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Klaus-Peter Möller arbeitet seit 1998 im Fontane-Archiv als Archivar.

© Ottmar Winter

Klaus-Peter Möller schreibt an Theodor Fontane: „Gut, famos, alles schwabbel“

Klaus-Peter Möller aus dem Potsdamer Fontane-Archiv nimmt in seinem Brief den Schreibtisch Fontanes unter die Lupe und stellt ihm ein paar  Insiderfragen mit Augenzwinkern.

Sehr geehrter Herr Fontane,

unbekannterweise wende ich mich an Sie, gestatten Sie daher zunächst, dass ich mich Ihnen vorstelle. Ich bin Ihr Archivar. Das ist der beste Beruf der Welt für einen wie mich, der sich für Sprache interessiert und Literatur und Handschriften faszinierend findet. Der Zufall hat mich in diese Position geführt. Aber was ist schon Zufall? Es war im Fontane-Jahr 1998, als ich mit zwei Konzeptpapieren in der Hand diese Stelle eroberte, einem über Ihren Roman „Der Stechlin“, der für die Große Brandenburger Ausgabe neu herausgegeben werden sollte, einem über eine Personal-Bibliographie Ihres Werkes und seiner Wirkung. Von 1998 bis 2019 arbeite ich nun im Theodor-Fontane-Archiv, das sind über 20 Jahre. In dieser Zeit habe ich eine Menge von Ihnen gelernt. Und über Sie.

Ihren Schreibtisch haben Ihre Erben 1902 dem Märkischen Museum übereignet. Das Fontane-Archiv gab es damals noch gar nicht, es wurde erst 1935/36 gegründet. Man sieht ihn auf dem Foto, das 1896 bei Ihnen zu Hause in der Potsdamer Straße 134c aufgenommen wurde. Jedes erkennbare Detail auf der Tischplatte und in Ihrem Arbeitszimmer habe ich unter die Lupe genommen und analysiert. Das Tintenfass, die Briefwaage, das Bilboquet, auch die merkwürdige Hand Moltkes, die Sie stets vor Augen hatten. Das Regal mit dem Archiv Ihrer Korrespondenz hätte ich mir gerne einmal näher angeschaut. Was haben Sie darin aufgehoben? Das Gros Ihrer eigenen Briefe an Ihre Frau, wichtige Geschäftsschreiben, Vertragsbedingungen enthaltend, Ihre Tagebücher, Ihre Notizbücher von den Wanderungen, von den Theaterabenden, über die Sie referieren mussten, von Ihren Reisen nach Italien, Frankreich und Dänemark, die Haushaltsbücher, die Ihre Frau geführt hat? 

Theodor Fontane an seinem Schreibtisch.
Theodor Fontane an seinem Schreibtisch.

© Theodor-Fontane-Archiv

Heinrich Heine musste sich Zensuren von Ihnen gefallen lassen

Und Ihre Handbibliothek würde ich gern einmal sichten, jeden einzelnen der Bände registrieren und durchblättern, in denen Sie Ihre Lektürebeobachtungen mit Blei- und Blaustift festgehalten haben, manchmal sogar mit rotem Stift: „gut“, „famos“, „alles schwabbel“. Nur ein kleiner Rest davon ist überliefert, und schon der ist äußerst aufschlussreich! Heinrich Heine musste sich Zensuren von Ihnen gefallen lassen und Verbesserungsvorschläge, die nicht einmal schlecht waren! Die erotische Szene in Gensichens Minnesang Felicia fanden Sie, wie Ihre Kommentare zeigen, offenbar sehr anregend. Und in ihr Hand- und Adressbuch für die Gesellschaft von Berlin, Charlottenburg und Potsdam trugen Sie Namen und Adresse eines jungen Mannes ein, der hier noch fehlte: „Gerhart Hauptmann. Gravelotterstraße 8 (heute Fasanenstraße 39).“

Der Schreibtisch kam ins Märkische Museum, wo er als Herzstück des Fontane-Zimmers zu sehen war. Die zahlreichen Schübe an seinen beiden Seiten, die vollgestopft waren mit den Merkwürdigkeiten Ihres Schriftstellerlebens, würde ich gern einmal aufziehen, um zu sehen, was alles darin lag, in welcher Ordnung. Ob sich wirklich der sagenhafte blaue 100-Mark-Schein darin finden würde, der als eiserne Reserve stets vorhanden sein musste? Vor allem sollen die durchkorrigierten Manuskripte ihrer Werke darin gelegen haben. Viele Ihrer Handschriften sind heute verschollen. Sie sind im Zweiten Weltkrieg abhandengekommen. Es ist schade um jeden Zettel. 

