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Museumsleiterin Ortrud Westheider neben Monets "Getreideschober" von 1890.

© Sebastian Rost

Interview | Barberini-Chefin Ortrud Westheider: „Wir sind jetzt oben angekommen“

Ab 5. September sind die impressionistischen Werke aus der Sammlung von Hasso Plattner dauerhaft im Museum Barberini zu sehen. Leiterin Ortrud Westheider über den Beginn einer neuen Ära für das Haus, den Wert von Kunst und den Blick von Hasso Plattner.

Frau Westheider, über 100 impressionistische Meisterwerke, darunter 34 Monets, sind nun dauerhaft im Museum Barberini zu sehen. Der Beginn einer neuen Ära?

Es ist für uns ein Quantensprung. Bisher waren wir vor allem ein Haus für Wechselausstellungen, jetzt aber haben wir auch eine eigene Sammlung, die sich mit Museen in der ganzen Welt messen kann. In Europa hat nur Paris eine größere Zahl von Monets. Ich bin sicher, dass unsere Sammlung ein internationaler Anziehungspunkt für Besucher sein wird.

Sortiert sich damit die Ausrichtung des Museums noch einmal neu? Die Dauerausstellung wird die Hälfte des Museumsareals umfassen.

Unsere Ausrichtung als lebendiges Haus der Kunst hat sich als sehr erfolgreich herausgestellt und wird sich nicht ändern. Große Wechselausstellungen wollen wir weiter zeigen, innerhalb des Impressionismus und über ihn hinaus. Auch unsere neue Sammlung deckt ja ein sehr viel weiteres Gebiet ab als nur den Schwerpunkt Impressionismus. Wir können das alles zeigen, weil wir ja in Zukunft mehr Platz haben: Bald wird in Potsdam unser Schwestermuseum im Minsk eröffnet, das sich ganz auf unsere Sammlung von DDR-Kunst konzentriert. Ich finde es toll, dass es für diesen wichtigen Bereich bald ein eigenes Zentrum gibt.

Ist die Dauerausstellung auch der Versuch des Museums Barberini, dem "Museum" in seinem Namen gerecht zu werden?

„Museum“ heißt eigentlich, dass nicht nur wechselnde Kunst gezeigt wird, sondern auch eine eigene Sammlung besteht, das ist richtig. Und es ist schön, dass wir auch in diesem Sinne jetzt ein richtiges Museum sind. Der Unterschied ist groß, auch für die Besucher, denn sie haben jetzt die Möglichkeit, auszuwählen, ob sie sich in der aktuellen Ausstellung mit einem neuen Thema beschäftigen oder sich stattdessen in der Sammlung ganz in Ruhe und fast meditativ mit den großen Meisterwerken des Impressionismus beschäftigen wollen. 

Was ändert sich sonst?

Die Sammlung verändert unsere Art zu arbeiten. Wir haben auch vor unseren Wechselausstellungen viel geforscht, jetzt vertiefen wir natürlich die kontinuierliche Arbeit an dem Forschungsschwerpunkt Impressionismus. Wir wollen die Bilder nicht nur zeigen, wir wollen natürlich alles über ihr Schicksal, ihre Geschichte und Bedeutung erfahren und das über unsere Veranstaltungen mit den Besuchern teilen. Und wir werden uns dazu enger mit den Museen in Chicago, Paris, New York oder sonstwo auf der Welt vernetzen, die an ähnlichen Fragen arbeiten. Ein richtiges Museum ist immer auch ein Forschungszentrum.

 Ortrud Westheider
 Ortrud Westheider

© Ralf Hirschberger/dpa (Archiv)

Sie wollen mit jeder Ausstellung einen neuen Aspekt der Kunst auftun. Was ist dieser neue Aspekt in der Dauerausstellung?

Eine der schönsten Eigenschaften der Sammlung Hasso Plattner ist, dass man an ihr die ganze Geschichte des Impressionismus erzählen kann. Ein Gang durch unsere Räume ist wie ein Spaziergang durch die Welt, wie sie die Impressionisten gesehen haben. Das beginnt an der Mündung der Seine. Der Fluss verbindet Paris mit dem Meer. Da haben wir auch schon das Motiv des Wassers, der Spiegelung, aber auch des modernen Verkehrs. Im 19. Jahrhundert ist ja nicht nur die Eisenbahn, sondern auch das Dampfschiff neu. Mobilität, Verdichtung, Effizienzsteigerung: Das sind alles Themen des 19. Jahrhunderts, über die wir viel zeigen können. Die Ausstellung ist auch eine Reise ins 19. Jahrhundert, nach Giverny, Argenteuil, aber auch mit Berthe Morisot nach London oder mit Monet nach Venedig.

