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Zübeyde Bulut im Drama „Im Feuer“.

© Match Factory Productions

Perspektive Deutsches Kino: Es ist Zeit für Heldinnen

Die Perspektive Deutsches Kino erzählt von Peschmergakämpferinnen und anderen Heroinen. Männern sind hier die Verlierer.

Eine Anführerin? Nein, die haben die Peschmergakämpferinnen nicht. „Jede von uns befiehlt mal.“ Das ist wohl das mindeste, wenn man als Kurdin sein Leben im Kampf gegen den IS riskiert und daheim unter Kuratel von Vätern und Brüdern steht. Alex Breidmeier (Christoph Letkowski), der Ausbilder von der deutschen Bundeswehr, schüttelt darüber den Kopf.

Entscheidungsfreiheit ist eine feine Sache, nur dient sie nicht der militärischen Schlagkraft. Seine Kameradin Rojda Xani (Almila Bagriacik) übernimmt den heiklen Job, das den Frauen zu verklickern.

Die Soldatin dient im Camp Erbil im Nordirak als Übersetzerin. Eine Aufgabe, die die kurdischstämmige Deutsche nur übernommen hat, um ihre Schwester zu suchen. Die kämpft für die Peschmerga. Und konfrontiert sie alsbald mit den Dramen des Krieges. „Im Feuer“, das bewegende Kinodebüt der Drehbuchautorin und Regisseurin Daphne Charizani, gehört zu den betont unheroischen und trotzdem packenden Heldinnengeschichten, die die Perspektive Deutsches Kino dominieren. Die einst von Dieter Kosslick als Bühne für den deutschen Regienachwuchs gegründete Sektion ist unter der neuen Berlinale-Leitung von zwölf auf acht Filme geschrumpft.

Die Straffung hat sich laut Sektionsleiterin Linda Söffker aus einer strengeren Prüfung der gut 200 eingereichten Filme auf ihre Tauglichkeit für die große Leinwand ergeben. Eine Qualitätsoffensive, die der Reihe sichtlich gut tut.

Auch wenn 2021 gern wieder kürzere Spielfilme dabei sein dürfen, die ebenso von Talent zeugen wie die ausgefeilten Hundertminüter, die erstmals auch im prächtigen Kino International zu sehen sind.

Auch inhaltlich unterscheidet sich der Jahrgang 2020 deutlich. Wo im vergangenen Jahr eifrig urbane Millennials Nabelschau betrieben und ihre spätadoleszenten Nöte sezierten, herrscht diesmal bei den sechs Regisseurinnen und zwei Regisseuren sichtlich der Wunsch, nicht nur von sich selbst zu erzählen. Bevorzugt sind das Frauengeschichten, die es endlich nicht mehr nötig haben, weibliche Perspektiven als Besonderheit zu deklarieren.

So wie das Politikerinnenporträt „Wagenknecht“, in dem Sandra Kaudelka der Linken-Abgeordneten Sahra Wagenknecht folgt. Vom Bundestagswahlkampf 2017 bis zu deren erschöpfungsbedingten Rückzug aus der Spitzenpolitik im Jahr 2019 läuft die dokumentarische Etüde über die Macht und ihren Preis.

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Oder wie der Horrorthriller „Schlaf“ von Michael Venus, in dem Sandra Hüller und Gro Swantje Kohlhof, als Mutter-Tochter-Duo gegen die Dämonen der deutschen Vergangenheit kämpft.

Und wie die Dokumentarfilme „Walchensee forever“ und „Automotive“. In ersterem erzählt die Filmemacherin Janna Ji Wonders eine hundertjährige Familiengeschichte als Gespinst aus altem und neuem Foto- und Filmmaterial.

Die Frauengeschichten aus vier Generationen reichen vom bayerischen Walchensee bis in Hippiekommunen in Kalifornien und den Harem von Rainer Langhans.

Prekäre Männerleben

Im zweiten – Jonas Heldts im Umfeld vom Autohersteller Audi in Ingolstadt gedrehtes Arbeitswelt-Mosaik – stehen zwei Protagonistinnen im Mittelpunkt. Sie könnten gegensätzlicher nicht sein.

Die muntere Sedanur Koca ist Logistik-Leiharbeiterin und fliegt sofort raus, wenn die Produktion sinkt. Die andere, Eva Heppel, sitzt in Amsterdam am Telefon und wirbt am Telefon für Audi um Automatisierungs-Experten, deren „Smart Factory“ Sedanur Kocas Arbeit überflüssig macht.

Die richtig prekären Lebensentwürfe sind diesmal eher den männlichen Helden vorbehalten. Die Ausnahme macht die Liebestragödie „Ein Fisch, der auf dem Rücken schwimmt“ der DFFB-Absolventin Eliza Petkova. Sie siedelt ihr in Sachen Rauminszenierung, Erzähltempo und Bilddramaturgie von der Berliner Schule inspiriertes Kammerspiel in gepflegten Mittelschichtskreisen an.

Der Vater, ein ständig abwesender Geschäftsmann, und sein Sohn konkurrieren um Andrea (Nina Schwabe). Die kennt keine Vergangenheit oder Zukunft, sondern nur die Lebenslust der Gegenwart.

Auch ein Haudrauf kann ein neuer Vater sein

Eine Figur, die trotz ihrer souveränen Freizügigkeit bestens als Projektionsfläche männlicher Sehnsüchte taugt. In der Unfähigkeit zum offenen Gespräch und liebevoller Nähe, erweist sich aber auch dieses Männerduo als erschreckend gestrig.

Dagegen ist Andi (Jannis Niewöhner), ein rauer Bursche und verkrachter Box-Champion, ein Ausbund an väterlicher Herzlichkeit. Nur, dass er sonst nichts geregelt kriegt. Weder die drei Kinder satt und richtig angezogen, noch die Beziehung zu seiner Ex Sonja verbessert oder gar die Miete für die schimmelige Wohnung zusammen.

„Kids Run“ heißt das Drama von Barbara Ott, das die Perspektive Deutsches Kino eröffnet. Die in Gewerbegebieten und Boxclubs angesiedelte Geschichte schafft es, soziale Misere und notorisches Unvermögen des Helden mit familiärer Liebe und Fürsorge zu kreuzen. Auch ein Haudrauf kann ein neuer Vater sein.

Wachteln züchten und Soldaten spielen

Eine Entwicklung, die die Antihelden der Dokumentation „Garagenvolk“ von Natalija Yefimkina wohl nicht mehr hinbekommen. Die in Kiew geborene Filmemacherin porträtiert ein russisches Refugium, das so beliebt ist wie Eisfischen - die Garagensiedlung.

Dicht an dicht bedecken diese einer Bergbaustadt im äußersten Norden vorgelagerten Wellblechkaten den karstigen, im Winter meterhoch verschneiten Boden. Drinnen parken nicht etwa die Autos ihrer Halter, sondern Männer gehen ihren Hobbys nach.

Wachteln züchten, Ikonen schnitzen, Gitarrenrock spielen, Soldat spielen, CB funken, Schrott sammeln oder – wie der alte Viktor – mit Schaufel und Eimer vier unterirdische Stockwerke ausschachten. Skurril ist das, rührend, tragisch fast. Zukunft sieht ganz gewiss anders aus.

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