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Der Journalist Deniz Yücel stellte im Waschhaus sein Buch über die Haft in der Türkei vor.

© Andreas Klaer

Deniz Yücel in Potsdam: Fußballspiel in Isolationshaft

Der Journalist Deniz Yücel stellte im flotten Plauderton sein jüngstes Buch „Agentterrorist“ im Waschhaus vor. Darin erzählt er von seiner Haft in der Türkei.

Potsdam - Ganz am Ende wird es dann doch ernst an diesem Abend. Sehr ernst. Eben noch hat Deniz Yücel im flotten Plauderton sein neues Buch vorgestellt, seinen Bericht über ein Jahr Haft in Erdogans Kerker. So rasant und unterhaltsam, wie der „Welt“-Journalist von seiner Knasterfahrung am Marmarameer und den ganzen Geschichten drumherum berichtet, stellt sich dabei stellenweise fast Kleinkunststimmung ein: Eine Melange aus nachdenklichen Passagen und Spötterei prägt die Lesung.

Am Ende ein unerwartetes Plädoyer für die Kurden in Syrien

Man fühlt sich gut unterhalten, muss zwischendurch lachen. Dass es dabei um ein ernstes Thema geht – geschenkt! Aber dann, als alle schon gehen wollen an diesem Mittwochabend im Potsdamer Waschhaus in der Schiffbauergasse, meldet sich Yücel vom Podium aus noch einmal zu Wort. Und macht eindringlich auf das Schicksal der Kurden in Nordsyrien aufmerksam. Auf den Rückzug der Amerikaner und den aktuellen Einmarsch der Türken. „Dass sie auf diese Weise so fallen gelassen werden“, sei furchtbar, sagt Yücel über die Kurden. Bei der Schlacht um Kobane hätten sie so tapfer und erfolgreich gegen die Terroristen vom Islamischen Staat gekämpft und nun wende sich die Welt von den Kurden ab.

Für einen Moment scheint sich Betroffenheit breitzumachen. Yücel zumindest garniert sein Statement zu den Kurden nicht mit den Zutaten eines versierten Unterhalters, wie er es in den zwei Stunden zuvor getan hatte, als es um ihn selbst ging. Den Titel zu seinem jüngsten Buch „Agentterrorist“ hat er bei Recep Tayyip Erdogan geliehen. Denn der türkische Präsident hatte Yücel als eben so einen Agentterroristen bezeichnet. „Ich habe übrigens nicht um Erlaubnis gefragt“, erklärte Yücel schmunzelnd. Nein, Erdogan hat er nicht um Erlaubnis gebeten, ihm stattdessen schon zuvor in der Türkei die Stirn geboten – soweit er es konnte angesichts seiner Bedrohung und der rund einjährigen Haft im türkischen Hochsicherheitsgefängnis Silivri Nr. 9. Erst nach politischem Druck aus Deutschland kam Yücel 2018 frei.

Nach kritischen Nachfragen bei einer Pressekonferenz muss er aufs Polizeirevier

Yücel war im Februar 2017 in der Türkei verhaftet worden, wo er als Korrespondent der Zeitung „Die Welt“ gearbeitet hatte. Der Vorwurf: Terrorpropaganda. Er sei damals wegen Texten, die er auf Deutsch für deutsche Zeitungen geschrieben habe, in Untersuchungshaft gekommen, berichtete der Journalist bei der Vorstellung seines Buches in Potsdam. Dass die Türkei für Journalisten ein raues Pflaster sein würde, habe er gewusst, als er 2015 seine Stelle als Korrespondent in Istanbul antrat. Aber ein Jahr Haft sei weit außerhalb seiner eigenen Risikoabschätzung gewesen.

Nur wenige Wochen, nachdem der 1973 in Flörsheim am Main geborene Deutsch-Türke seine Korrespondententätigkeit in der Türkei aufgenommen hatte, rauschte er zum ersten Mal mit der Staatsmacht am Bosporus zusammen. Bei einer Pressekonferenz mit dem Gouverneur der türkischen Provinz Urfa zweifelt Yücel die Darstellung des Gouverneurs an, wonach Menschen im dortigen syrisch-türkischen Grenzgebiet vor den kurdischen Einheiten und wegen amerikanischer Bombardements aus Syrien in die Türkei fliehen würden. Die Pressekonferenz wird daraufhin abgebrochen. Yücel bringt man auf das örtliche Polizeirevier. Doch der Spuk ist schnell vorbei.

Als Journalistenkollegen verhaftet werden, flüchtet Yücel zunächst

Ein Jahr später jedoch wird es eng für den Journalisten. Denn es werden Kollegen verhaftet, die derselben Chatgruppe wie Yücel angehören und in der es um Vorgänge um Berat Albayrak geht, dem Energieminister und Schwiegersohn Erdogans. Die linksradikale Gruppe Redhack hatte sich Zugang zu den privaten E-Mails Albayraks verschafft. Yücel war Redhack auf Twitter gefolgt. Wegen der Bedrohungslage flüchtet der Journalist zunächst in die Sommerresidenz des deutschen Botschafters in Istanbul, stellt sich später dann aber doch den Behörden – und kommt in den Knast. Man steckt ihn in Isolationshaft. Für den Sportplatz besorgt sich Yücel im Knastladen einen Fußball und spielt mit sich selbst Ball. „Ein Privileg“ sei diese Isolation gewesen, stellte Yücel bei der Buchlesung ironisch fest. Denn: „Ich habe diesen Sportplatz nie als Verlierer verlassen.“ Die Postkontrolle umgeht Yücel in der Haft kühn, indem er Briefe und andere Texte so tarnt, als seien sie an den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte gerichtet. Die Schriftstücke verfasst er auf Deutsch und durchsetzt seine Texte mit Abkürzungen aus dem Juristentürkisch und fügt zur Tarnung merkwürdig sinnlose Absätze ein. Die Methode funktioniert. Auch diese Anekdote ruft am Mittwoch Heiterkeit hervor. Doch lustig ist die Causa Yücel freilich dennoch nicht.

— Deniz Yücel: „Agentterrorist“, erschienen bei Kiepenheuer&Witsch,

400 Seiten, für 22 Euro.

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