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Abwarten. Aber worauf? "Potsdamer Künstler" von Karl Retsch, entstanden nach 1976, ist das einzige Bild aus Potsdam, das in der Schau "Hinter der Maske" zu sehen ist.

© A. Klaer

Museum Barberini: Potsdamer Schwermut

Potsdam ist in der neuen Schau des Barberini mit einem Bild zum Thema „Gemeinschaftsbilder“ vetreten. Wie wirkt es da, neben Metzkes, Kissing und Gille?

Potsdam Wer in der neuen Schau „Hinter de Maske“ im Museum Barberini die Potsdamer finden will, muss wissen, wo er sucht. Muss den Wald aus großformatigen Malerbildern im Erdgeschoss hinter sich lassen, in den ersten Stock steigen, den Blick von Harald Metzkes raumgreifendem Triptychon „Die Freunde“ losreißen und nach rechts schauen. Hier sitzen sie zusammen, die „Potsdamer Maler“. Der Potsdamer Karl Raetsch (1930 – 2004) hat sie in seinem gleichnamigen Gemälde, entstanden zwischen 1976 und 1980, im schummrigen Licht einer Kerze um einen Tisch herum versammelt.

Neun ernst dreinblickende Menschen sind das, die da eng beieinander sitzen. Nur einer lässt so etwas wie ein Lächeln ahnen, es ist der bereits 1983 verstorbene Maler Gottfried Höfer. Neben ihm Karl Raetsch selbst, mit fest verschlossenen Lippen und umschatteten Augen. Links im Bild stehend, unterm breiten Schnurrbart vielleicht ein Lächeln verbergend, Peter Rohn, der mit melancholischen Stadtansichten Potsdams auf sich aufmerksam machte. Neben Rohn, klein und schmal mit großer Brille, die Potsdamer Galeristin Ute Samtleben, die bis 2007 in der Brandenburger Straße eine Galerie betrieb. Wolfgang Wegener, der 2002 vestarb, sitzt ihr zur Rechten. Er scheint sich mit beiden Händen an etwas festzuhalten, fixiert den Betrachter dabei mit ernstem Blick. Christian Heinze, der immer noch in Potsdam lebende und höchst produktive Maler, der in Potsdam zuletzt Erinnerungen an Afrika ausstellte, schaut zu Barbara Raetsch, die heute noch im Atelier ihres Mannes malt. Auf dem Bild von vor 40 Jahren raucht sie mit verschränkten Armen eine Zigarette.

Erich Kissing zeigt, wie man auf die Zeit nach 1976 reagieren konnte: mit Chuzpe, Phantasie, kühler Träumerei

Komposition und Licht des Gemäldes erinnern entfernt an Da Vincis berühmtes „Abendmahl“ – nur dass hier kein Fenster den Blick nach draußen freigibt. Stattdessen im Bildhintergrund: eine dunkelrote Wand. Man meint, die stickige Luft im Raum zu spüren. Die Sitzenden wirken statisch, scheinen auf etwas zu warten. Auf etwas, an das sie selbst nicht mehr glauben?

Das Bild von Karl Raetsch, die einzige Leihgabe aus dem Potsdam Museum für diese Schau, ist das erste der „Gemeinschaftsbilder“ im gleichnamigen Raum der Ausstellung, und es ist das unauffälligste. Man könnte auch sagen: das geduckteste. Nur der zu einem Dresdner Kreis zählende Maler Peter Herrmann (Jahrgang 1937) zeigt in „Meine Freunde“ von 1976, dem Jahr der Ausbürgerung Wolf Biermanns, eine ähnlich gedrückte Stimmung. Michael Philipp und Valerie Ortolani, die Kuratoren der Schau, haben den Überblick über 40 Jahre Kunst aus der DDR – der Begriff „DDR-Kunst“ wurde tunlichst vermieden – bewusst nicht in Schulen, sondern Themenblöcke untergliedert. Und doch stehen Vertreter der Schulen oder Orte wie exemplarisch nebeneinander. „Leipziger am Meer“ von Erich Kissing etwa – entstanden im gleichen Zeitraum wie das Potsdamer Bild – zeigt, wie man auch auf die bedrückende Zeit nach 1976 reagieren konnte: mit Chuzpe, Phantasie, kühler Träumerei. Die Leipziger Maler sitzen in Badehosen um eine Meerjungfrau herum, einige halb abgewandt, einer mit trotzig verschränkten Armen. Die Blicke versunken, skeptisch oder schelmenhaft: alle wirken, als würden sie das Fantasiegebilde in ihrer Mitte jederzeit verteidigen.

