zum Hauptinhalt
Antje Rávik Strubel hat alle Texte Lucia Berlins übersetzt, die mit drei Ehen, Alkoholproblemen und ständigen Umzügen ein turbulentes Leben führte.

© Andreas Klaer

Ein Abend mit Antje Rávik Strubel und Lucia Berlin: Die Show der toten Dame

Antje Rávik Strubel hat das Werk der amerikanischen Schriftstellerin Lucia Berlin übersetzt. Im Viktoriagarten widmete sie ihr einen Abend.

Von Sarah Kugler

Potsdam - Schwarzer Humor wird diesen Abend bestimmen. Das verrät die Leinwand, bevor noch das erste gesprochene Wort fällt: „The dead Ladies show“ ist dort in dunklen Buchstaben zu lesen, „Die Show der toten Dame“. Schriftstellerin Lucia Berlin ist diese tote Dame, verstorben 2004 im Alter von 68 Jahren. Etwa zehn Jahre später allerdings ist sie quasi wieder auferstanden. Nämlich dann, als ihre Erzählungen entdeckt und in einem Sammelband erschienen sind. Zunächst im amerikanischen Original, 2016 dann auch in der deutschen Übersetzung – und in vielen anderen Sprachen. Ins Deutsche übertragen hat ihre Texte die Potsdamer Schriftstellerin und Übersetzerin Antje Rávik Strubel, die Lucia Berlin nun am Donnerstagabend in der Viktoriagarten Buchhandlung einen Abend widmete.

Viel Anschauungsmaterial hatte sie dafür mitgebracht: Filmschnipsel, ein Videointerview, Tonmitschnitte einer Lesung Lucia Berlins – und ihre eigene Faszination. Die ist da, das wird ganz deutlich an diesem Abend. Und auch, dass sie über das Sprachliche hinausgeht. Angefangen hat sie allerdings genau damit. „In ihren Texten steckt so viel Energie, so viel Witz und so viel Tragik“, sagt Strubel. Für sie sei sehr schnell klar gewesen, dass sie Lucia Berlin übersetzen möchte. 

Schwer übersetzbare Sprachspiele

Nicht immer einfach sei das gewesen, vor allem nicht, wenn Lucia Berlin Sprachspiele benutzte. In der Erzählung „Mama“ etwa erzählt die Protagonistin ihrer Schwester von Abschiedsbriefen der Mutter, die versucht hat, sich auf verschiedene Art umzubringen. Nach einem gescheiterten Versuch, sich die Pulsadern aufzuschneiden, unterschreibt sie einen solchen Brief mit „Bloody Mary“. Ein anderes Mal will sie den Strick nehmen, „but couldn’t get the hang of it“. Da sich das wörtlich nicht übersetzen lässt, hat Strubel Folgendes daraus gemacht: „Sie hat den Dreh nicht bekommen“ – und damit den schwarzhumorigen Ton beibehalten. 

Empfohlener redaktioneller Inhalt

An dieser Stelle finden Sie einen von unseren Redakteuren ausgewählten, externen Inhalt, der den Artikel für Sie mit zusätzlichen Informationen anreichert. Sie können sich hier den externen Inhalt mit einem Klick anzeigen lassen oder wieder ausblenden.

Ich bin damit einverstanden, dass mir der externe Inhalt angezeigt wird. Damit können personenbezogene Daten an Drittplattformen übermittelt werden. Mehr Informationen dazu erhalten Sie in den Datenschutz-Einstellungen. Diese finden Sie ganz unten auf unserer Seite im Footer, sodass Sie Ihre Einstellungen jederzeit verwalten oder widerrufen können.

Auch die feinen Nuancen Berlins, die stets zwischen Tragik und Komik balancieren, sind Strubel durchgehend gelungen. Selbst wer die Originaltexte kennt, kann sie somit im Deutschen noch einmal neu entdecken. Auch deshalb, weil der erste Erzählband „Was ich sonst noch verpasst habe“ (2016) die Erzählungen anders als das amerikanische Pendant anordnet: nicht nach Erscheinungsdatum, sondern nach einer inhaltlichen Chronologie.

Eine späte Entdeckung

Auch der Titel des Bandes ist verändert. Das Original heißt „A Manual for Cleaning Women“ („Eine Gebrauchsanweisung für Putzfrauen“) und das sei doch etwas sperrig für das Erstlingswerk einer Autorin, die noch niemand kennt, findet Strubel. Tatsächlich war Lucia Berlin auch in den USA noch vollkommen unbekannt, bis eine ihrer Erzählungen in einer Zeitung gedruckt und dadurch entdeckt worden ist. In Deutschland stand sie lange ganz oben auf den Bestsellerlisten, 2017 erschien mit „Was wirst du tun, wenn du gehst“ ein zweiter Erzählband, der weitere Texte aus „A Manual for Cleaning Women“ enthält. 

Gerade erst im August kam „Abend im Paradies“ heraus, der dritte und letzte Erzählband. Gemeinsam mit „Welcome Home“, ein Buch mit Erinnerungen sowie Briefen Lucia Berlins, das im Mai dieses Jahres erschien, hat Strubel ihr Werk somit vollständig erschlossen. „Ihren Aufzeichnungen ist zu entnehmen, dass sie auch mal versucht hat, einen Roman zu schreiben“, erzählte Strubel. Dieser Text existiert wohl aber nicht mehr.

Ein turbulentes Leben

Doch schon die vorhandenen Erzählungen geben einen vielschichtigen Einblick in das turbulente Leben der amerikanischen Schriftstellerin. Im Jahr 1936 geboren, zieht sie bereits als Kind mehrmals um und bleibt auch später eine Umtriebige. Drei Mal war sie verheiratet, hat als Putzfrau, Krankenschwester, Lehrerin gearbeitet und mit Alkoholproblemen gekämpft. All das findet sich in ihren Texten: „Es geht immer um eine Wunde, aber sie zeigt diese Wunde nie“, sagt Strubel. Weil Lucia Berlin Sätze wie ein Netz darüber spannt, das den Leser auffängt – aber eben auch dunkle Einblicke zulässt.

Sie erzählt etwa vom tyrannischen und doch geliebten Großvater, dem sie in der Erzählung „Dr.H.A. Moynihan“ alle Zähne ziehen muss. Damit der praktizierende Zahnarzt sich stattdessen ein künstliches, von ihm selbst kreiertes Gebiss einsetzen kann. Viel Blut fließt dabei, ein Kindheitstrauma wird angedeutet, alles erscheint grausam – und ist doch unglaublich komisch.

— Lucia Berlin: Abend im Paradies. Kampa Verlag, 2019, 288 Seiten. 23 Euro.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false