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Pepe Danquarts "Vor mir der Süden" startet am 1. Juli in den Kinos, auch im Thalia Babelsberg.

© Filmverleih

Filmgespräch zu Pasolini im Thalia-Kino: Die Entzauberung des Mittelmeeres

Seit 17. Juni ist das Thalia-Kino wieder offen, jetzt sind auch die Filmgespräche wieder da: Pepe Danquart zeigte seine Pasolini-Doku "Vor mir der Süden". Filmstart ist am 1. Juli.

Potsdam - Der Tod des Regisseurs Pier Paolo Pasolini ist fast ebenso berüchtigt wie sein Skandalfilm „Die 120 Tage von Sodom“. Er entstand in Pasolinis Todesjahr 1975, wurde wegen der Sex- und Gewaltszenen in einigen Ländern verboten und ist es mancherorts bis heute. Bevor Pasolini ihn fertigstellen konnte, wurde der Regisseur  ermordet, am Strand von Ostia in der Nähe von Rom. Nur von wem? Eine politische Tat? Oder war es doch der Stricherjunge Pino Pelosi? Man weiß es bis heute nicht. Und wird es wohl nie wissen.

Nachdem das Babelsberger Thalia-Kino bereits am 17. Juni wieder seine Säle geöffnet hat, hat es nun nach langer Corona-Pause auch seine Tradition der Filmgespräche wieder aufgenommen - mit „Vor mir der Süden“, einem Film über Pasolini. Ein Film, der vieles verknüpft: Sehnsucht nach dem Süden, Filmgeschichte, Kapitalismuskritik.

Das erste Filmgespräch nach der dritten Welle im Thalia Kino: Pepe Danquart stellt "Vor mir der Süden" vor.
Das erste Filmgespräch nach der dritten Welle im Thalia Kino: Pepe Danquart stellt "Vor mir der Süden" vor.

© Manfred Thomas

Mit dem Fiat Millecento an der Küste Italiens entlang

Zu Gast war Pepe Danquart („Joschka und Herr Fischer“), der 1994 den Oscar für „Schwarzfahrer“ als Besten Kurzfilm erhielt. Knapp vierzig Jahre nach dem Mord an Pasolini hat sich Danquart für den Film „Vor mir der Süden“ auf die Spuren Pasolinis nach Italien begeben. Im Jahr 2018 ist er in einem Fiat Millecento die Küste Italiens abgefahren – wie Pasolini selbst, im Jahr 1959. Damals war Pasolini noch kein Filmregisseur. Er war Autor, Dichter, Kommunist. Ein Mann auf der Suche nach der Veränderung, die das Land infolge einer rasanten Industrialisierung damals durchlebte. 

Nach Pasolinis Reise entstand das Buch „Die lange Straße aus Sand“, und nach dem Buch dann Danquarts Film. Der Titel führt hinters Licht: Denn natürlich geht es hier um Sonne, Meer und Strände – aber wer Ferienidylle sucht, wird enttäuscht werden. Danquart filmt zwar das Versprechen, das Italien für viele Reisende nach wie vor ist: glitzernde Wellen, Palmen an Promenaden, hohe Küsten. Vor allem aber will er hinter diese Fassade schauen. 

Migranten, die ihr Glück in Italien suchen. Und es selten finden

Er spricht mit Leuten aus der Tourismusbranche, die von rückgängigen Zahlen berichten. Mit Einwohnern, deren Kinder in den Norden gegangen sind, um Arbeit zu finden. Und immer wieder: Mit Geflüchteten, die über das Meer gekommen sind, um hier ihr Glück zu suchen. Sie finden es selten.

Damit nimmt Pepe Danquart ein Thema auf, das Pasolini selbst beschäftigte: Flucht und Migration. In den 1950er und 1960er Jahren waren es vor allem die Süditaliener, die im industrialisierten Norden Arbeit und eine neue Bleibe suchten – Viscontis berühmter Film „Rocco und seine Brüder“ erzählt davon. „Afrikaner“, so nannte man damals im Norden die Migranten aus Süditalien, berichtet die Schauspielerin Adriana Asti, mit der Pasolini 1961 sein Debüt „Wer nie sein Brot mit Tränen aß“ drehte. Danquart hat sie in Rom besucht. 

„Das Meer hat seine Unschuld verloren“

Heute sind es tatsächlich vor allem Menschen aus Afrika, die in lebensgefährlichen Aktionen über das Meer nach Italien kommen. „Das hat unseren Blick auf das Meer verändert“, heißt es einmal im Film. „Das Meer hat seine Unschuld verloren.“

Auch das Erinnern an den Dichter und politischen Aktivisten Pasolini thematisiert „Vor mir der Süden“. In einer eindrücklichen Szene erzählt ein betagter Mann, wie er selbst 1959 als Kind mit Pasolini Fußball spielte. Dann rezitiert er ein langes Gedicht Pasolinis, mit Pathos und ohne zu stocken: über die, die über das Meer kommen „in indischen Kleidern“ und „amerikanischen Hemden“. 

Strände, wo Touristen fehlen. Pepe Danquart zeigte "Vor mir der Süden" vorab im Thalia Kino Babelsberg.
Strände, wo Touristen fehlen. Pepe Danquart zeigte "Vor mir der Süden" vorab im Thalia Kino Babelsberg.

© Filmverleih

Jener Mann sei eine Zufallsbekanntschaft auf seiner Reise gewesen, erzählt Pepe Danquart im anschließenden Filmgespräch. Zwanzig Pasolini-Gedichte habe der Mann aus dem Stegreif gekannt. Der Zufall führte ihn auch zu jenem Hafenarbeiter in Genua, geboren nicht lange vor Pasolinis Tod, der auf der Suche nach einer Beschreibung seiner Lebensrealität Pasolinis Filme, Theaterstücke und Gedichte fand. Und der sagt: Italien geht es heute keinen Deut besser als damals.

Pasolini, ein Mann mit hellseherischen Kräften?

In einer Archiv-Szene steht Pasolini im langen Mantel auf den Dünen, das Wind zerzaust ihm die Haare und er sagt: „Die Vereinheitlichung, die dem Faschismus nicht gelang, gelingt der Macht der Konsumgesellschaft auf perfekte Weise.“ Für viele, die im Film zu Wort kommen, bleibt der politische Pasolini ein Mann mit hellseherischen Kräften. 

„Der Film ist eine Liebeserklärung an Italien und ein Abgesang“, sagt Pepe Danquart selbst. Er hatte 1975 sein Filmstudium begonnen, im Jahr von Pasolinis Tod. Auch das ein Grund, dem Meister filmisch zu folgen – bis an den Strand in Ostia. Dort trifft Danquart auf alte Männer, die so tun, als säßen sie an der Adria. Oder auf jüngere Männer, die sich einig sind: Pasolini starb, weil er schwul war. 

Und auch auf eine Frau, die berichtet, dass oft Touristen kämen, um zu sehen, wo Pasolini starb. Ein düsterer Film? Nein, sagt Danquart. „Eher realistisch.“ Einer über Sonne, Meer und Strände, die den Tod bringen können. Für Danquart ist es im Herzen ein Film über Europa. 

"Vor mir der Süden, ab 1. Juli im Thalia-Kino, Rudolf-Breitscheid-Straße 50

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