„Willkommen im Klub.“

Ich weiß, wie interessant Ihre Manuskripte und Entwürfe sind und was für spannende Geschichten sich sogar noch auf den verworfenen Rückseiten der Blätter entdecken lassen. Viele Ihrer Briefkonzepte konnten gerettet werden, indem Forscher sie auf solchen Rückseiten aufspürten und mühsam entzifferten. Briefkonzepte, nicht einmal die Briefe selbst. Aber auch Schreiben, die Sie empfangen haben, landeten respektlos auf dem Stapel mit Schreibpapier. Sogar ein Brief von Rilke war darunter. Ihr Sohn Friedrich hat alles getreu aufgehoben und abgetippt. Er war ihr erster Archivar und mein Vorgänger. „Willkommen im Klub.“ Mit diesen Worten habe ich schon manchen begrüßt, Forscher aus aller Welt, die ins Archiv kamen und hier angesteckt wurden von der Leidenschaft, nach den heute zerstreuten Fragmenten Ihrer Texte zu suchen. Dieser Klub ist älter als ich, und manchmal habe ich den Verdacht, Sie selbst waren sein erstes Mitglied.

Ein Brief des Schriftstellers Theodor Fontane.
Ein Brief des Schriftstellers Theodor Fontane.

© Bernd Settnik/dpa

Sie würden staunen, wenn Sie sehen könnten, wie hoch die Autografen heute im Kurs sind, die Sie so schwungvoll und launisch mit der Schwanenfeder aufs Papier geworfen haben. Ihr Brief an Anna Witte aus dem Sommer 1882, in dem es um Ihre Tochter Martha geht und den man bisher nur aus dem Konzept kannte, wurde kürzlich versteigert. Wir sind überboten worden, wir vom Archiv, stellen Sie sich das einmal vor. Sie haben keine Vorstellung davon, welche Summen wir für unsere Ankäufe aufwenden müssen. Ohne die Unterstützung der Kulturstiftung der Länder, des Landes Brandenburg und anderer Sponsoren könnten wir nie und nimmer mithalten. Als im Jahr 2007 die Handschrift Ihres Gedichtes Herr von Ribbeck auf Ribbeck im Havelland versteigert wurde, hat ein privater Bieter den Zuschlag für 130 000 Euro erhalten und die drei wertvollen Blätter, die doch eigentlich allen gehören sollten, in seinem Tresor verschwinden lassen.

Eine Überlieferungskatastrophe

Ihr Tagebuch umfasste acht handschriftliche Bände. Drei davon befinden sich heute bei uns im Fontane-Archiv. Die anderen fünf sind verschollen. Paul Wallich war ihr letzter Eigentümer, der in der Villa Schöningen eine der wertvollsten Privatbibliotheken zusammengetragen hatte, die je in Potsdam existierten. Ihre Tagebücher hat er auf der denkwürdigen Auktion vom 9. Oktober 1933 erworben, auf der Ihr gesamter Nachlass zerstückelt und zerstreut wurde. Da kann sich Ihr Archivar noch so sehr abrackern. Eine solche Überlieferungskatastrophe bekommt man nur in den Griff, wenn alle bestandshaltenden Institutionen und auch die privaten Eigentümer dabei helfen. Virtuell ließe sich ein großer Teil Ihres Nachlasses rekonstruieren. Das wäre eine tolle Aufgabe!

Archivar zu sein, ist für Klaus-Peter Möller der beste Beruf der Welt.
Archivar zu sein, ist für Klaus-Peter Möller der beste Beruf der Welt.

© Peter Schaefer

Ihr Archivar zu sein ist auch ein schwerer Beruf. Sie kennen den Hochmut der Welt. Sie haben 1876 als Akademie-Sekretär in ähnlich subalterner Position nicht lange ausgehalten. Wer hört nicht die Gesänge der Freiheitsnachtigall? Aber es ist nicht jedem gegeben, ihrem süßen Ruf zu folgen. Es müssen auch einige in der Pflicht bleiben, wie John Maynard, und das Schiff ans Ufer steuern. Brennende Schiffe gibt es heute genug auf der Welt. Täglich erreichen uns Horrornachrichten von der großen Seenot im Mittelmeer. Der Planet wird vermüllt und verheizt. Tiere und Pflanzen sterben. Die „Generalweltanbrennung“, von der Sie im Stechlin schrieben, hat ein bedrohliches Ausmaß angenommen. Glauben Sie, dass es hinreicht, wenn ein Schriftsteller solche Übel klarsichtig beschreibt? Oder muss er sich auch positionieren, engagieren, eingreifen in das Geschehen? Vermag, wie Sie in ihrem letzten Roman vorhersagen, ein neuer Geistesadel die Welt von Grund auf zu verändern?

