte man, das Problem durch Eintrittsgelder zu lösen. Dazu kam es nicht, sagt Näthe, zum Glück. Dafür aber zu Schließzeiten: Seit 2001 wird der innere Parkteil bei Sonnenuntergang abgeschlossen.

Eigentlich ein Ort zum Träumen

Fragt man Brigitte Breitkreutz nach einem Ort, an dem sich der persönliche Erinnerungsschatz für sie besonders festmacht, zeigt sie auf eine hohe, verzweigte Birke: Die hat ihr Vater in den 50er Jahren hier gepflanzt, für sie. Unweit davon steht das Foerster-Denkmal von Christian Roehl, ein abstrahierter Blütenkelch, angesichts des Entstehungsdatums 1974 unerhört modern. Darunter des Meisters Leitspruch: „Wer Träume verwirklichen will, muss wacher sein und tiefer träumen als andere“. Von Foersters Blütenträumen erzählen noch heute die gepflegten, duftenden Stauden und ihre Namen – Goldmarianne, Zauberflöte, Sternennacht. Von anderen Träumen erzählt an der Spitze der Insel, wo Alte und Neue Fahrt zusammenfließen, die Inselbühne. Noch ein Relikt der Weltfestspiele 1973. Früher wurde hier Musik gegeben, dann wurden auch Filme gezeigt. Und heute? Eine Brache. „Unser Sorgenkind“, sagt Näthe. Zwischen den Betonplatten ragen Gräser hervor. Freie Flächen, im Rücken des Zuschauerrunds der Blick die Havel hinunter zum Tiefen See: eigentlich ein herrlicher Ort zum Träumen. Nur der Träumer muss sich hier, am blütenlosen Inselende, noch finden.

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