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Renate Loock ist Geigerin der Kammerakademie Potsdam. Sie spielt auf einem Instrument von Jean Baptiste Vuillaume.

© Manfred Thomas

PNN-Serie Köpfe der KAP: Himmlisches Hadern

Als Kind blätterte sie die Noten um, wenn ihr Vater am Klavier saß. Heute lässt sich Violinistin Renate Loock von Beethoven beflügeln - und ist am Sonntag im Konzert zu erlebn.

Wieder und wieder lässt der Dirigent beginnen. Erst Bläser, dann legen sich vorsichtig die Streicher darunter. Und dann: der Bass mit „Agnus Dei“. Solist Franz-Josef Selig mit einem traumhaft samtenen Einsatz – man könnte sich fallen lassen in Beethovens Missa Solemnis, wenn es nur endlich mal durchginge.

Stattdessen meldet sich der Tonmeister über Lautsprecher, dieses und jenes wird verändert, verbessert, noch mal ab Takt sowieso. Es ist der dritte Studiotag, den die Kammerakademie im Saal des Babelsberger Filmorchesters hat, bis zum Abend sollte alles fertig sein. In der ersten Reihe der Streicher sitzt Renate Loock. „Tonaufnahmen sind anstrengend. Man muss sich voll konzentrieren und doch soll alles leicht klingen“, sagt die Geigerin. „Außerdem kann man sich um nichts herummogeln. Alles kommt dran, fertig sind wir erst, wenn es perfekt ist.“ Die Geigerin hat in der Mittagspause mitgebrachte Brote gegessen. Das wird den Aufnahmeleiter freuen. Lautes Magenknurren ist bei Tonaufnahmen mit sensibler Technik ebenso unpassend wie Stühleknarren.

In Beethovens Brust brannten zwei Seelen: Religiosität und Zweifel

Kann man in so einer sachlichen Atmosphäre, kein Publikum, dafür ein Mikro vor der Nase, eine Beethoven-Messe mit der angemessenen Stimmung einspielen? „Das geht. Man konzentriert sich in erster Linie auf die Musik, auf die Perfektion. Dabei entsteht eine Stimmung, die uns wiederum beflügelt“, sagt Loock. Am Wochenende folgt nun das Spiel vor Publikum. Die Messe wird heute im Berliner Konzerthaus und Sonntag im Potsdamer Nikolaisaal aufgeführt.

Vermutlich hätte Beethoven kein Problem damit gehabt, dass es keine Kirche ist. „In seiner Brust brannten zwei Seelen: eine tiefe Religiosität und ein Hadern mit der Kirche. Eine interessante Parallele zur heutigen Zeit“, sagt die Geigerin. So finden sich in der Musik dieser Messe, die Beethoven von 1819 bis 1823 komponierte, viel Himmlisches, aber auch Aggressives. Es klinge an vielen Stellen wie ein „weg, weg“, findet Loock. Zu diesem inneren Zwiespalt würde auch passen, dass Passagen des Chors unmöglich zu verstehen sind. „Das soll Beethoven bewusst so komponiert haben“, sagt sie. Solch Hintergrundwissen zu den Stücken, das ein guter Dirigent liefert, helfe zusätzlich, wenn man zwar hochkonzentriert, aber dennoch atmosphärisch spielen soll.

Hausmusik gehörte bei ihr zum Familienleben

Renate Loock spielt gerne im großen Verbund, große sinfonische Werke. Natürlich auch Kammermusik und anderes. „Jedes Format hat seinen Reiz, da kann man sich nicht festlegen.“ Aber es war im Jugendsinfonieorchester von NRW, wo der entscheidende Schub von Begeisterung und Motivation über sie kam, so, dass sie alle anderen Berufspläne über den Haufen warf und sich entschied, die Musik zum Beruf zu machen.

Loock stammt aus dem Münsterland, der Vater spielt Klavier, Hausmusik gehört zum Familienleben. Das Kind Renate darf Noten umblättern, wenn der Vater spielt und wird oft in Konzerthäuser mitgenommen. Manchmal war das langweilig – aber es schulte das Gespür für klassische Musik, sagt sie heute. Mit fünf Jahren beginnt sie Klavier zu lernen, mit sieben wechselt sie zur Geige – ein Vorschlag der Eltern. Sie geht zur Musikschule und wird bald Jungstudentin bei einem Professor an der Musikhochschule Dortmund. 

Mit 14 wird sie jüngstes Mitglied des Jugendsinfonieorchesters. Verbringt die Ferien mit Proben, Reisen, Auftritten. „Die spielten auf einem sehr hohen Niveau.“ Ihr erstes Orchesterstück: Bruckners 1. Sinfonie. Sehr beeindruckt ist sie vom Dirigenten, ein Herr der alten Schule, „er trug noch Gamaschen“, sagt Loock. Wenige Wochen vor dessen Tod führen sie das Verdi-Requiem auf, ein emotionales Projekt. „Das war sein Abschied“, sagt sie. Danach weiß sie, dass sie weder Jura noch Sport studieren würde, sondern Geige.

Konzertmeisterin bei der Brandenburgischen Philharmonie Potsdam

Zum Studium geht sie nach Detmold und an die UdK Berlin. Sie wird Konzertmeisterin des Jungen Westdeutschen Kammerensembles, spielt im Württembergischen Kammerorchesters Heilbronn und im Sinfonieorchester des WDR. Dann zieht sie mit ihrem Mann nach Berlin und wird bis 2000, das letzte Jahr seiner Existenz, Konzertmeisterin der Brandenburgischen Philharmonie Potsdam. „Ich habe die Auflösung des Orchesters mitgemacht.“ Von Anfang an ist sie dann wieder bei der Kammerakademie dabei. Hin und wieder unterrichtet sie an der Universität Potsdam, wird von anderen Orchestern angefragt.

Die Geige, das Zufallsinstrument, ausgesucht von den Eltern, war die richtige Entscheidung. Auch das kostbare historische Instrument, dass sie jetzt spielt, eine Geige von Jean Baptiste Vuillaume aus dem Jahr 1862, hat zu ihr gefunden, nicht umgekehrt, dann wurden sie ein Paar. Ein Mäzen hatte sie ihr jahrelang zur Verfügung gestellt, bis sie sich an den tollen Klang gewöhnt hatte. „Eines Tages wollte er sie zurück, das war so ein brutaler Gedanke. Da habe ich alles dran gesetzt, dass ich sie kaufen konnte.“ Steffi Pyanoe

„Missa Solemnis“ am Sonntag, dem Oktober, 16 Uhr im Nikolaisaal Potsdam, Karten kosten 10 bis 35 Euro.

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