Mein Schreiben ist schon zu lang geworden

„Tand, Tand ist das Gebilde von Menschenhand.“ Täglich werden wir daran erinnert, wenn Flugzeuge abstürzen, Autobahnbrücken zusammenbrechen, Kernreaktoren explodieren. Gilt das auch für die Literatur? Für das Gedicht selbst, in dem diese Verse stehen? Es ist ja auch von einem Menschen ersonnen, von Menschenhand geschrieben. Nein. Die Poesie gehört zu den Wahrheiten, die wirklich nicht anfechtbar sind. Das Poetische hat immer Recht. Sofern es echt ist.

Über das Gewese, das man heute um Ihre Person und Ihr Werk in Brandenburg macht, würden Sie sicher staunen. Davon muss Ihnen ein anderer berichten. Mein Schreiben ist schon zu lang geworden. Und bei der Zeitung lässt sich der Raum nicht künstlich erweitern, indem man noch die Ränder vollschreibt, wie Sie es bei Ihren Briefen und Manuskripten regelmäßig getan haben.

Das wäre mein Arbeitsplatz gewesen!

Wenn das ginge, würde ich gerne zu festgesetzter Stunde bei Ihnen vorsprechen, um Ihnen konkrete Fragen vorzulegen. Die Liste wird täglich länger. Um nur ein Beispiel zu nennen, möchte ich Sie fragen, ob es stimmt, dass Sie den ersten Brief, den Sie von Adolf Menzel bekamen, zerknüllt und wütend in den Papierkorb geworfen haben, um ihn später wieder hervorzuholen, vorsichtig zu glätten und aufzubewahren. Dass er zerknittert ist, habe ich gesehen. Und ärgerlich war gewiss, was Menzel sich da erdreistet hat. Schließlich hat er über eines Ihrer berühmten Gedichte gespottet, noch dazu in Ihrem eigenen Poesie-Album. Aber natürlich kann auch ein anderer den Brief zerknüllt haben. Die Überlieferungsgeschichte kennt mancherlei Verwerfungen.

Verknüpft mit der Schenkung des Schreibtisches an das Märkische Museum war die Vorstellung Ihrer Erben, dass auch zukünftig die Manuskripte in den Schubfächern liegen sollten, in ihrer gewohnten Ordnung, und dass Fontanes Archivar an diesem Schreibtisch arbeiten sollte. Das wäre mein Arbeitsplatz gewesen! Oder der eines Kollegen.

Auch der Schreibtisch ist heute verschollen. Aber es kommt nicht darauf an, sondern auf den Geist, mit dem ein Amt verwaltet wird, auf Bereitschaft und Verantwortungsfähigkeit, gleich wo man hingestellt ist. „Mich beschäftigt nur, ob die richtigen Menschen an der richtigen Stelle sind. Und richtige Menschen sind die, die sich um mehr als ihren Maulwurfshügel kümmern.“ Diesen Satz notierten Sie bei Vorüberlegungen für den Schlusssatz Ihres letzten Romans, den Sie schließlich nach vielen Versuchen endlich hingeschrieben haben, einfach und überzeugend: „Es ist nicht nötig, dass die Stechline weiterleben, aber es lebe der Stechlin.“ Auch das ist eine Ihrer vielschichtigen, paradoxen, unanfechtbaren Wahrheiten.

Mit freundlichen Grüßen,

Ihr Klaus-Peter Möller

Es schreibt heute:

Klaus-Peter Möller, seit über 20 Jahren Archivar im Theodor-Fontane-Archiv Potsdam. Er ist Autor von „Der wahre E: Ein Wörterbuch der DDR-Soldatensprache“.

>>Nächste Woche schreibt die Autorin Helga Schütz, Ehrenbürgerin der Stadt Potsdam. Alle Folgen der Serie „Briefe an Fontane“ lesen Sie auf www.pnn.de/themen/fontane

Klaus-Peter Möller

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