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Get Together mit Lothar Mikos (Mitte) im Garten der Filmuni-Babelsberg.

© Manfred Thomas

Interview zu 50 Jahren Sehsüchten: „Es geht darum, dass ihr euer eigenes Festival macht“

Er war der Coach im Hintergrund: Lothar Mikos betreut die Sehsüchte seit 1996. Ein Gespräch über das Festival als Lehrveranstaltung, Zäsuren, Zukunftspotenzial - und darüber, was zählt.

Herr Mikos, die Sehsüchte feiern 50. Jubiläum - mit 51 Mitwirkenden. Sie sind seit 1996 dabei, da hatte sich das Festival unter seinem aktuellen Namen gerade neu erfunden. Wie war das damals?

Damals fand das Festival noch im Café Melodie in Potsdam statt. Ein kleiner Rahmen, mit nur fünf Mitwirkenden. Der Studiengang Medienwissenschaft war 1993 gegründet worden und hatte zunächst nur fünf, sechs oder sieben Studierende - das wurde dann langsam mehr. Dadurch wurden die Teams größer. Und es kamen auch Studierende aus anderen Studiengängen, Dramaturgie oder Produktion, dazu.

Die Teamgröße hat sich verzehnfacht!

Seit fast zehn Jahren gibt es neben dem Master Medienwissenschaften den Bachelor- Studiengang „Digitale Medienkultur“. Auch da ist eine Festivalbeteiligung vorgesehen. Teilweise blieben die Studierenden drei, vier, fünf Jahre dabei.

Die Sehsüchte gibt es seit 1972, gegründet wurden sie als FDJ-Studentenfilmtage. Den aktuellen Namen tragen sie seit 1995.
Die Sehsüchte gibt es seit 1972, gegründet wurden sie als FDJ-Studentenfilmtage. Den aktuellen Namen tragen sie seit 1995.

© Foto; Matthias Tschiedel

Was hat sich noch verändert?

Das Festival ist immer professioneller geworden. Am Anfang haben die Filme die größte Rolle gespielt. Da gab es weniger Rahmenprogramm, es wurden im Wesentlichen die Filme gezeigt. Hinterher gab es noch Bier, das war es aber auch schon. Mittlerweile gibt es Rahmenprogramme und Panels. Darunter auch Formate, die später in der Medienlandschaft Karriere gemacht haben.

Dank Ulrich Crüwell hat Sehsüchte schon im Jahr 2000 das „Cineastische Quartett“ erfunden. Was auch sehr zur Entwicklung beigetragen hat: Dass sich die Förderer des Festivals stärker engagiert haben. Das Medienboard hat im Laufe der Zeit sein Engagement für die Sehsüchte mehr als verdoppelt.

Ausgerechnet die Filmuni aber gibt 2021 weniger Geld.

Das hat uns alle sehr geärgert. Es ist ja die Grundtendenz, dass sich Projekte wie die Sehsüchte oder die Kinderfilmuni auf Dauer selbst finanzieren sollen. Das ist in der Realität aber bei keinem Festival der Fall. Selbst die Berlinale finanziert sich nicht selbst. Zudem sind die Sehsüchte ja auch eine Lehrveranstaltung. Und als Lehrveranstaltung muss die Hochschule dafür Sorge tragen, dass es funktioniert.

Daumen hoch für den Nachwuchs. Wim Wenders bei den Sehsüchten 2011.
Daumen hoch für den Nachwuchs. Wim Wenders bei den Sehsüchten 2011.

© Manfred Thomas

Sehsüchte als Lehrveranstaltung - wie muss man sich das vorstellen?

Seitdem es den Masterstudiengang gibt, kriegen die Studierenden einen Schein dafür. Die Festivalstruktur steht ja. Es gibt ein Filmprogramm, das zu erarbeiten ist. Im Januar müssen dafür alle Filme eingereicht sein, im Februar werden sie gesichtet. In die Filmauswahl mische ich mich nicht ein. Ich bin eher der Coach für das Team. Wenn es Probleme gibt, werde ich gefragt. 

Vor dem Festival gibt es immer ein vorbereitendes Seminar, wo die Studierenden Dinge über Festivals lernen. Und wir sind immer zusammen ins Kino gegangen, danach haben die Studierenden Filmkritiken geschrieben. Schon in der Zulassungsprüfung müssen die Studierenden einen Text über einen Hochschulfilm schreiben, um zu begründen, ob sie ihn im Festival zeigen würden oder nicht.

Auch Regisseur Andreas Dresen ist Absolvent der Babelsberger Filmuni und bei den Sehsüchten ab und an dabei. 
Auch Regisseur Andreas Dresen ist Absolvent der Babelsberger Filmuni und bei den Sehsüchten ab und an dabei. 

