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Der letzte Römer: Paul Wilms.

© Ottmar Winter

Paul Wilms am Hans Otto Theater: Kafka statt Stiefelsaufen

Paul Wilms ist neu am Potsdamer Hans Otto Theater: Im Stück „Nationalstraße“ zeigt er eines der Gesichter von Kneipenhengst und Patriot Vandam.

Potsdam - Auch er ist sportlich, spielte jahrelang Fußball, machte Ving Tsun Kung Fu. Ob er allerdings 200 Liegestütze schafft, so wie Vandam, seine Bühnenfigur? Paul Wilms, der Neue am Hans Otto Theater, muss sich nicht durch die Anzahl seiner Liegestütze beweisen. Er lebt in einer anderen „Blase“ als Vandam, dieser Kneipenhengst mit der großen Klappe und der schnellen Faust.

Vandam, diese irritierende Figur in Jaroslav Rudiš’ Stück „Nationalstraße“, das heute in der Reithalle Premiere feiert, wird von drei Schauspielern auf die Bühne gebracht. Regisseur Frank Abt hat den Monolog von Rudiš aufgebrochen, um die Ambivalenz von Vandam, diesem Patrioten, der auch mal den Arm zum Hitlergruß ausstreckt, herauszukitzeln. Paul Wilms übernimmt den Part des jugendlichen Vandam: Zeigt ihn an jenem Weihnachtsabend, als sein Vater vom Balkon springt. Ein halbstündiger Monolog, der für Paul Wilms eine ziemliche Herausforderung ist. Schließlich ist es die erste große Rolle des Absolventen – und er muss sich zwischen den erfahrenen Potsdamer Kollegen René Schwittay und Joachim Berger als die weiteren Gesichter des Vandam sowie Katja Zinsmeister als die von Vandam begehrte Barfrau Sylva behaupten.

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„Ich weiß, dass ich nichts weiß“

Dieser Vandam weiß, wie das Leben läuft, sagt er jedenfalls. „Und womöglich hat er Recht: für sein abgezirkeltes Dasein zwischen Plattenbau, Wald und Kneipe. Ich, aus meiner privilegierten Blase, kann auf eine Vielfalt zugreifen, auch mal umherirren.“ Paul Wilm weiß nicht, wie das Leben läuft. Er hält es da eher mit Sokrates: „Ich weiß, dass ich nichts weiß“. So wie über den Osten und den Mauerfall, um den es in der „Nationalstraße“ geht und der für den in Tübingen aufgewachsenen 26-Jährigen nur eine Seite im Geschichtsbuch war.

Erst als er 2015 zum Studium nach Leipzig kam und weitere zwei Jahre für die studentische Praxis ans Staatsschauspiel Dresden ging, spürte er: „Der Osten ist noch ein Thema. Als Pegida an unserer Schule in Leipzig vorbeizog, war das wie ein Schlag in die Fresse.“ Der im Schwabenländle Aufgewachsene begann zu fragen: Was wurde diesen demonstrierenden Menschen weggenommen, haben sie gelitten, verselbständigt sich ihr Hass? „Sicher haben sie den Wunsch, sich zu beheimaten und werden vielleicht wie Vandam an den Stadtrand gedrängt.“ In dem Stück wird dieser Rand nun in die Mitte getragen: zu den Potsdamer Zuschauern, von denen wohl auch nur die wenigsten mit der Platten-Welt Berührung haben. Für Vandam bedeutet Leben Krieg. Jeder gegen jeden. „Wenn du dich nicht verteidigen kannst, hast du keine Chance.“ Und so macht er weiter seine Liegestütze.

Vom Außenseiter in die Mitte

Paul Wilms hat eine Ahnung von dem Gefühl, nicht dazu zu gehören. Er erinnert sich an seine Zeit in den dörflichen Fußballvereinen, wenn er nach dem Spiel von 30 Leuten angefeuert wurde, um aus dem Stiefel Bier zu saufen, ohne dabei zu sabbern. Er, der so gar nicht ins Vereinsgedöns mit Feuerwehr und Schützenfest passte, der lieber wie sein Vater Punkrock hörte statt Bushido, empfand das alles als Tortur. Und als er die Anzeige vom Theater Tübingen las, dass ein Filmprojekt zum Thema „Nie wieder einsam“ startet, nutzte er die Gelegenheit, in eine andere Welt einzutauchen. Kafka statt Stiefelsaufen, vom Außenseiter in die Mitte: mit kaputten Jeans und eigenen Songs seiner Bands „Bandscheibenvorfall“ und „Biersportverein“, wo sie sangen „Vom Radler muss ich kotzen“. 

Wenn er in der Schule oder in der Band vorne stand und etwas vortragen konnte, blühte er auf. „Auf dem Fußballfeld zog ich die Brust eher ein.“ Ein Jahr „Tingelzeit“ durch Frankreich, wo er nach dem Abi als Umzugshelfer und als Regieassistent arbeitete, wies ihm den Weg zum Theater. Und nach sechs Vorsprechen landete er schließlich in Leipzig. „Wir wollen etwas von Ihnen sehen!“, das war es, was er mitnahm von diesem aufreibenden Bewerbungsmarathon, wo es nicht ausreichte, den Kreon oder Leonce vorzuspielen.

Die eigene Handschrift finden, darauf kommt es an: auch jetzt bei diesem ihm so fern liegenden Vandam: Raus aus der eigene Blase, hinein in die seiner Figur. Dafür wird er kurz vor der Premiere vielleicht auch ein paar Liegestütze machen, um sich hochzufahren, den Körper in Schwingung zu bringen. Um dann für Anstand zu sorgen, als Vandam, der sich als letzten Römer bezeichnet und der nichts gegen Ausländer hat. Aber wenn sie Stress machen, wird er ungemütlich. Und zeigt auch mal den Hitlergruß.
>>Die Premiere am 27. September ist ausverkauft, die nächste Aufführung ist am 4. Oktober, 19.30 Uhr, Reithalle, Schiffbauergasse

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