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Eine Gruppe von zwölf: flunker produktionen aus Wahlsdorf zeigten bei der Langen Nacht der Freien Theater "Zeit, du Callboy der Ewigkeit".

© flunker produktionen

Lange Nacht der freien Theater: Ohne sie wäre die Mark arm dran

Figurentheater, Masken, Performance, Video, Straßentheater, Tanz – alles made in Brandenburg, gestreamt von vier Bühnen. So gekonnt präsentierten sich die freien Theater trotz Pandemie.

Potsdam - Ein „Kirschgarten“ des 21. Jahrhunderts, wie sähe der aus? Vielleicht so: Da sucht eine Gruppe Kunstbegeisterter einen Ort für sich und ihre Ideen. Findet ihn in einer Scheune auf dem flachen Land, umgeben von einem herrlichen Obstgarten. In Brandenburg, dem Land der „Baumblüte“, wo sonst. Man träumt sich Theaterabende her, Publikum, Austausch. Nur fehlt das Geld. Jemand kennt jemanden mit Geld in Mallorca. Gute Anlage, sagt der. Wenn man da Ferienwohnungen hinbaut. Nur müssen dafür die Bäume weg. Am Ende macht ein Investor zwischen märkischen Bäumen Luftsprünge.

„Digital Landscape Theatre“ erzählt diese Geschichte – eine Verbeugung vor Tschechow, aber kein Theaterstück. Sondern eine 2020 entstandene Filmproduktion des teatre Blau. Zu sehen war das im Rahmen der 15. Langen Nacht der Freien Theater. Seit 2005 trommelt das T-Werk in der Potsdamer Schiffbauergasse unter der Leitung von Jens-Uwe Sprengel hier einmal jährlich die brandenburgische Szene zu einem Kurzfestival zusammen. 

Zwölf Produktionen, vier Bühnen, alles digital

In diesem Jahr hieß das: zwölf angeteaserte Produktionen. Und erstmals digital. Kulturministerin Manja Schüle begrüßte, gestreamt wurde live von vier Bühnen. Figurentheater, Masken, Performance, Video, Straßentheater, Tanz – alles made in Brandenburg.


Am eindrücklichsten war das oft da, wo das Medium Film mitspielte. In „Kunstpause – acht Theater in der Tüte“ etwa, einem 2020 entstandenen Film des Potsdamer Duos Kombinat. Als die Theater schlossen, besuchten die Choreografin Paula E. Paul und der Medienkünstler Sirko Knüpfer acht leere Potsdamer Bühnen und luden Techniker:innen ein, hier ihren eigenen künstlerischen Träumereien nachzugehen. Man sieht eine virtuos spielende Technikerin am Konzertflügel und Männer, die in die Poesie von Metallgestängen und Geländern lauschen. Man sieht das Bekannte anders. Neu.


Andere Ausschnitte verstärkten aufs Schönste die Lust auf das, was voraussichtlich ab Pfingsten in Brandenburg wieder gehen soll: Open-Air-Theater. Zum Beispiel schräges Straßentheater mit dem Titel „Zeit, du Callboy der Ewigkeit“ von flunker produktionen, 70 Kilometer südlich von Berlin zuhause. Oder das Theater des Lachens aus Frankfurt/Oder, das im Schirrhof in „La Luna“ eine Reise zum Mond antrat – umschwirrt von fantastisch gebauten fliegenden Fischen. Oder das Potsdamer Theater Nadi, dessen „Tokpela – Erscheinen und Entschwinden“ am Ende den poetischen Rausschmeißer gab: Elemente von Kabuki, Buffonerie, zeitgenössischem Tanz.

Freie Gruppen waren 2019 in 85 Städten

30 Jahre, nachdem die Brandenburger freie Szene sich infolge des Mauerfalls neu erfand, zeigt sie sich heute womöglich vielfältiger denn je. Nicht alles ist gleich gut, nicht alles würde im nationalen, geschweige denn internationalen Vergleich bestehen. Aber das muss es auch nicht. In einem Flächenland, das nur über vier Stadt- oder Staatstheater verfügt (Cottbus, Potsdam, Schwedt, Senftenberg) sind es die Freien, die ganz wesentlich für Begegnungen mit Kultur vor Ort sorgen. 

Ohne sie wäre Brandenburg arm dran. Wie erfolgreich die Szene ist, verfolgt der Landesverband freier Theater: 2019 waren freie Gruppen in 85 Brandenburger Städten. Sie erreichen ein Drittel aller Zuschauer:innen. Der Verband leitet daraus eine konkrete Forderung ab, die auch in der „Langen Nacht“ laut wurde: ein Zehntel des Theateretats. Im Moment erhalten freie Theater mit 1,54 Millionen Euro die Hälfte.

Eigene Projekte unter eigener Regie

Kurzinterviews verliehen der 15. Festivalausgabe jubiläumsgemäß Gravitas, Innenschau – und Weitsicht. Nirgends mehr als in dem Austausch zwischen Hans-Joachim Frank und David Schellenschmidt. Frank, Jahrgang 1954, verließ 1989 das Engagement am Berliner Ensemble, weil er „die Schnauze voll“ hatte vom Angestelltendasein – und eigene Projekte unter eigener Regie machen wollte. Er gründete das theater 89. 

Aus dem gleichen Grund verließ Schellenschmidt, Jahrgang 1989, im Jahr 2016 sein Engagement am Staatsschauspiel Mainz und rief das Traumschüff ins Leben. Gerade bereitet das Theaterschiff ein drittes Stück über die Treuhand vor. Der eine am Ende, der andere am Anfang einer Brandenburger Laufbahn. Was rät der Erfahrene? „Immer schön wach bleiben. Aufpassen, wenn Institutionen ins Spiel kommen. Wenn du immer bei dir selbst bleibst, lachst du auch noch in 30 Jahren.“

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