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Die Autorin Natascha Wodin. 

© Jan Woitas/dpa

Natascha Wodins „Irgendwo in diesem Dunkel“: Unter Entwurzelten, Verschleppten

Die Schriftstellerin Natascha Wodin arbeitet in ihrem aufwühlenden Roman „Irgendwo in diesem Dunkel“ die Beziehung zu ihrem Vater auf. Am Donnerstag stellt sie es im Peter-Huchel-Haus vor.

Potsdam - Schon die ersten Seiten ziehen mit einer Kraft hinein, die atemlos macht. Der Leser fühlt sich wie in einem Strudel, der in Abgründe führt. Die Schriftstellerin Natascha Wodin begibt sich in ihrem Roman „Irgendwo in diesem Dunkel“ auf die Spurensuche nach ihrem Vater: einem Sänger, einem Säufer, einem Schläger, dem sie nichts sehnlicher wünscht als den Tod. Sie erzählt die Geschichte eines jungen Mädchens, das sich vorstellt, wie sie diesen Vater meuchlings in den Fluss stößt, in dem ihre Mutter sich einst ertränkte. Nun, als Erwachsene steht sie vor dem toten Greis, vor dem verdorrten, erstarrten Körper, den das Leben so hart gemacht hat, dass er erst in einem biblischen Alter die Welt verlässt. Die nun längst erwachsene Tochter wird ergriffen von ihren Erinnerungen.

In ihrem Vorgängerbuch „Sie kam aus Mariupol“ setzte Natascha Wodin, die 1945 in Fürth als Kind sowjetischer Zwangsarbeiter geboren wurde, ihrer Mutter ein berührendes literarisches Denkmal und erhielt den Preis der Leipziger Buchmesse dafür. Jetzt lässt sie in „Irgendwo in diesem Dunkel“ ein Buch folgen, das an den Freitod der Mutter 1956 anschließt.

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Der Vater sperrt sie ein

Nach dem Tod der Mutter schickt sie der Vater, der mit einem Kosakenchor durch die Welt reist, erst in eine Pflegefamilie, dann in ein katholisches Kloster, in dem von morgens bis abends gebetet wird und Schuldgefühle zum täglich Brot gehören. Als der Vater seine Stimme versoffen hat, holt er sie und ihre jüngere Schwester zurück „nach Hause“. Wieder leben sie in den „Häusern“ am Fluss, unter Verschleppten und Entwurzelten. Dabei möchte das Mädchen so gern zu den Deutschen gehören, möchten Ursula oder Susanne heißen. Doch die Mitschüler rufen sie nur „Ruski“, lachen und grenzen sie aus. „Immer, seit ich denken konnte, war es ein Fluch für mich gewesen, das Kind meiner Eltern zu sein.“

Als 16-Jährige träumt sie von einem Handwerker, den sie heiraten könnte, um ihrer russischen Herkunft zu entkommen. Aber der gefürchtete Vater sperrt sie ein. Sie soll keine roten Schuhe tragen, sondern zu Hause bleiben und putzen. Auch wenn bereits alles glänzt. In einem dunkelblauen Taftkleid mit weißen Punkten, die wie angeklebtes Konfetti aussehen und das einst die Mutter trug, flieht das Mädchen dennoch in die Schutzlosigkeit der Straße.

Ein dunkles Geheimnis

Der Leser bangt und leidet mit ihr, hofft, dass sie diesen verhärteten knochigen Vaterhänden entkommt. Die Autorin bauscht dabei nichts auf, erzählt ohne Pathos. Natascha Wodin besticht mit einer klaren schnörkellosen Sprache, die von Poesie durchwoben ist. Sie zeichnet ein Leben nach, das sich außerhalb der bekannten deutschen Realität abspielt: eine Parallelwelt am „Rande der Stadt“. Der Vater weigert sich zeitlebens, die deutsche Sprache zu erlernen. Er hatte ja die Tochter zum Dolmetschen, die er tyrannisiert, erniedrigt und zu der er nachts ins Zimmer schleicht. 

Unter dieser aufwühlenden Lebensgeschichte lauert ein Geheimnis, das zurückreicht in die Sowjetunion, vor der Zwangsarbeit in Deutschland. Doch darüber wird geschwiegen. Die Tochter sucht dennoch in diesem grausamen Dunkel den Schlüssel zum Verstehen. 

>>Natascha Wodin liest am Donnerstag, dem 13. Juni, um 20 Uhr im Peter-Huchel-Haus Wilhelmshorst, Hubertusweg 4. Karten für 5 Euro unter Tel.: (033205) 62963 oder www.peter-huchel-haus.de

— Natascha Wodin: Irgendwo in diesem Dunkel. Rowohlt Verlag, 238 Seiten, 20 Euro

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