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Trügerische Idylle. Alba August spielt Astrid Lindgren.

© DCM

Kinofilm über die Autorin: Früher Glanz und später Ruhm der Astrid Lindgren

Die Geschichte einer Emanzipation: Pernille Fischer Christensen hat mit „Astrid“ ein berührendes Biopic über die schwedische Kinderbuchautorin gedreht.

Angst hat sie nicht, jedenfalls nicht die Angst vor dem weißen Papier, unter der angeblich so viele Schriftsteller leiden. Astrid Ericsson hackt einfach drauflos, nachdem sie zum ersten Mal ein Blatt in eine Schreibmaschine gespannt hat. Ein magischer Moment. Sie ist 16 Jahre alt, fast noch ein Kind und gerade Volontärin bei der Lokalzeitung „Vimmerby Tidning“ geworden. „Ich kann gut buchstabieren, bin fleißig und kann Überstunden machen“, hatte sie im Bewerbungsgespräch gesagt. Das fand Chefredakteur Blomberg offenbar überzeugend, der gleichzeitig der einzige Redakteur, Anzeigenakquisiteur und Vertriebsleiter des Blatts ist. Anfangs muss Astrid Todesanzeigen abtippen und Druckfahnen korrigieren. Bald schreibt sie erste kleine Reportagen. Als ein Bahnhof eröffnet wird, dampft sie mit lauter Honoratioren, die Zylinder und Frack tragen, durch die Wald- und Wiesenlandschaft von Småland. Ihr Lieblingswort lautet „Freiheit“.

„Astrid“ heißt der Film, den die dänische Regisseurin Pernille Fischer Christensen über die Schriftstellerin gedreht hat, die später mit dem angeheirateten Nachnamen Lindgren weltberühmt werden sollte. Es ist die Geschichte einer Emanzipation. Die Heldin bricht auf in die Welt, heraus aus dem kleinen elterlichen Bauernhaus in die Redaktion des Provinzstädtchens, allerdings nur unter der Bedingung, dass sie weiterhin bei der Ernte helfen wird, später weiter nach Stockholm, wo für eine junge Frau mit ihren Talenten die Zukunft wartet. Die 25-jährige schwedisch-dänische Schauspielerin Alba August, bekannt geworden mit der Hauptrolle in der dystopischen Netflix-Serie „The Rain“, macht aus „Astrid“ ein Ereignis. Hinter dem Lebenshunger der Rebellin lässt sie immer wieder die Verletzbarkeit einer Außenseiterin aufscheinen.

Mutig ist Astrid, weil sie es sein muss

Einmal tanzt Astrid bei einem Ball im Dorfgasthaus zum Swing einer Drei-Mann-Kapelle, ganz allein, in eckigen Bewegungen und mit fliegenden Zöpfen. Man spürt ihre Wut, sie wirkt wie eine Punkerin im Jazz-Zeitalter. Die Zöpfe lässt sie sich beim Friseur abschneiden, eine radikale Maßnahme nach dem Vorbild der deutschen Zeitschrift „Die Neue Frau“, die ihr zufällig in die Hände gefallen ist. Wir befinden uns in der Mitte der zwanziger Jahre, als sich Revolutionen auch in den Frisuren zeigten. Bei Pippi Langstrumpf, der unbesiegbaren Anarchistin und Lindgrens größter Schöpfung, symbolisieren die Zöpfe das Privileg, für immer ein Kind bleiben zu dürfen. Die angehende Schriftstellerin kann es gar nicht abwarten, erwachsen zu werden. Sie wird es dann sehr schnell und anders, als erhofft. Mutig ist Astrid vor allem deshalb, weil sie es sein muss. Wie Pippi.

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„Du schreibst gut, du bist glänzend“, lobt Redakteur Blomberg (Henrik Rafaelsen) seine Volontärin. „Gib mir etwas von deinem Glanz ab, ich kann es brauchen.“ Weil er sich von seiner Frau scheiden lassen will und Astrid hartnäckig umwirbt, lässt sie sich auf eine Affäre mit dem 30 Jahre älteren Mann ein. Eine Rebellion, die zur Katastrophe führt. Denn Astrid wird schwanger, von einem verheirateten Mann, der schließlich nichts mehr von der versprochenen Ehe wissen will. Im streng protestantischen Milieu der schwedischen Provinz ist das die maximale Verfehlung. „Damit kommst du geradewegs in die Hölle“, sagt Astrids Mutter, die nichts so sehr fürchtet wie eine öffentlich werdende Schande.

Fünf Jahre vergehen, bis sie ihren Sohn holen kann

Mit der Idylle der „Bullerbü“–Bücher hat dieses Dorfleben wenig gemein. Es ist eine Welt, die vor allem aus Feldarbeit besteht und aus Sonntagvormittagen, die auf den harten Bänken der Kirche abgesessen werden. Astrid flieht bei Nacht und Nebel, um ihren Sohn Lasse in einem dänischen Krankenhaus zur Welt zu bringen. Anschließend zieht sie nach Stockholm, wo sie sich zur Sekretärin ausbilden lässt und in einem Verlagshaus landet. Lasse hat sie bei einer Pflegemutter (Trine Dyrholm) in Dänemark gelassen, in der Hoffnung, doch noch eine Familie gründen und ihn bald nachholen zu können. Bis dahin werden allerdings fünf Jahre vergehen. Die Besuche in Dänemark, bei denen Lasse sich nicht von seiner Mutter ins Bett bringen lassen will und zur Stiefmutter „Mama“ sagt, sind herzzerreißend.

Am Anfang des Films sitzt Astrid Lindgren, alt und legendär, in ihrem Wohnzimmer und beantwortet Leserbriefe. „Ich frage mich, wieso du so gut über Kinder schreiben kannst, obwohl es so lange her ist, dass du ein Kind warst“, fragt ein Leser. Vielleicht deshalb, weil man ihr das eigene Kind beinahe weggenommen hätte.

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