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Historischer Grafik-Kalender für 2018: Als Potsdam noch dunkel war

Alfred Schmidt begrüßt auch 2018 mit einem Kalender und schenkt dem Potsdam Museum Bilder einer vergangenen Zeit.

Potsdam - Das neue Jahr ist fast da, der neue Kalender von Alfred Schmidt ist es schon jetzt. Seit 1996 wartet der Potsdamer Maler zuverlässig zum Jahresende mit Potsdam- Bildern in Pastelltönen auf: Magnolien am Marmorpalais, Blumenrabatten vor dem Haus von Max Liebermann, die Hauptallee im Park Sanssouci im Herbst, die Friedenskirche im Schnee. Das Potsdam, das Alfred Schmidt in seinem Kalender zeigt, sieht gut aus, farbenfroh. der Kalender verkauft sich bestens, Schmidt schickt ihn an Potsdam-Fans deutschlandweit. Auf dem Titelblatt 2018 prangt, in frischem Gelb, das Museum Barberini.

Drinnen im Museum ist gerade die Schau „Hinter der Maske“ zu sehen, mit Kunst aus der DDR. Bis auf einen Künstler, Karl Raetsch, ist kein Potsdamer dabei. Dabei könnten, theoretisch, auch Schmidts Werke dort hängen. Denn es gibt neben dem pastellfarbenen Idyllen-Maler Alfred Schmidt von heute noch einen anderen Alfred Schmidt. Einen, der in den frühen 1980er-Jahren in Potsdam um die abrissreifen Häuser zog, in die maroden Dachböden krauchte, durch die Hinterhöfe schlich und all das, den Verfall der historischen Fassaden, in düsteren Grafiken festhielt. Diese wurden DDR-weit ausgestellt – und sogar vielfach verkauft. Bis zur Wende zumindest, danach wollte plötzlich keiner mehr die düsteren Grafiken sehen, erzählt Schmidt. Die Galerien schickten ihm seine Bilder zurück.

Kürzlich hat der neue Alfred Schmidt den alten wieder herausgekramt. Wer den Maler dieser Tage zu Hause im Atelier in der Berliner Straße besucht, trifft auf beide gemeinsam. In einer Ecke stehen die Exemplare des Kalenders und warten aufs Verschicktwerden. Auf dem Tisch ausgebreitet, handschriftlich katalogisiert, die Grafiken seiner Abrisshäuser und Hinterhöfe. Er will sie dem Potsdam Museum übergeben. Im dortigen Bestand finden sich bisher nur etwa eine Handvoll seiner Grafiken, einige davon waren 2016 in der Ausstellung „Potsdam in der Grafik“, andere Anfang 2017 im Landtag in der Schau „Erzählte Geschichten“ zu sehen. Alfred Schmidt ist gerade 75 geworden, er findet, dass der Zeitpunkt gekommen ist, seine Grafiken und Aquatinta-Radierungen dem Museum zu übergeben. 70 hat er ausgewählt, darunter 56 Abrisshäuser.

Rund 20 Grafiken von Alfred Schmidt waren 2012 bereits zu sehen, als das damals noch in der Benkertstraße angesiedelte Potsdam Museum dem Maler zum 70. Geburtstag eine Ausstellung schenkte. Viele der Bilder, die Schmidt jetzt dem Museum übergibt, sind noch nie ausgestellt worden. Warum aber gerade jetzt die Übergabe ans Museum? Schmidt ist kein Mann pompöser Erklärungen. „Die Grafiken sind ja auch Zeitdokumente“, sagt er vorsichtig. „Und als solche gehören sie ins Museum.“ Anfang Januar sollen die Werke dem Museum offiziell übergeben werden.

Grafiken zeigen ein Potsdam, das es so nicht mehr gibt

Tatsächlich zeigen die Grafiken ein Potsdam, das es so nicht mehr gibt – oder vielmehr künftig nur noch im Museum. Das „Bolga“ zum Beispiel kennt heute fast keiner mehr. Eine bulgarische Gaststätte in der Zeppelinstraße, die damals noch Leninallee hieß. Konzerte gab es da, Jazz. Schmidt hielt das eingefallene Gebäude fest, die Abrissbirne stand schon daneben. Kurz darauf war es weg, Neubauten entstanden. 1980 war das. Schmidt hatte gerade seine Arbeit als Farbgestalter beim VEB Umweltgestaltung und Bildende Kunst aufgegeben, um nur noch als Künstler zu arbeiten.

