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Das Plakat zur Kinderoper "Das Land Bum-Bum" von Georg Katzer gestaltete Albrecht von Bodecker.

© Bodecker/Komische Oper

"intersonanzen" in Potsdam: „Die Doppelbödigkeit fehlt“

Ulrike Liedtke spricht bei dem brandenburgischen Fest der Neuen Musik „intersonanzen“ über Kompositionen aus Ost- und Westdeutschland. Ein Vorgespräch.

Von Helena Davenport

Frau Liedtke, Sie leiten am Samstag bei den „intersonanzen“ ein Symposium zur Einheit und Differenz in der Neuen Musik. Gab es denn vor 1989 starke Unterschiede zwischen Ost und West?

Ja, die gab es und zwar wegen der Verfügbarkeit von Material. Sie müssen sich vorstellen, dass die neuesten Kompositionen aus dem Westen – von Luigi Nono, Mauricio Kagel oder Karlheinz Stockhausen zum Beispiel – im Osten als Notenmaterial nicht existent waren. Das hat teilweise dazu geführt, dass man sich etwas im Radio anhörte, und es währenddessen selbst aufgeschrieben hat, um es sich zu merken, es zu verstehen. Es wurde im Osten also ein sehr aufwendiges Studium der Musik aus dem Westen betrieben. Umgekehrt gab es das natürlich nicht: Im Westen wäre niemand auf die Idee gekommen, DDR-Musik mitzuschreiben.

Und wie war die Entwicklung nach der Wende?

Ich selbst habe in Leipzig studiert. Wir waren sehr nah an dem dran, was im Westen passiert ist, aber mit einem unheimlich großen Aufwand. Später konnte ich gemeinsam mit Frank Schneider – das war der Intendant vom Konzerthaus in Berlin, ein Ost-Musikwissenschaftler also – und Hermann Danuser von der Schweizer Paul-Sacher-Stiftung, und West-Musikwissenschaftler an der Humboldt-Universität, zusammen arbeiten. Die beiden als Editionsleiter und ich als Autoren-Beiratsvorsitzende haben insgesamt 122 CDs herausgegeben, die die Musik in Deutschland von 1950 bis 2000 in Ost und West darstellen sollten. Von 2000 bis 2012 war das. Unsere Hypothese hieß, dass es einen großen Unterschied gibt. Wir haben gesagt: Der Osten hinkt sicherlich hinterher. Dann stellten wir fest: Das stimmt künstlerisch gar nicht! Obwohl die Rahmenbedingungen natürlich unterschiedlich waren. Nach 2000 hört die CD-Dokumentation dann auf, wir hatten uns diese 50 Jahre vorgenommen. Jetzt wird es natürlich spannend. Was kommt danach? Interessant sind die wirklich ungebrochenen Lehrer-Schüler-Verhältnisse im Osten. Es war nämlich nicht so, dass sofort alle weggegangen sind, um in Amerika zu studieren oder so. Es gab ein sehr stabiles Lehrer-Schüler-Denken, das zu sehr großen Leistungen geführt hat.

Das heißt, nach der Wende hat sich das Verhältnis angeglichen?

Ja genau, und es kommt noch etwas anderes hinzu. Ich bin Jurorin in der Edition Zeitgenössische Musik vom Deutschen Musikrat. Jedes Jahr werden dort drei oder vier personelle CDs produziert, und wir müssen aussuchen, wer diese Möglichkeit der Präsentation bekommt. Wir haben inzwischen ein internationales kompositorisches Spektrum. Die Künstler leben hier, aber kommen ursprünglich aus anderen Ländern.

Wofür steht Neue Musik, abgesehen davon, dass mit diesem Begriff Produktionen nach 1910 gemeint sind?

Ich würde sagen, für das akustische Ereignis. Und dieses kann eine akustische Aktion sein, aus Tönen, Geräusch, Klang, auch aus irgendetwas, das man noch nie gehört hat. Und da spielt für mich immer der aktuelle Materialstand eine große Rolle. Kann ein handwerklich guter Komponist sofort eine kleine Suite im Bach-Stil schreiben? Das kann man, das muss man sogar können, um entsprechend virtuos mit Klängen umzugehen. Aber das wäre absolut uninteressant, weil es das schon gibt, weil es das auch schon sehr gut gibt. Deswegen muss man überlegen, wie man das, was heute akustisch vorhanden ist, anders kombiniert. Da spielt Geräusch eine große Rolle, oder der Klang von Materialien. Ich habe jetzt gerade ein Stück gehört, da wurde mit Kugeln experimentiert. Wie fasse ich Kugeln an? Wie hört es sich an, wenn eine Kugel kullert oder auf Holz, Stahl, Fell fällt? Dann kommt natürlich noch Elektroakustisches hinzu, die Möglichkeit der Bearbeitung mithilfe von Software.