Absoluter Blickfang: Sighard Gilles „Fete in Leipzig II“ aus dem Jahr 1989

Überhaupt kommt der Potsdamer Schwermut in diesem Raum gegen die Leipziger Selbstgewissheit kaum an: Absoluter Blickfang im Raum ist Sighard Gilles „Fete in Leipzig II“ aus dem Jahr 1989. Großformatig, expressiv, in grellen Farben schieben sich hier Leipziger Größen der Kunstszene ineinander: Arno Rink, der damalige Rektor der Leipziger Hochschule, Bernhard Heisig, Gudrun Brüne, Hartwig Ebersbach. Die damals bereits ausgereisten Künstler Hans-Hendrik Grimmling und Lutz Dammbeck hängen kopfüber ins Bild. Von der Potsdamer Melancholie eines Karl Raetsch ist das meilenweit entfernt. Gerade in diesem Nebeneinander, in der ungeheuren Bandbreite künstlerischer Positionen aus dem Land DDR, liegt aber die Kraft dieser Ausstellung.

Ihr künstlerischer Ansatz – der Versuch, Kunst jenseits ihrer ideologischen Dimension zu untersuchen – ist im Übrigen nicht neu in Potsdam. „Kunst ist immer von der Zeit abhängig, aber sie geht auch darüber hinaus“, sagte der Potsdamer Kunsthistoriker Andreas Hüneke im Rahmen seiner Ausstellung „Konstruktiv, expressiv, phantastisch. Ostdeutsche Kunst 1945 bis 1990“ im Haus der Brandenburgisch-Preußischen Geschichte 2014. Und er sagte auch: „Das Wichtige bei der Kunst ist, dass sie sich nicht in ihrem Zeitbezug erschöpft.“ Beides hat sich auch „Hinter der Maske“ auf die Fahnengeschrieben. Im Ausstellungskatalog dankt Ortrud Westheider Hüneke für seine „kollegialen Hinweise“.

Eine der Thesen von „Hinter der Maske“ ist, dass die DDR-Kunst gar nicht so isoliert war, wie oft angenommen

Und das Museum Barberini nimmt – bewusst oder unbewusst – einen weiteren Gedanken zum Umgang mit Kunst aus der DDR auf, der in Potsdam zuvor schon an anderer Stelle formuliert wurde. Eine der Thesen von „Hinter der Maske“ ist, dass die DDR-Kunst gar nicht so isoliert war, wie oft angenommen – dass es durchaus Bezüge gab zu künstlerischen Tendenzen jenseits der Mauer. Dies war der Hauptimpuls der großen Ausstellung „Die Wilden 80er Jahre in der deutsch-deutschen Malerei“ im Potsdam Museum letztes Jahr. Auch dem zollte Ortrud Westheider bei der Präsentation von „Hinter der Maske“ Tribut. Es scheint der Beginn einer überfälligen Annäherung der beiden Museen am Alten Markt zu sein: Am 16. November hält Jutta Götzmann, die Direktorin des Potsdam Museums, im Museum Barberini einen Vortrag über Harald Metzkes.

Metzkes ist mit vier Bildern in „Hinter der Maske“ dabei, auch im Raum mit den „Malerbildern“ ist er mit zwei eindrücklichen Werken zu finden. Und er war 2014 bereits mit mehreren Bildern in der Sonderausstellung „Stadt-Bild/Kunstraum“ vertreten, in der das Potsdam Museum Kunstwerke von Ostberliner und Potsdamer Künstlern aus den von 1949 bis 1990 zeigte. Der Zeitraum, dem sich, mit anderem Schwerpunkt, auch die aktuelle Schau im Barberini verschreibt.

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