Wie aber unterscheidet sich der Ansatz des Museums Barberini vom Pariser Musée d’Orsay oder dem Musée des Impressionnismes in Giverny?

Das Museum in Giverny besitzt nur ein einziges Werk von Monet und setzt seinen Schwerpunkt ganz auf Wechselausstellungen. Das Musée d’Orsay ist viel breiter aufgestellt und deckt das gesamte 19. Jahrhundert mit all seinen Richtungen ab. Wir in Potsdam sind besonders stark darin, die Geschichte des Impressionismus in einer klaren und nachvollziehbaren Art erlebbar zu machen. Unsere thematische Gliederung hat zum Beispiel kein anderes Museum. Das ist wirklich unique.

Wo sehen Sie diese Einzigartigkeit jenseits der thematischen Gliederung?

Die besondere Identität des Museums Barberini entsteht vor allem durch den Blick des Sammlers: Herr Plattner hat in den vergangenen Jahrzehnten ja nicht einfach wertvolle Bilder angehäuft, sondern er hat mit viel Überlegung und Gespür eine echte Sammlung zusammengetragen, in der jedes Meisterwerk eine besondere Rolle erfüllt. Das versetzt uns als Kunsthistoriker in die Lage, eine durchgehende Geschichte zu erzählen und diese dann an den schönsten Bildern zu illustrieren. Da sieht man zum Beispiel nicht nur, wie Monet seine Malerei entwickelt, sondern entdeckt auch die Gemeinsamkeit mit seinem Kollegen Sisley ganz neu.

Unternehmer und Mäzen: Hasso Plattner zeigt seine private Impressionisten-Sammlung nun dauerhaft im von ihm 2017 errichteten Museum Barberini.
Unternehmer und Mäzen: Hasso Plattner zeigt seine private Impressionisten-Sammlung nun dauerhaft im von ihm 2017 errichteten Museum Barberini.

© Manfred Thomas

Sie sprachen den besonderen Blick von Hasso Plattner an. Was macht diesen Blick aus?

Herr Plattner hat ein unglaubliches Gespür für Qualität und sucht die Bilder aus, die eine besondere, starke Wirkung auf Menschen haben. Bilder, die einen über den Natureindruck, das Flüchtige, besonders stark involvieren. Der Impressionismus konzentriert sich immer auf das Momentane. Und Herr Plattner sucht sich immer die Werke aus, die den Moment besonders gut erfassen. Das sieht man besonders gut an den Wolken- und Wasserstudien. Als Segler kennt er die Wassertemperatur, die Wasserbeschaffenheit aus eigener Erfahrung mit der Natur. In dieser Erlebnisqualität hat er uns Kunsthistorikern etwas voraus. Dafür hat er ein geschärftes Auge.

Was genau sieht die thematische Struktur der Ausstellung aus?

Wir konzentrieren uns ganz auf die Wirkung der Bilder, auf die Blicke der Maler und die Motive, nicht allein auf den rein historischen Ablauf. Wie haben Monet, Caillebotte oder Signac ihre Umwelt erlebt? Die Bilder aus Paris bekommen einen eigenen Raum zu Beginn, die Landschaftsdarstellungen der Seine ebenso. Aber der Impressionismus hat sich verändert und weiterentwickelt, das zeigen wir natürlich: Hier im Obergeschoss, wo wir uns gerade befinden, ist „ein neuer Realismus“ Thema. Dargestellt sind Getreideschober und Wiesen aus Giverny, die auf eine neue Art gesehen und gemalt sind. Im Nachbarraum geht es ebenfalls um Modernität: Berthe Morisot, aber auch Monet haben sich von den Hafenstädten inspirieren lassen – wahrscheinlich, weil dort schon die Modernität der Industriegesellschaft greifbar war.

Den Impressionisten haftet nach wie vor an, dass sie sich vor allem der Harmonie und Idylle verschrieben haben. Ein Missverständnis?

