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Die Abstraktion ist ein roter Faden in Gerhard Richters Malerei. Hier sein Bild „Rot-Blau-Gelb (339-4)“ aus dem Jahr 1972, Öl auf Leinwand, aus einer Schweizer Privatsammlung.

© Gerhard Richter 2018

Neue Ausstellung im Museum Barberini: Gerhard Richters Universalismus

Am Samstag eröffnet im Museum Barberini die Schau „Gerhard Richter. Abstraktion“: Barberini-Direktorin Ortrud Westheider über die Suche des Künstlers nach dem dritten Weg zwischen östlichem Realismus und westlichem Modernismus.

Gerhard Richter malt abstrakte Bilder. Bis heute. In den 1970er-Jahren begann er eine Serie, die den Titel „Abstrakte Bilder“ trägt und an der er bis heute arbeitet. Doch geht seine Beschäftigung mit Abstraktion weder in dieser Serie auf noch hat sie mit ihr begonnen. Vielmehr prägt das Verhältnis von Abstraktion und Realismus Richters gesamtes Schaffen. Sein Werk handelt von Abstraktion als Methode der Malerei und fußt damit tief in der Kunstgeschichte. Richter reflektiert die emanzipatorischen Ideen der Moderne und stellt sich kritisch dem Idealismus einer „Weltsprache“ Abstraktion gegenüber.

Dieser Universalismus prägte das Kunstverständnis in Westdeutschland, als Richter 1961 aus der DDR in die Bundesrepublik kam. Die junge Kunst begann dort gerade, einem ideologisch zwischen Sozialistischem Realismus und Informel gespaltenen Deutschland mit dem „Ausstieg aus dem Bild“ zu begegnen und der Malerei den Rücken zu kehren. Auch Richter spielte mit diesem Gedanken und gründete die Künstlergruppe Kapitalistischer Realismus mit, die mit Aktionen neue Ausdrucksformen der Kunst erprobte.

Massenmord, Verfolgung und die Infragestellung des Individuums 

Als Nummer eins in seinem Werkverzeichnis findet sich aber ein Gemälde. Es handelt sich um das Bild „Tisch“ von 1962. In ihm konfrontierte der Maler im Jahr nach seiner Ausreise die Darstellung eines Alltagsgegenstands mit einem ungegenständlichen Farbwirbel. Der Systemwechsel wird im Nacheinander des Werkprozesses vollzogen. Zuerst entstand das realistische Abbild eines Gegenstands, der sich in jedem Haushalt befindet. Der Tisch ist der Ort der Gemeinschaft, von den Mahlzeiten der Familie bis zum Gastmahl. Am Tisch wird diskutiert, studiert, geschrieben, gedichtet, aber auch praktisch gearbeitet.

In seiner Universalität steht der von Richter gewählte Gegenstand in nichts der malerischen Geste nach, die er darüberlegte. Sie galt im Westen als Ideologem der Freiheit der Kunst.

Hier hatte sich seit den späten 1950er- Jahren mit dem europäischen Informel und dem amerikanischen Abstrakten Expressionismus eine Ausschließlichkeit abstrakter Kunst etabliert, die der älteren, aus der neusachlichen Tradition stammenden Malergeneration den Anschluss an ihr Werk vor dem Nationalsozialismus erschwerte oder unmöglich machte. Massenmord, Verfolgung und die Infragestellung des Individuums hatten die Grundfesten des Humanismus erschüttert, aus dem sich die Abstraktion der Moderne mit ihrem idealistischen Modell des Antimaterialismus gespeist hatte. Der Existentialismus war eine von den Künstlern geschätzte Philosophie, die das Individuum erneut ins Zentrum stellte.

Spontaner Selbstausdruck des Künstlerindividuums

In dieser Situation fand nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs in Westeuropa und Amerika die kunstgeschichtlich bedeutendste Umdeutung der Abstraktion statt: Aus dem idealistischen Streben nach dem Großen Geistigen bei Wassily Kandinsky wurde der spontane Selbstausdruck des Künstlerindividuums. Im Action-Painting eines Jackson Pollock fand sich die reine Subjektivität, die malerische Geste verkörperte einmal mehr die Anwesenheit des Maler-Schöpfers. Nach dem Scheitern der großen Ideologien überwältigten Künstler mit nichthierarchisch organisierten Großformaten den Betrachter und forderten ihn zur eigenen Stellungnahme auf. Während Künstler im Osten Deutschlands nach geeigneten Bildmotiven und künstlerischen Verfahrensweisen zur Thematisierung des gesellschaftlichen Fortschritts als kollektiver Erfahrung in der sozialistischen Grundordnung der DDR suchten, wurde im Westen das Prinzip Individuum literarisiert und mit Abstraktion identifiziert.

