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Eva und Erwin Strittmatter in Schulzenhof, 1965.

© dpa

Kultur: „Er hat nie die reine Wahrheit gesagt“

Eva Strittmatter – Eine Biografie in Interviewform von Irmtraud Gutschke

Zwei Jahre nach dem Tod von Erwin Strittmatter, 1996, hat seine Witwe Eva, eine wichtige Stimme in der deutschen Lyriker-Gilde, öffentlich über ihren Mann gesprochen. In einem Gespräch mit Klaus Trende sagte sie: „Ja, er hat nie die reine oder platte Wahrheit gesagt, hat seinen Lebensstoff in seinen Arbeiten stets verändert und sich kaschiert. Wenn man sein Leben aus den Büchern rekonstruieren wollte, müsste man eine unsichtbare Seite des Mondes hinzufügen.“

Nun sind ihre Ausführungen zu ihrem Leben mit Erwin Strittmatter und dem eigenen Werk umfangreicher ausgefallenals 1996. Der Verlag Das Neue Berlin hat das Buch „Leib und Leben“ herausgebracht, eine „Biografie“ in Interviewform über Eva Strittmatter. Die Literaturkritikerin Irmtraud Gutschke hat 2008 ein erhellendes Gespräch mit der Lyrikerin geführt. So ausführlich habe sie noch nie über sich gesprochen, über ihre Kindheit, über ihr Schreiben, und über das Leben an der Seite von Erwin, sagte die seit 1954 in Schulzenhof bei Gransee Wohnende .

Man liest da von der oft beschworenen Nur-Idylle auf dem Lande zwischen Wiesen und Wäldern, Pferden und Hunden. Doch der Leser der Romane des Dichters, in denen private Lebenswege als Spiegel existenzieller Umbrüche aufgezeigt werden, der liebevollen Vier-Jahreszeiten-Betrachtungen hält den Atem an: So viel dramatische Tragik in der Familie, wie sie beschrieben wird, hätte man nicht erwartet. Obwohl Eva Strittmatter, wie sie selbst sagt, immer wieder bezaubert und vergnügt an seiner literarischen Existenz war, litt sie unter den Demütigungen des Mannes. „Die Zustände waren manchmal schon recht harstig“, resümiert Sohn Ilja Strittmatter, der teilweise an dem Gespräch teilnahm. „Wenn ich nicht immer um Verzeihung gebeten hätte für das, was er mir angetan hat, wären wir schon vor Jahrzehnten auseinandergegangen.“

Das Buch erzählt über die Kindheit von Eva Strittmatter, geborene Braun, in Neuruppin, über ihr Kennenlernen mit dem viel älteren Erwin, aber auch darüber, welche Privilegien sie in der DDR sie hatten. So bekamen sie in den fünfziger Jahren bereits ein Telefon. Andere warteten auf solch ein Kommunikationsgerät jahrzehntelang. Sie durften regelmäßig in den Westen und zur Kur reisen, wurden im Regierungskrankenhaus behandelt. Die Beziehungen zur SED-Führung waren gut, aber auch manchmal atmosphärisch getrübt, wenn der Schriftsteller Kritisches in seinen Romanen anmerkte. „Die Autoren in der DDR waren beim Schreiben nicht frei, so fern sie bestimmte Probleme aufgriffen“, bemerkt die Autorin. Doch die Strittmatters glaubten an die Zukunft der DDR, obwohl der Fall der Mauer, den sie im Fernsehen kopfschüttelnd erlebten, auch angenehme Dinge bereithielt. „Unsere Kinder würden nicht zu warten brauchen, bis sie Rentner sind, um große Reisen zu unternehmen. Erwin konnte sich einen Audi mit Handschaltung kaufen.“

In diesem Gespräch mit Irmtraud Gutschke ging es sehr offen zu. Das bewegt und ist informativ. Eva Strittmatter wird auch mit der NS-Militärvergangenheit ihres Mannes konfrontiert, die er zeitlebens verharmloste. Aufgrund der Diskussionen um seine Kriegszeit, habe sie einem Historiker beauftragt, Nachforschungen in diversen Archiven anzustellen. „Wenn dieses Buch gedruckt ist, werden verlässliche Ergebnisse vorliegen“, meinte sie im Sommer 2008. Darauf wartet man immer noch. Klaus Büstrin

Irmtraud Gutschke, Eva Strittmatter – Leib und Leben, Verlag Das Neue Berlin, 16.90 Euro

Klaus BüstrinD

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