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Galaktischer Ohrwurm: Remake der Cantina Band aus Star-Wars.

© Oliver Dietrich

Konzertbesprechung: "Mutant*Innenstadl" im Potsdamer Archiv

Mit Besuch aus dem All: Das „Mutant*Innenstadl“ brachte die Star-Wars-Cantina-Band ins Archiv und bescherte den Besuchern ein hedonistisches Feuerwerk.

Potsdam - Menschen, Tiere, Perversionen: Mit dem lange erwarteten „Mutantenstadl“ – oder in Einbezug aller vorhandenen Tatsachen völlig richtig titulierten „Mutant*Innenstadl“ – fand am vergangenen Samstag im Potsdamer Kulturpalast „Archiv“ erneut ein hedonistischer Abriss statt, der seinesgleichen sucht.

Was war das eigentlich? Ein parodistischer Rundumschlag auf schlechten Musikgeschmack? Eine völlig aus dem Ruder gelaufene Travestieshow? Oder einfach der bereits beschworene Flashback der für immer traumatisierten Generation „Mini Playback Show“, die sich die Hintertür zur als Trauma getarnten Showbühne offen hält?

Wir wissen es nicht. Wir werden es womöglich auch nie erfahren. Auf jeden Fall ging es hier nicht um das reine Nachspielen audiovisueller Schandtaten und Kostbarkeiten, sondern um das Nachstellen: Das beinhaltet nämlich eine interpretative Intention, nicht die bloße Kopie. Da drängt sich das vorgeblich Misslungene auf. Das hatte bereits die nihilistische Neue-Deutsche-Welle-Gruppierung Trio erkannt, die mit „Anna (Lass mich rein, lass mich raus)“ den unglaublich bewegungsarmen Auftakt gab. Königlich moderiert wurde das bestens besuchte Event von Horst – „Hotte“ – und Gisela, die dem ganzen Spektakel einen lokalen Rahmen gaben: „Das hätte ja auch gern der Preußenprinz im Schloss Cecilienhof“, kommentierte Gisela den Trio-Auftritt. Was für ein Schabernack.

Das Publikum war textsicher

Und immer wieder erstaunlich, wie textfest sich das lauthals mitsingende Publikum gab, etwa beim Suzanne-Vega-Hit „Luca“, einer expliziten Verbeugung an die Sozialarbeiter der Stadt, beim Bangles-Song „Walk like an Egyptian“ oder bei Nina Hagens vergessenem Farbfilm, was heutzutage eher an einem nicht geladenen Mobiltelefon scheitern würde. Herzschmerz pur aber auch mit Alain Delon und Dalida – „Paroles, Paroles“ – oder mit Jermaine Jacksons Klappfahrrad-Choreografie zu „And when the rain begins to fall“.

Durchatmen? Fehlanzeige! Immer wenn man sich eine musikhistorische Peinlichkeitspause gönnen wollte, kam der nächste Kracher um die Ecke: Oh Gott, die Ralph-Siegel-Sünde Nicole sang tatsächlich „Mit Dir vielleicht“!

„Hallo, wir sind die Cantina Band, wenn ihr Songwünsche habt, ruft sie einfach!“ Ja, ja, spielt denselben Song noch mal: Spätestens jetzt war alles vorbei, Aliens, Krieg der Sterne, Laserschwerter – unzählige Stunden sollte sich dieser fulminante Ohrwurm noch in den Gehörgängen festkrallen und sogar noch den auf die Nacht folgenden verregneten Sonntag prägen. Als weiteres Highlight unbedingt erwähnenswert die Queen-Hommage „Don’t stop me now“, die durch Live-Gesang und aufwendige Choreografie der Sieger der Herzen werden sollte. Viel zu viel, was hängen blieb: Al Bano und Romina Power mit dem brutalienischen „Felicità“ etwa, Musikgott Roland Kaiser, die längst notwendige Verballhornung von „Dirty Dancing“, Jan Delay oder als Gipfel des guten Geschmacks auch noch die Fantastischen 4 mit „Dieter“.

Durchgetanzt und glücklich ging es irgendwann wieder hinaus in die kalte Nacht. Potsdam hat definitiv noch mehr solcher Parodien nötig, bevor es selbst zu einer wird.

Oliver Dietrich

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