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Der Autor und Regisseur Egon Günther hat für die DEFA unvergessliche Filme geschaffen.

© Foto Manfred Thomas/Tagesspiegel

Nachruf Egon Günther: Einmal noch so wirbeln

Egon Günther war der größte Frauen-Regisseur der DDR. Nun ist er im Alter von 90 Jahren in Potsdam gestorben

Sein schönster Film? Vielleicht „Der Dritte“, das war 1972, ein Jahr vor „Die Legende von Paul und Paula“ von Heiner Carow. Der Dritte ist der dritte Mann, den muss Margit finden. Dabei hat die junge Mathematikerin (Jutta Hoffmann) schon zwei Kinder von zwei verschiedenen Männern, aber die Arithmetik der Liebe begreift sie noch immer nicht. Kino fängt an, wenn wir das sehen.

Und wie wir das sehen! Egon Günthers Film scheint nicht einmal den Boden zu berühren, betrunkene Kamera, taumelnde Bilder, und bei alldem doch atemberaubend präzise. Und dann zertanzt Jutta Hoffmann zum Entsetzen der Genossen auch noch das alte Arbeiterkampflied „Bandiera rossa“. Welch waghalsige Schnitte als Gedankensprünge!

„Ich habe so getanzt wie Egon dachte, dass ich tanzen musste“, sagte die Frau seiner Filme später. Und er, der Regisseur? Er hat wohl sein Leben lang so gedreht, wie Jutta Hoffmann dachte, dass er drehen musste. Ausflüge ins Unverfügbare waren das, Experimente im schwerelosen Raum, genau wie „Die Schlüssel“ mit ihr und Jaecki Schwarz im Jahr darauf. Als ob die Kamera ihre Figuren zugleich von innen und außen beobachtete.

Seine schönsten Filme drehte das Arbeiterkind aus Schneeberg im Erzgebirge so, als gäbe es die DDR gar nicht. Das fand die DDR zwar nicht gut, aber was sollte sie machen? Auf Ansinnen, Szenen herauszuschneiden, pflegte er zu antworten: „Eher lasse ich mir beide Hände abhacken.“ Keine produktive Gesprächsgrundlage, aber immerhin, „Der Dritte“ erhielt 1972 den Hauptpreis in Karlovy Vary und den Kritikerpreis in Venedig.

Einfallstore des Seelen-Magmas

Sein Vorgänger hieß „Junge Frau von 1914“, er hielt den Sommer fest, an dessen Ende Verdun stand, nicht nur für die Potsdamer Bankierstochter Leonore, die ihre Liebe an den Krieg verlieren wird. Und schon hier die Handkamera: Sie fing den Schwindel der Zeit ein. Es folgte bald der erste große Goethe-Film, „Lotte in Weimar“ mit Lilli Palmer. Scheinbar konventionell, wie man sich in einer Hotellobby nun einmal bewegt, wie man nun einmal isst, wenn einen Goethe zum Essen einlädt. Lauter Einfallstore des Seelen-Magmas!

Ein gelernter Schlosser aus dem Erzgebirge verfilmt Goethe. Der Zwiespalt Günthers glich dem so vieler anderer: Die DDR gab dem Arbeitersohn Chancen, die er unter „normalen“ Bedingungen wohl nie bekommen hätte. Und dazu dieser unendlich weite Horizont über denen, die nach dem Krieg jung waren. So viel Widerschein von Zukunft darin und dann wieder doch so viel Enge, und beides blieb. Weite und Enge zugleich.

Aber Egon Günther, Jahrgang 1927, hatte schon ein Leben, bevor er das Kino entdeckte – und das Kino ihn. Aus der Kriegsgefangenschaft in den Niederlanden geflohen, war er Neulehrer, studierte in Leipzig Germanistik und Philosophie, war Lektor und begann zu schreiben. Über zwanzig Romane – am bekanntesten wohl „Der Pirat“ – hat er veröffentlicht. Aber der Regisseur Günther hat den Autor Günther immer überstrahlt.

Das Fernsehen nahm in dankbar auf

In seinem Film „Ursula“ zeigte er, wie die Reformation in die Schweiz kam. Weder das Schweizer Fernsehen noch das DDR-Fernsehen waren der derben, surrealen Geschlechtlichkeit der Welt einer Gebirgs-Wiedertäufersekte gewachsen – und Günther emigrierte zum bundesdeutschen Fernsehen, das ihn dankbar aufnahm. Für Angelica Domröse ist nicht Carows „Paula“, sondern Günthers „Hanna von acht bis acht“ der schönste Film ihres Lebens: Eine kleine Barfrau hinter ihrem Tresen und dahinter liegt „eine Manege vergeblicher Hoffnungen und verzweifelter Träume“, wie Günther später sagte.

1999 dann noch einmal Goethe, Goethe und Christiane: „Die Braut“ mit Veronica Ferres und Herbert Knaup. Doch der Geist der Schwere holte ihn ein, das Kaum-den-Boden-Berühren, es gelang ihm nicht mehr. Am Mittwoch ist Egon Günther, der größte Frauen-Regisseur der DDR, in Potsdam gestorben.

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