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Manfred Paul fotografierte 1990 im Potsdamer Stasigefängnis die Spuren ehemaliger Insassen. 

© Repro Erna Schielden

Fotografien vom Stasi-Gefängnis Lindenstraße: Die Stille in den Dingen

Von 1952 bis 1989 wurde die Haftanstalt in der Potsdamer Lindenstraße von der Staatssicherheit genutzt. Fotograf Manfred Paul besuchte das „Lindenhotel“ im Jahr 1990, kurz nach der Öffnung.

Potsdam - Zwei Pritschen, dazwischen kaum ein Meter Platz. Ein Fenster mit Milchglas, blind. Ein Waschbecken, zwei Waschlappen, eine Bürste. Ein Eimer aus Metall, ein Spiegel an der Wand. An den Fußenden zwei Stapel säuberlich gefalteter Wäsche - und je ein Paar karierter Hausschuhe. Beim linken sind die Fersen heruntergetreten.

Wem waren diese Schuhe zu klein? Wer lag hier, wessen Kleidung liegt da? Wer vor den Fotografien von Manfred Paul im Kunsthaus sans titre steht, hat den Kopf voller Fragen - und den Eindruck, selbst in die enge, bedrückende Welt zu treten, die hier gezeigt wird. Es handelt sich um das Untersuchungsgefängnis der Staatssicherheit an der Potsdamer Lindenstraße, der Volksmund machte daraus „Lindenhotel“. So heißt auch diese Ausstellung.

Vom Gefängnis zum "Haus der Demokratie"

Im frühen 19. Jahrhundert war das Haus an der Lindenstraße als Ort der Demokratie genutzt worden - wie knapp zweihundert Jahre später, im Frühjahr 1990, wieder. 1809 kamen hier die ersten gewählten Stadtverordneten zusammen, 1820 zog das Stadtgericht ein, Anfang des 20. Jahrhunderts das Amtsgericht. Damals entstand im Hinterhof der Gefängniskomplex, den ab 1952 das Ministerium für Staatssicherheit nutzte.

Am 5. Dezember 1989 besetzten Bürgerrechtler:innen die MfS-Bezirksverwaltung an der Hegelallee, abends forderte ein Bürgerkomitee Zugang zur Haftanstalt Lindenstraße. Alle politischen Häftlinge wurden entlassen. Zum Jahreswechsel 1989/1990 erhielt die Stadt Potsdam das Areal zurück - der Weg war frei für andere Nutzungen.

"Lindenhotel" taufte der Volksmund das Stasigefängnis in der Lindenstraße. Es ist auch der Titel der Ausstellung im Kunsthaus sans titre. 
"Lindenhotel" taufte der Volksmund das Stasigefängnis in der Lindenstraße. Es ist auch der Titel der Ausstellung im Kunsthaus sans titre. 

© Ottmar Winter PNN

Eine poetische Erfahrung

In dieser Phase begann auch der Fotograf Manfred Paul, Jahrgang 1942, sich mit dem Ort zu beschäftigen - er sollte ihn für die Wanderausstellung „Im Namen des Volkes - Über die Justiz im Staat der SED“ fotografieren. Im Januar 1990 zogen Bürgerinitiativen und oppositionelle Gruppen wie das Neue Forum und die SDP ein - aus dem Ort wurde ein „Haus der Demokratie“. 

Paul erhielt die Schlüssel für alle Zugänge, schaute sich in Ruhe um, kam mehrmals wieder. War verstört von dem, was er sah. Die Fotos, die er dem Schreckensort damals abrang, sind im sans titre erstmals zu sehen. Lange habe er gezögert, die Bilder zu zeigen, schreibt Manfred Paul in einer Begleitpublikation. Sie seien seine „poetische Erfahrung“.

Das Thema von Pauls Fotos: das Leben

Er habe versucht, die vorhandenen Dinge zu befragen, schreibt Paul. „In den Dingen selbst verbirgt sich für mich eine eigene Wirklichkeit, eine Stille, die im Moment der Betrachtung durch den Augenblick seine Tiefe erreicht.“

Die großformatigen Fotografien, gehängt auf Augenhöhe, ermöglichen ein fast vollständiges Eintauchen in diese Stille. In den Kratzern im Putz, dem zerwühlten Wäscheschrank, dem fleckigen Boden sucht man Auskunft über die, die hier eingesperrt waren - und denkt an den Fotografen Manfred Paul. Der schreibt: „Das Thema meiner Bilder ist das Leben, ohne dass ich darüber reden muss.“ 

Bis 17. Juli im Kunsthaus sans titre, Französische Straße 18. Am 17. Juli ab 17 Uhr Zeitzeugengespräch mit dem ehemaligen Häftling Bernd Richter, dem Historiker Peter Ulrich Weiß und Maria Schultz, Leiterin der Gedenkstätte Lindenstraße

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