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Landtagspräsidentin Ulrike Liedtke (SPD).

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Gastbeitrag | Landtagspräsidentin Ulrike Liedtke: Was ist uns Kultur wert?

Infrastruktur oder Wirkungsräume sind gut. Noch wichtiger ist aber, die Systemrelevanz von Kultur anzuerkennen.

Vielleicht gibt es keinen besseren Zeitpunkt, engagiert für Kultur zu streiten. „Ohne Kunst und Kultur wird es still“ lautet der Slogan in den sozialen Netzwerken, und tatsächlich ist es still geworden. Selbstverständliches gehört gerade nicht zum Alltag – nicht die Chorprobe, die Lesung, die Clubmusik, kein Theater, Kino, Museum, Kabarett, nicht das gemeinsame Musizieren, nichts Multikulturelles oder Multimediales. Wer hätte gedacht, dass so viele Menschen Kultur vermissen? 

Kultur ist Kommunikation, Dialog mit sich selbst und in der Gemeinschaft, auch politischer Diskurs, Bildung, Soziales. Sie bietet Widersprüche, neue Ideen, Denkansichten, Meinungsbilder, Sichtweisen, Weit- und Weltsicht. Kultur ist unverzichtbar, um gesellschaftliche Prozesse anzustoßen und zu fördern, um Bewegung zu ermöglichen – es beginnt in den Köpfen. So lässt sich Veränderung zum Besseren von unten, auf demokratische Weise, bewirken und gestalten: Nicht auf Befehl oder per Gesetz, sondern als Wechselspiel von Reflexion und Engagement vieler Menschen.  

Corona-Auszeit führt zu neuen Einsichten

Aber: Wird Kultur ihrer Vorreiterrolle in der Gesellschaft gerecht? Ist sie ein Seismograph der Entwicklung? Reagiert sie schnell genug? Kann sie das, wenn Corona den Schalter zwischen Auf und Zu umlegt? Kultur ist als Teil der Gesellschaft von der Pandemie ebenso betroffen wie andere Bereiche auch. Die Corona-Auszeit stellt überall Gewohntes auf den Prüfstand und führt zu neuen Einsichten: Wirtschaftskreisläufe verändern sich, Digitalisierung in allen Lebensbereichen, lernintensive kleinere Schulklassen, persönliche und gesellschaftliche Werte werden überdacht.  

Alles ändert sich, auch Kultur! Dafür braucht sie eine krisenfeste Infrastruktur, Lebenserhaltungskosten für Profikünstler und Wirkungsräume. Und die breite soziale und kulturelle Basis der Amateure in Vereinen vor Ort bedarf der Unterstützung. Ziel bleibt die Umsetzung der Unesco-Konvention zum Schutz und zur Förderung Kultureller Vielfalt, bestehend aus dem Erbe, aktuellen Ausdrucksformen und fremden Kulturen im eigenen Land. Knapp 150 Staaten haben unterschrieben, 2007 auch Deutschland.  

Wegen der Corona-Einschränkungen sind Theater, Konzertsäle oder Kinos derzeit geschlossen. Kunst und Künstler darben in Lockdown-Zeiten. 
Wegen der Corona-Einschränkungen sind Theater, Konzertsäle oder Kinos derzeit geschlossen. Kunst und Künstler darben in Lockdown-Zeiten. 

© Soeren Stache/dpa

Wie können wir das erreichen? Nicht allein durch den Ruf nach Geld und Öffnung von Kultureinrichtungen. Kulturfördergesetze werden in verschiedenen Bundesländern debattiert, Landes-Kulturräte gründen sich spartenübergreifend, ohne Kultur einzuteilen in Hoch und Tief, E und U und Sub. Die Kulturschaffenden selbst haben das lange überwunden und würden im Traum nicht darauf kommen, unter „Freizeit“ einsortiert zu werden wie jetzt im Bundesinfektionsschutzgesetz. Stattdessen gehört Kultur zweifelsfrei zur Daseinsvorsorge in der Kommune und ist als Pflichtaufgabe zu verankern, vielleicht mit einem Prozentanteil am Gesamthaushalt. 

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Landeskultur hat Infrastruktur zu sichern, Identität zu stärken und gemeinsam mit den Institutionen und Vereinen Förderprogramme zu entwickeln. Bundeskultur unterstützt die überregional relevanten Kultureinrichtungen und -höhepunkte, muss ihre Fonds für Kreative weiter auffüllen können und dauerhaft die soloselbständigen Künstler und Kulturveranstalter fördern; dazu gehört das klare Bekenntnis zu Honorarmindeststandards. Das ist alles nicht einfach, weil die Vertragsverhältnisse in der Kultur sehr verschieden sind. Aber: Kultur als Staatsziel ist längst überfällig. Europäischer Austausch und interkulturelles Denken werden umso wichtiger, je mehr notwendige nationale Wirtschaftsförderung mit Weltoffenheit kollidiert. 

Kultur ist die Basis unseres demokratischen Miteinanders

Und wie geht es jetzt weiter, also heute und morgen? Vorrangig gilt es, Kontakt zu halten zu denen, für die Kultur gemacht wird, zum Publikum. Alternative Varianten digital und außerhalb geschlossener Räume werden täglich erfunden. Kultur lebt vom ungeahnten Neuen. Das ist oft anstrengend, herausfordernd, ungewiss – und entspricht so dem Wesen der Kultur, die sich nicht als bloße Institution versteht.  

Vielleicht gibt es auch bald den Corona-Schnelltest mit Speichelprobe zur Eintrittskarte, verbindliche Infektionsschutzanforderungen bei Öffnung von Kulturbetrieben und neue Möglichkeiten, sich künstlerisch auszudrücken. Am wichtigsten aber ist es, die Systemrelevanz der Kulturschaffenden anzuerkennen. Denn: Kultur ist die Basis unseres demokratischen Miteinanders.

Ulrike Liedtke

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