Mitten in Potsdams Mitte, wo heute die Mieten unerschwinglich sind, hielt Schmidt in den knapp zehn Jahren bis zur Wende eingefallene Gebäude fest, mit Schutt überladene Höfe. Eine Zeit, als aus den Dächern noch Fernsehantennen wie dürre Zeigefinger in den Himmel ragten und, man mag es kaum glauben, das Holländische Viertel als Assi-Viertel galt. Weil die Wohnungen hier marode und überfüllt waren, wie Alfred Schmidt erzählt, und nur unzureichend beheizt von Kachelöfen. Das ganze Areal war vom Abriss bedroht, was nur aufgrund einer Bürgerinitiative verhindert werden konnte. Der Großteil der Bevölkerung wollte weg aus den unsanierten Altbauten, hin zu den Neubauten mit Fernheizung. Heute sind die Neubauten alt und als Platten verschrien, und die meisten Häuser im Holländerviertel in privater Hand.

„Das ist doch alles tot. Die Gärten gepflegt, aber kein Mensch zu sehen“

Alfred Schmidt, 1942 in Potsdam geboren, lebte in den 1970er- und 1980er-Jahren selbst auch in maroden Häusern. Allerdings herrschaftlich am Heiligen See – in der Gegend, in der er auch aufgewachsen ist. Lange wohnte er in der Villa Rumpf, in einer legendären Künstler-WG mit Peter Wilde, Christian Heinze und Manfred Nitsche. Wilde, der als Szenenbildner arbeitete, holte den Defa-Clan ins Haus, die Schriftstellerin Maxie Wander war auch da, man feierte rauschende Feste. Heinze und die anderen nahmen Schmidt, den Autodidakten, zunächst nicht ganz ernst. Erst als Schmidt in den großen Ausstellungen vertreten war, 1987 in der letzten Kunstausstellung der DDR in Dresden oder 1989 in den „100 ausgewählten Grafiken“ des Kunsthandels der DDR, änderte sich das.

Schmidt war da schon in die Seestraße 30 umgezogen, mit Blick auf den Heiligen See. Er wohnte mehr als ein Vierteljahrhundert da, wollte nie weg. Immer wenn nach der Wende potenzielle Käufer kamen sagte er: Nur mit mir! Sogar „Der Spiegel“ schrieb darüber. Am Ende ging er doch. Das Haus wurde verkauft, die neuen Besitzer fällten als Erstes die großen Bäume im Garten und Schmidt dachte sich: „Dit wird nüscht.“

Seit 2009 wohnt er jetzt in der Berliner Straße, immer noch herrschaftlich, aber inzwischen durchsaniert – und mit Blick auf den Tiefen See. Zurück an den Heiligen will er nicht mehr. „Das ist doch alles tot. Die Gärten gepflegt, aber kein Mensch zu sehen.“ Früher, sagt er, da sah man die Bewohner dort beim Angeln.

Kunst aus der Zeit der Hausbesetzungen 

Alfred Schmidt könnte seine Geschichte als eine der Verdrängung erzählen. Aber das tut er nicht. Genauso wenig wie er sich für die heutigen Abrisshäuser in Potsdam interessiert – noch gibt es ja welche, und zwar mitten im Zentrum. Aber die Zeit der Abrisshäuser ist für Schmidt vorbei. Lieber erzählt er, wie Günther Jauch, einst Nachbar am Heiligen See, sein erstes Bild bei ihm kaufte, es hängt noch heute in Jauchs Küche: „Der fliegende Holländer“, ein Eckhaus aus dem Holländischen Viertel, rechts ein Bauwagen. Das Bild entstand direkt nach der Wende. Potsdam war noch grau damals, aber der Leerstand in den historischen Vierteln belebte sich, wurde bunt. Es war die Zeit der Hausbesetzungen. Auch diese Zeit ist inzwischen vorbei, und Schmidt hat auch sie intensiv dokumentiert. Das besetzte Haus, das er 1997 in der Dortustraße malte zum Beispiel: Damals eine hundertwasserbunt bemalte Fassade, auf Schmidts Bild ist sie ein strahlender Lichtfleck inmitten eines grauen Straßenzugs, davor ein kahler Baum. Heute ist das Haus ein gepflegtes Hotel.

Auch Schmidts Sohn gehörte in den 1990ern zu den Hausbesetzern. Heute führt er ein geregeltes Leben, arbeitet mit Computern. „So ist das“, sagt Alfred Schmidt. Ohne Groll, ohne Sentimentalität, mit spitzbübischem Lachen. Menschen verändern sich, Städte auch. Einer wie Schmidt wird sich dem Lauf der Dinge nicht in den Weg stellen. Aber er wird ihn dokumentieren. Früher in Aquantinta, heute in Pastell.

Alfred Schmidts Kalender „Landschaften Potsdam 2018“ gibt es im Fachhandel oder online auf www.alfred-schmidt-potsdam.de

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