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In "Let Us Stay" erforschen Anita Twarowska und Murillo Basso den Zerfall einer liebe.

© Elise Scheider

Der Sinn der Anteilnahme: "Let us stay" bei Made in Potsdam

Der zweite Abend des „Made in Potsdam“-Festivals philosophiert mit dem Stück „Let us stay“ von Anita Twarowska und  Murillo Basso über die Liebe.

Potsdam - Die Polin Anita Twarowska und der Brasilianer Murillo Basso, die sich vor drei Jahren in der Tanzfabrik Berlin kennen- und schätzen lernten, sind seitdem das, was man landläufig ein Traum-Tanzpaar nennt. Beide sind ausgebildete Schauspieler mit einem gemeinsamen großen Interesse an tänzerischer Bewegung. Mit einem prachtvollen Tanz-Auftritt beginnt auch ihr neues Stück „Let us stay“. Es ist der zweite Teil einer geplanten Trilogie über zwischenmenschliche Beziehungen und kam am Donnerstagabend bei Made in Potsdam zur Uraufführung.

Anita Twarowska im apricot farbigen schulterfreien Paillettenkleid, Murillo Basso im eleganten schwarzen Frack begrüßten als eloquente Gastgeber förmlich von innen leuchtend ihre Gäste im T-Werk. Ganz zu Beginn ihrer Aufführung fokussieren sie sich jedoch in völliger Stille und Konzentration aufeinander. Und jeder sieht, wie sehr die beiden aneinander interessiert und wortlos aufeinander eingespielt sind. 

Das Paradies wackelt

Zu Jackie DeShannons Hit von 1965 „What the world needs now“ schweben sie im langsamen Walzertakt übers Parkett. „Was die Welt jetzt braucht/Ist Liebe, süße Liebe“, singt Jackie DeShannon. Über den Tanzenden flimmert die silberne Diskokugel und das eigene Herz schwebt gleich auf leichten Schwingen mit den beiden mit. Doch man ahnt, als die Musik zu stolpern anfängt, dass es nicht so paradiesisch weitergehen wird. 

Noch scheint das Paar harmonisch zu sein.
Noch scheint das Paar harmonisch zu sein.

© Elise Scheider

Als der Song (Sounddesign: Nicolas Schulze) zu Ende ist, steigen Twarowska und Murillo in schlichtere Kleidung des Alltags und kommen damit buchstäblich in diesem an. Aus der körperlichen Nähe wird schnell Distanz. Beide nehmen, zwischen sich die leere Tanzfläche, einander gegenübersitzend Platz. Im Rücken sitzt ihnen das Publikum. Und sie beginnen zu diskutieren. Twarowska auf Polnisch, Basso auf Portugiesisch. Es ist unmöglich, dass sie so einander verstehen. Aus ihrer sich erhitzenden Gegenrede, wird rasch handfester Streit, aus diesem resultiert am Ende beinahe körperliche Gewalt. 

Körperlicher Schmerz

Diese Erregungsspirale zu erleben, lässt auch im Publikum niemanden unberührt. Anita Twarowska drückt ihre ohnmächtige Wut, ihren seelischen Schmerz körperlich aus und gerät immer tiefer in konvulsive Krämpfe. Ihr ganzer Körper zuckt ausdauernd. Was für ein Kontrast zu den vorher elegant gleitenden Tanzbewegungen – und es ist keine Hilfe in Sicht. Denn Murillo Basso sitzt reglos daneben und auch seine hilflosen Versuche, sie an den Knöcheln und Armen durch den Saal zu ziehen, bewirken keine Veränderung ihrer hochgradigen Erschütterung.

Kurz darauf wird die Situation gespiegelt. Jetzt liegt er am Boden und agiert die heftigen Streitenergien ebenfalls körperlich aus. Doch: Seine Krämpfe werden bald durch Berührungen von ihr entschärft. Allerdings steht sie dafür über ihm und tritt ihm mit ihrem nackten Fuß auf die Brust, die Arme, die Hüfte, schließlich ins Gesicht. Auch das ist ein starkes und sehr ambivalentes Bild über die (Ohn-)Macht in modernen Paar- und Geschlechterbeziehungen. 

Die Harmonie ist zerstört.
Die Harmonie ist zerstört.

© Elise Scheider

Reicht das für ein ganzes Leben?

Twarowska und Basso erforschen in „Let us stay“ die Beweggründe, eine Beziehung aufrecht zu erhalten. Wie weit geht man, um zu bleiben? Wie groß ist die eigene Bereitschaft, den anderen anzunehmen, wie er ist? Immer wieder schiebt sich in der hochemotionalen Performance einem selbst das wunderbare Anfangsbild über die aktuelle Situation. Wie viel Aufmerksamkeit, wie viel Güte, welch ansteckende Leichtigkeit spiegelte dieses großartig tanzende Paar? Reicht das für ein ganzes Leben? Oder doch nur für diesen einen schönen Augenblick?

Dafür befragen, beziehungsweise zitieren beide immer wieder das berühmte Gedicht „Gespräch mit dem Stein“ der polnischen Literatur-Nobelpreisträgerin Wislawa Szymborska, das auch den Untertitel „Erfahrungen über die Ohnmacht in Beziehungen“ tragen könnte. In Rede und Gegenrede, Bitten und Verweigern schildert Szymborska das gegenseitige Nichtverstehen, das Einander Fremdsein und das Nebeneinander her leben. Und den vielleicht wichtigsten Grund dafür: „Du kommst nicht rein/sagt der Stein./Dir fehlt der Sinn der Anteilnahme.“

In „Let us stay“, in dem am Schluss die beiden erschöpften Partner im zunehmenden Zwielicht noch immer tief verletzt umeinander kreisen, wird allerdings auch der ernüchternde finale Satz aus Szymborskas Gedicht zitiert: „Ich hab keine Tür, sagte der Stein.“ Man selbst möchte dieses Absolutum ungerne so stehen lassen. Denn immer wieder schiebt sich das positive Ausgangsbild über das innere Auge und der Song von Jackie DeShannons, die darin um Liebe, „von der es einfach zu wenig gibt“ bittet. 

>>Vollständiges Programm von „Made in Potsdam“ finden Sie online unter www.fabrikpotsdam.de

Astrid Priebs-Tröger

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