© Manfred Thomas

Und was genau war Ihre Rolle als Lehrender?

Jedes Jahr im Herbst findet das sogenannte Wannsee-Wochenende statt, wo das alte und das neue Team plus Gäste wie ich gemeinsam Zeit in einem Freizeitheim verbringen und über das Festival reden. Worum geht es, was muss gemacht werden? Das war das Grundsatzprinzip dieser Selbstorganisation: Dass der alte Jahrgang den neuen in die Festivalarbeit einweist. 

Was in der Vergangenheit oft dazu geführt hat, das neue Festival immer höher, größer, weiter, schneller zu machen - und ich dabei bremsend einsteigen musste. Ich habe immer gesagt: Es geht darum, dass ihr euer eigenes Festival macht. Es muss nicht größer sein, sondern anders.

Was war die radikalste Veränderung?

Es gab mal eine Ausuferung von Preisen. Das Höchste waren 15 Preise, die vergeben wurden. Der „Sehsüchte“-Verein, der aus ehemaligen Beteiligten besteht, und ich haben dann eingegriffen und gesagt: Das macht keinen Sinn, es führt nur dazu, dass die Preisverleihungen unendlich lang und langweilig werden. Seit zwei Jahren haben wir die Vorgabe: nicht mehr als neun Preise plus eine Sonderkategorie des jeweiligen Jahrgangs.

Heute sind die Sehsüchte das größte Studierendenfestival Europas. Was funktioniert so gut?

Was die internationalen Filmemacher an den Sehsüchten lieben, ist, dass es ein Festival auf Augenhöhe ist, weil es von Studierenden organisiert ist. Das macht es besonders. Es gibt auch immer das Filmemacher-Frühstück, wo die Studierenden und die Filmemacher zusammenkommen. Oder das Fußballtournier, wo Mannschaften der Filmemacher gegen ein Sehsüchte-Team angetreten sind. Das ist auch eine Institution der Begegnung. Das Tournier gibt es seit Ende der 1990er Jahre, damals war das auch eine Übung für die Kameraleute, die mitgelaufen sind.

"Festival-Papa": Lothar Mikos und Felicitas Höhn von der Wirtschaftsförderung bei den Sehsüchten 2017.
"Festival-Papa": Lothar Mikos und Felicitas Höhn von der Wirtschaftsförderung bei den Sehsüchten 2017.

© Manfred Thomas

Seit letztem Jahr finden die Sehsüchte hybrid statt. Eine der größten Zäsuren?

Ja, auf jeden Fall. Im letzten Jahr hat uns die Pandemie leider ziemlich erwischt. Das Festival sollte eigentlich abgesagt werden, dann haben wir uns alternative Varianten überlegt und sind auf Ende September gegangen. Die Studenten haben dann dafür gesorgt, dass alles gestreamt werden konnte. Dieses Jahr wird es als Hybrid stattfinden: Soweit es die Verordnungen zulassen in Präsenz und auch gestreamt.

Wird diese Doppelgleisigkeit bleiben?

Was ganz wesentlich fehlt, ist die Anwesenheit der internationalen Filmemacher. Das hat das Festival sonst immer ausgemacht: Es war eine Begegnungsstätte von Menschen. Deswegen wird es auch in Zukunft im Wesentlichen ein Präsenzfestival sein, denke ich. Das müssen dann die kommenden Jahrgänge entscheiden. Dann kann ich leider nicht mehr mitreden, dann bin ich im Ruhestand.

Sie waren der Mann im Hintergrund.

Genau. Wie die Studierenden sagen: der Festival-Papa.

Und welche Auswirkungen der Pandemie sehen Sie für die Filmproduktion?

Auch in der Pandemie sind Studierenden-Filme entstanden, und die wird es immer geben. Weil es staatliche oder private Hochschulen gibt, die das ermöglichen. Insofern ist ein Studierendenfestival etwas unabhängig von den allgemeinen Tendenzen der Kinolandschaft. Was es bisher noch nicht gibt: eine Streaming-Plattform, die Studierenden-Filme zeigt. Das Sundance-Festival hat vorgemacht, wie es geht. Ich denke, das kann ein Zukunftsmodell für die Sehsüchte sein.

Die 50. Jubiläumsausgabe vom 21. bis 25. Juli steht unter dem Motto „ignite!“. Sie findet sowohl vor Ort an der Filmuni als auch über Streamingangebote online unter www.sehsuechte.de/online-programm statt. Im Rahmen einer Ausstellung blicken Macher:innen zurück auf die Geschichte der Sehsüchte. Während des Festivals ist diese in den Atrien der Filmuni Babelsberg zu sehen.

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