An der Düsseldorfer Kunstakademie vertrat Richters Lehrer Karl Otto Götz diese Künstlergeneration. Richter hatte das Werk von Götz, aber auch Gemälde von Pollock und den Künstlern der amerikanischen Abstraktion auf der II. documenta 1959 in Kassel gesehen und fotografiert. Zurück in Dresden hatte er sich im Stil des Informel erprobt.

Richter suchte nach Möglichkeiten jenseits der Polarität

Doch hat Richters Abstraktion nichts mit einem unkritischen Bekenntnis zum Ideologem des Westens zu tun. Nach seiner Ausreise aus der DDR, wo er durch sein Studium an der Dresdner Hochschule für Bildende Künste mit den Zielsetzungen des Sozialistischen Realismus vertraut und durch die Formalismus-Debatte der Diffamierung von Abstraktion als dekadenter Äußerung des kapitalistischen Bürgertums ausgesetzt gewesen war, traf er in der BRD auf die Emphase der Abstraktion und zugleich auf die Protesthaltung einer jungen Generation von Künstlern, die sich kritisch zu dieser Festschreibung verhielten.

Richter besuchte in Düsseldorf die Fluxus-Aktionen von Joseph Beuys und Nam June Paik, die der Kunst eine neue Wendung gaben, neue Ausdrucksweisen und Medien einbezogen und den Kunstbegriff erweiterten. Doch Richter suchte nach Möglichkeiten jenseits der Polarität von Figuration und Ungegenständlichkeit. Im Rückblick stellte er fest: „Ich suchte bis dahin immer nach einem möglichen dritten Weg, wo der östliche Realismus und der westliche Modernismus irgendwie zu einem neuen und irgendwie erlösenden Gebilde werden.“ Vor diesem Hintergrund ist das Gemälde „Tisch“ nicht als Ablösung des Systems Realismus durch Abstraktion zu verstehen. Der Gegenstand wird nicht durch die malerische Geste mit der Intention übermalt, ihn auszulöschen und den Weg des Realismus zugunsten der Abstraktion zu verlassen. Richters dritter Weg eröffnete sich zunächst in der gemalten Fotografie.

Malerei ist für ihn legitim, weil sie der Wirklichkeit vorangeht

Das realistische Erfassen/Zitieren eines massenhaft reproduzierten Fundstücks ermöglichte ihm Neutralität. So konnte er den Realismus im Sinn der von ihm propagierten deutschen Pop Art begreifen und zugleich die Abstraktion aus ihrer ideologischen Funktion im Ost- West-Konflikt herauslösen. Das Wichtigste an diesem dritten Weg sollte für Richter jedoch darin liegen, dass ihm die Fotobilder das Festhalten an der Malerei ermöglichten.

Von den frühen 1960er-Jahren an durchlief Richter die unterschiedlichsten Werkphasen. Die Kritik reagierte auf neue Arbeitsabschnitte noch in den 1980er-Jahren mit Skepsis und dem Vorwurf der Beliebigkeit. In seinem Beharren auf Malerei und seiner Suche nach einem dritten Weg zwischen Realismus und Ungegenständlichkeit arbeitete Gerhard Richter kontinuierlich daran, den Realismus des Scheinhaften zu überführen und den Modernismus zu zitieren und zu aktualisieren.

Damit nimmt Richter für seine abstrakten Bilder einen Universalismus in Anspruch, der sich unterscheidet von der „Weltsprache“ Abstraktion, wie sie von den documenta-Begründern Arnold Bode und Werner Haftmann nach dem Zweiten Weltkrieg als Sprache der westlichen Welt gefeiert wurde. Richters Universalismus will niemanden überzeugen. Malerei ist für ihn legitim, weil sie der Wirklichkeit vorangeht.

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Ortrud Westheider ist Direktorin des Museums Barberini. Ihr Text ist ein Auszug aus „Gerhard Richter. Abstraktion“, dem Katalog zur Schau.

Ortrud Westheider

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