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Der Schriftsteller Thomas Lehr.

© Thomas Frey/ dpa

Lesung im Peter-Huchel-Haus: Thomas Lehr entführt in die Spiralnebel deutscher Geschichte

Am Donnerstag las der Autor Thomas Lehr in Michendorf aus seinem Wenderoman „Schlafende Sonne“ vor.

So leer war es schon lange nicht mehr bei einer Lesung im Peter-Huchel-Haus, gut ein Drittel der Stühle bleibt unbesetzt. Es mag an der Kost liegen, die hier am Donnerstagabend präsentiert wird. Anlässlich des 30. Jubiläums des Mauerfalls liest der für den Deutschen Buchpreis nominierte Gegenwartsschriftsteller Thomas Lehr aus seinem 2017 erschienenen Wenderoman „Schlafende Sonne“. Ein Buch, so unverständlich und verschlungen, dass man es aus dem Fenster werfen will.

Zwei Passagen passend zum Jubiläum

Durch den Abend führt die Autorin Meike Feßmann, die mit ihren Fragen eine Einordnung des Romans schafft, und gleichzeitig dem in Berlin lebenden Autor genügend Raum lässt. Ein wenig verlegen und gebückt betritt Lehr den Raum, doch sobald er anfängt zu sprechen, fällt alle Unsicherheit von ihm ab. Passend zum Jubiläum hat Lehr zwei Passagen ausgewählt, die sich mit dem Ende der DDR auseinandersetzen, und die er mit sonorer Stimme routiniert aber kraftvoll dem Publikum darbietet.

Ein umstrittenes Werk

Das rund 600 Seiten umspannende Werk des studierten Biochemikers spaltet die Gemüter. Während der Tagesspiegel über „den Titan der deutschen Gegenwartsschriftsteller“ schreibt, sein Roman gehöre zu den „Höhenkämmen der deutschen Literatur“, attestiert Die Zeit dem Werk Unrezensierbarkeit, flüchte der Autor sich doch in eine Privatsprache, „die sich nur mühsam und bruchstückhaft rekonstruieren lässt.“

Doch worum geht es eigentlich? Diese Frage ist gar nicht so leicht zu beantworten. Die Handlung spielt an einem einzigen Vormittag im Jahr 2011 und gleichzeitig im gesamten 20. Jahrhundert. Historische Ereignisse werden in einem Bewusstseinsstrom vieler Perspektiven erzählt. Sein Roman erinnert an Werke von James Joyce oder Alfred Döblin, die er als Vorbilder angibt.

Mitten im Geschehen

Gleich in der ersten Passage, die Lehr liest, reisen wir durch den Entstehungsprozess einer Aquatinta, eines Kunstwerks der Protagonistin, zum 7. Oktober 1989, als die Führungsriege der DDR das 40. Jubiläum der Republik feiert. Lehrs Stimme erzeugt einen Sog. Wie in einem Strudel wird man herumgewirbelt, trinkt mit Gorbatschow im Palast der Republik, steht dann wütend demonstrierend davor und hört im Hintergrund das Abkratzen des Lacks der Aquatinta, in die man abgetaucht ist. Immer wieder spendet das Publikum kräftigen Applaus. Der Roman, zunächst sperrig und kaum lesbar, verwandelt sich durch Lehrs Stimme in lebendige Geschichte.

Thomas Lehr: "Schlafende Sonne"
Thomas Lehr: "Schlafende Sonne"

© Cover: promo

Am Schluss herrscht eine fast alberne und ausgelassene Stimmung und man hat das Gefühl, dass dieser irre Wälzer doch zähmbar ist. Wer sich ärgert, die Lesung verpasst zu haben, kann beruhigt sein. Es ist nur der erste Teil einer geplanten Trilogie über das 20. Jahrhundert. Wenn wir Glück haben, können wir in fünf Jahren wieder im Karussell der Geschichte Platz nehmen.

Magdalena Schmieding

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