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Kultur: Eine Madame von 100 000 Volt Antje Weithaas bei der „Stunde der Musik“

Die Anspannung scheint greifbar. Millimeterweise wird der Stuhl hin und her gerückt, das Notenblatt gewendet und mit einem Knick zum besseren Umblättern versehen, der Cellodorn in die richtige Bodenposition gebracht, der Sitz des Kinnhalters ein noch einmal überprüft.

Die Anspannung scheint greifbar. Millimeterweise wird der Stuhl hin und her gerückt, das Notenblatt gewendet und mit einem Knick zum besseren Umblättern versehen, der Cellodorn in die richtige Bodenposition gebracht, der Sitz des Kinnhalters ein noch einmal überprüft. Letzte ritualisierte „Ablenkungsmanöver“, ehe es im überfüllten Foyer des Nikolaisaals zur Sache geht. Stargeigerin Antje Weithaas, in dieser Saison zum „Artist in residence“ der Kammerakademie Potsdam gekürt, hat mit Mitgliedern dieses landeshauptstädtischen Orchesters zu einer „Stunde der Musik“ geladen, in der Streichquintette von Mozart und Schubert erklingen werden.

Letzte Blicke des Einverständnisses zueinander, dann stehen die Signale zur Spielbereitschaft auf Grün. Mit Wolfgang Amadeus Mozarts C-Dur-Streichquintett KV 515 beginnt eine klangliche und interpretatorische Entdeckungsreise, die am Schluss völlig zu Recht mit bravoreichem Beifall honoriert werden wird. Fast brummig eröffnet das Violoncello (Jan-Peter Kuschel) den ersten Satz, dem anmutig und süß singend die 1. Violine (Antje Weithaas) antwortet. Aus diesem Geplänkel entwickelt sich sogleich ein spannungsgeladener Dialog, den die 2. Violine (Renate Loock) und die beiden Bratschen (Annette Geiger, Miriam Götting) mit pochenden Begleitachteln kommentieren. So „einfach“ entsteht gleichsam eine Opernszene im Miniformat.

Gebannt hört man zu, wie die Themen sich melodisch entwickeln, harmonisch verschachteln, mit Leidenschaften aufladen. Die Stimmen aller beteiligten „Familienmitglieder“ scheinen gleichberechtigt, auch wenn die Primaria das Sagen hat. Mit klarer Artikulation und überwältigender Rhetorik spornt sie die anderen an, lockt mit Zwischentönen, tongeberischen Schattierungskünsten. Kurzum: sie musiziert wie auf dem Sprung. Eine Madame 100 000 Volt! Ihrer Hochspannung kann sich kaum einer entziehen. Sie setzt Akzente, oftmals abrupt, aber immer überzeugend und nie übertrieben. So entstehen zwischen den ständig wechselnden Ansprechpartnern aparte Beziehungsgeflechte voller klanglicher Schönheit, Leidenschaft und Innigkeit.

Von instrumentalem Glanz und Intensität erfüllt sind auch die Streichgespräche in Franz Schuberts C-Dur-Quintett D 956. Leidenschaftsberstend kommt das sechzigminütige Opus daher. Kaum haben sich die Einfälle in ein klangprächtiges und harmonisches Gewand gehüllt, erscheinen sie sogleich in einem neuen. Es ist ein ständiges Kommen und Gehen, Entstehen und Vergehen. Konfliktwühlen trifft dabei romantisches Schweifen, lyrisches Singen auf den schmerzvollen Lebensabschied. In dieser Kontrastdramaturgie fühlen sich die Musiker traumwandlerisch sicher. Von der traditionellen Besetzung hat sich Schubert gelöst, indem er den beiden Violinen nur eine Bratsche, dafür zwei Celli hinzugesellt hat. Das vom ersten unabhängige zweite Cello (Christoph Hampe) sorgt für einen dunkleren und voluminöseren Klang. So lassen sich die stimmungsvollsten Seelenzustände genauer ausdrücken.

Wie bei Mozart singen sich auch hier (im Adagio) die Pultersten von Violine und Cello eine tiefsinnige, seufzerreiche, von langem Atem getragene Melodie zu. Die forcierte Lustigkeit (Scherzo) drückt sich in einem klanggeschärften Musizieren aus, in dessem grabesdunklen Trioteil ein Pianpianissimo für eine suggestive Wirkung sondergleichen sorgt. Furios endet Schuberts Spätwerk. Der Musiker anfängliche Anspannung hat sich gelöst.

Peter Buske

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