Und wieso ist es, Ihrer Meinung nach, wichtig, über die Unterschiede in der Neuen Musik zu sprechen?

Das ist auch eine politische Frage: Wo liegen jetzt die einheitlichen oder differenzierten Wesenszüge der Ostdeutschen und Westdeutschen? Das ist ein politisches Thema, über das man dreißig Jahre nach dem Mauerfall natürlich nachdenkt. Ich bin mir sicher, dass die Komponisten, die ich zu dem Symposium eingeladen habe – sie kommen aus drei Generationen – das aus jeweils sehr unterschiedlichen Perspektiven beobachten werden. Ich vermute ja, dass es am Samstag nicht bei der Diskussion über Musik bleibt, sondern dass es schnell zu Rahmenbedingungen übergeht.

Verraten Sie, wer genau zu Gast sein wird?

Wir erwarten Erhard Großkopf, Rainer Rubbert, Thomas Gerwin, Kaspar Querfurth, Meredi und Sebastian Elikowski-Winkler.

Und was sind die aktuellen Tendenzen unter Brandenburger Komponisten?

Das kann man gar nicht mehr sagen. Und zwar deswegen nicht, weil die Musik insgesamt so vielfältig geworden ist. Innerhalb der aktuellen Musik gibt es etwa Rock, Pop und Jazz, Musical, Musiktheater, konzertante Stücke, Klangkunst, Geräuschmusik oder Computermusik. In der Musikgeschichte gibt es immer Wellen. Man denkt in einem Gesamtkunstwerk, und dann wieder puristisch eng. Und ich glaube, dass wir im Moment auf einer Welle des Gesamtkunstwerks sind, dass wir sehr viele Dinge miteinander verbinden. Auch visuelle Elemente, notierte Musik, improvisierte Musik und so weiter. Und es wird dann etwas geben, womit es wieder ganz anders weitergeht. Es wird eine Klangerzeugung gefunden werden, die wir jetzt noch nicht kennen. Dann wird sich alles darauf konzentrieren, so wie sich alles eine Zeit lang auf elektroakustische Musik konzentriert hat. Ich kann nicht in eine Glaskugel gucken, aber so könnte es aussehen.

Gibt es Themen, meinetwegen auch politische, die von Brandenburger Komponisten aufgegriffen werden?

Das ist etwas, was ich in Gesprächen mit Komponisten auch oft thematisiere. Weil ich sie dazu animieren möchte, sich musikalisch einzubringen, zum Beispiel beim Thema Klimawandel. Zu DDR-Zeiten hat man gegen den Staat rebelliert. Georg Katzer hatte damals ein Stück geschrieben, das heißt „Das Land Bum-Bum“, eine Kinderoper, die in einer geschlossenen Gesellschaft spielt. Sie wurde Ende des Siebziger in der Komischen Oper in Berlin uraufgeführt. Da tauchen zum Beispiel ein lustiger Musikant und ein Mädchen namens Zwölfklang auf. Letzteres muss Musik essen, um zu überleben. Allerdings sind die lustigen Töne verboten. Hier gibt es also einen politischen Bezug. Außerdem wird abgehört, ob man lustige Töne spielt oder nicht, dazu laufen großen Ohren herum. In diesem Stück ist dermaßen viel politische Aussage drin, und trotzdem ist es Kunst und überhaupt nicht vordergründig politisch. Irgendwann entlarvt der lustige Musikant die Lüge des Königs, der Doppel-B-Moll heißt. Ab diesem Moment können plötzlich alle wieder lustige Melodien spielen. Solche Stücke vermisse ich heute. Oft ist das Einbeziehen von Botschaften zu platt – dann will ich es nicht haben. Die Doppelbödigkeit fehlt. Sie war ja übrigens ein Merkmal der DDR-Kunst: Weil man es so direkt nicht darstellen konnte, hat man überlegt, wie man es verpackt.

Wie wird ihr Symposium am Samstag genau ablaufen?

Ich wurde schon öfter gebeten, das Symposium näher zu beschreiben, aber eigentlich will ich das nicht. Ich möchte, dass viel von den Gesprächspartnern kommt. Es wird sicherlich die Frage aufkommen: Was für eine Rolle spielt Neue Musik als Teil der aktuellen Musik überhaupt? Welche Rolle spielt Neue Musik als Teil des gesellschaftlichen Lebens? Es ist nur eine Rolle am Rande, da darf man sich natürlich nichts vormachen. Und ich muss sagen: Mich persönlich interessiert mehr, was jetzt kommt, als das womit ich aufgewachsen bin. Es wäre also interessant zu fragen: Wie geht es weiter? Und wie kann man die Ohren der anderen dafür neugierig machen?

Samstag, 10 bis 14 Uhr, Kunsthaus sans titre, Französische Str. 18, Atelier Meininger oben, Eingang hinten rechts

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