Ja, das sind alles Vokabeln, die wir uns abgewöhnen müssen: Idylle, Pittoreske, Stimmung. Denn wir wissen aus den Dokumenten der Zeitgenossen, dass die Kunst der Impressionisten betitelt wurde mit: eigensinnig, radikal, demokratisch – was von den Monarchisten das schlimmste Schimpfwort war. Das war wild. In der Verweigerung der großen Erzählung, in der Haltung, sich auf seine Sinne zu konzentrieren. Es war eine Kunst, die auf den Körper zielt. Das hat nichts mit Idylle zu tun. Es ist unsere große Aufgabe, diese Wahrnehmung zu verändern.

Die Generation der Impressionisten erlebte den Deutsch-Französischen Krieg 1870/71. Der Maler Frédéric Bazille fiel. Exil, Armut, Tod: Von diesen traumatischen Erfahrungen ist wenig zu sehen – oder muss man nur genauer hinschauen?

In dem „Salon“, der offiziellen Kunstschau von 1874, gab es Schlachtenbilder. Die republikanische Regierung hat sogar dazu aufgerufen. Aber dieser Art von Auftragskunst haben sich die Impressionisten total verweigert. Und darin, dass sie bei ihren anfänglichen Ideen geblieben sind, sehe ich eine große Stärke. Sie haben sich politisch, national überhaupt nicht vereinnahmen lassen.

Reminiszenz an Monet, mit Grüßen aus dem Spreewald: Im Hof des Museum Barberini ist seit der Eröffnung von „Monet. Orte“ ein Heuhaufen zu sehen.
Reminiszenz an Monet, mit Grüßen aus dem Spreewald: Im Hof des Museum Barberini ist seit der Eröffnung von „Monet. Orte“ ein Heuhaufen zu sehen.

© Ottmar Winter PNN

Wir sitzen hier direkt vor dem berühmten Heu-Bild in Sonnenuntergangsstimmung von Monet …

Es ist kein Heu-, sondern ein Getreideschober! Auch da müssen wir uns einen neuen Begriff angewöhnen. Das ist anders als der spreeländische Heuhaufen, den wir unten im Museumshof zeigen. Im Getreideschober ist das so, dass die Ähren, das Wertvolle, nach Innen gelegt werden. So werden sie geschützt, der Regen wird abgeleitet.

Das Gemälde hat 111 Millionen Euro gekostet. Was sagen Sie als Kunsthistorikerin: Gibt es bei solchen Summen noch irgendeine Verbindung zum eigentlichen Wert der Kunst?

Bilder wie dieses sind Ikonen, sie haben die gesamte Kunstgeschichte geprägt und Millionen Menschen begeistert. Kandinsky hat sich später davon zur abstrakten Malerei inspirieren lassen. Monets Getreideschober ist unsere Mona Lisa. Wie soll man das beziffern? Es ist ein besonderer Moment, wenn so ein Gemälde überhaupt auf den Markt kommt. Und dieses Gemälde ist das einzige dieser Reihe in einem deutschen Museum. So ein Bild gehört in ein öffentliches Museum, das ist Herrn Plattners Vision. Dafür hat er diesen gigantischen Beitrag geleistet.

Hasso Plattner hat in einem Gespräch gesagt, Sie als Max-Beckmann-Fan fänden es vielleicht gar nicht so gut, wenn solche Summen für Monet ausgegeben werden.

Das war eine nette Würdigung meiner Beckmann-Forschung. Aber er weiß natürlich, wie ich gejubelt habe.

Kürzlich schrieb die Londoner "Financial Times", die Dauerausstellung im Museum Barberini sei ein „moment of joy“, ein „beacon of hope“, ein „must see“. Wie lässt sich all das noch toppen?

Wir müssen es nicht mehr toppen. Wir sind jetzt oben angekommen. Jetzt geht es darum, diese Freude zu teilen.

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Ortrud Westheider, 1964 in Versmold geboren, hat unter anderem Kunstgeschichte und Geschichte studiert. 2006 wurde sie Leiterin des Bucerius Kunst Forums in Hamburg, seit 2016 ist sie Direktorin des Museums Barberini, das Anfang 2017 mit der Ausstellung „Impressionismus. Die Kunst der Landschaft“ eröffnete. 2020 folgte „Monet. Orte“. Die Dauerausstellung „Impressionismus. Die Sammlung Hasso Plattner“ im Museum Barberini ist ab 5. September für das Publikum geöffnet.

Lena Schneider

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