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Viele sind empört über die Auszeichnung für den Autor.

© dpa/Georg Hochmuth

Debatte um Peter Handke: Handke macht Täter zu Opfern

Nobelpreisträger Peter Handke war und ist ein lyrischer Provokateur. Das machte ihn anfällig für nationalistische Wahngebilde. Ein Kommentar.

Von Caroline Fetscher

Als Peter Handke kürzlich mit dem Literaturnobelpreis ausgezeichnet wurde, sorgte dies wegen Einstellungen des Autors zum Balkan-Konflikt für Diskussionen. War die Entscheidung der Schwedischen Akademie korrekt? Dazu unser Pro und Contra. Den Pro-Kommentar von Jan Röhnert finden Sie hier.

Als Pilger war Peter Handke ein paarmal nach Den Haag gereist, um Slobodan Milošević beizustehen. Serbiens einstiger Staatschef sollte sich dort wegen Genozids und Verbrechen gegen die Menschlichkeit vor dem Uno-Tribunal für Jugoslawiens Zerfallskriege verantworten. Am 18. Februar 2002 stand Handke in der Lobby des Tribunals. Weltfremd und wehmütig dreinblickend, wirkte er zugleich störrisch, fast autistisch.

An diesem Vormittag hatte ihn der Angeklagte im Gerichtssaal als Gewährsmann zitiert, wohl in dem Wissen, dass der österreichische Prozessbesucher anwesend war. Ein Kommentar über „die Serben, jeden Serben, alle Serben“ in der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“ habe Handke „an die Propaganda von Josef Goebbels erinnert“ – so sah Milošević seine serbische Sache durch des Dichters Urteil bestätigt.

Auf seltsame Weise schien Handke in Den Haag beleidigt zufrieden, eine fast anrührende Erscheinung, ein wenig wie ein Bub, der nicht wahrhaben will, dass sein glühend geliebter Verein keine Tore mehr schießt. Und wie einer, der als Primus gewohnt ist, es besser zu wissen, nun gewillt, dies aus tiefstem Trotz auch hier kundzutun.

Später im Jahr erläuterte Handke in einem Essay, wer sich alles gegen „die Serben“ verschworen habe: Zeugen und Ankläger, demokratische Mäzene wie George Soros, Philosophen wie Habermas („Jürgen H.“) oder ein „zum Niedermachen, Zerstören und Vernichten begabter deutschsprachiger Kritiker“.

Im Empörungsrausch brachte Handke alles auf an der „sogenannten Wirklichkeit“, das saubere Holland, die Jogger am Strand, die Richter aus Jamaika und Südkorea, die Faktenhuberei der internationalen Strafjustiz und der Medien. Auch die „Kelchblüten“ der „Krokusteppiche“ waren kein Trost. Drei Jahre darauf sprach Peter Handke in Serbien auf der Trauerfeier für den verstorbenen Angeklagten, ein Verirrter am Grab eines Verirrten, auf das er eine Rose legte. Er sei ihm „nah“, raunte er, und er wisse, dass er nicht wisse.

Handke hat den Schritt zur Reife ausgelassen

Kunst braucht die Verbindung zu den magischen Resten der Kinderzeit, zum Staunen über die Wunder der Welt, das Utopien inspirieren kann. Umso vehementer allerdings werden auch die Risse und Zumutungen der Realität spürbar. In Handkes Werk wirkt beides, das hypersensitive Betrachten der inneren Landschaft wie das Aufbegehren gegen deren Gestörtwerden von außen.

Den emsig im Strom schwimmenden Zeitgenossen wird der Aufschrei entgegengeschleudert, heiliger Zorn, verdichtet zum Aufstand. Mit solcher Affektlage begann Handkes Karriere als lyrischer Provokateur, der das Publikum, sein Publikum, beschimpfte, schon damals im Kern bezogen auf sich. So ist das geblieben, weiterhin, und tragisch, den Schritt in Richtung Distanz und Reife auslassend.

Daher konnte Handke auf die ethno-nationalistischen Wahngebilde hereinfallen. Denn „die Serben“ als verfemtes Kollektiv existieren nicht, wo in der internationalen Strafjustiz Verbrechen aller Parteien aufklärt werden. Doch dass Serbiens Funktionseliten den Zerfall der Föderation initiierten ist zeithistorisch unbestritten. Im Namen eines Großserbien („Velika Srbija“) wurde „ethnische Säuberung“ („etničko čišćenje“) zum Euphemismus für Vertreibungen und Massenmorde nichtserbischer Bevölkerungsteile. Den ideologischen Boden bereitet hatten Intellektuelle wie die Verfasser des berühmten „Memorandum“ der Serbischen Akademie der Wissenschaften von 1985.

Gegen das Drama hilft kein Nobelpreis

Peter Handke empfiehlt den verworrenen Text zur Lektüre, der Tito posthum vorwarf, Serben zum Opfer der übrigen Teilrepubliken Jugoslawiens gemacht zu haben, weshalb sie nun aggressiv ihre Belange verteidigen sollten. Das „Memorandum“ bot eine verfahrene Antwort auf Schuldenkrise und Korruption nach dem Kalten Krieg, als die einstigen Machtblöcke ihre Unterstützung für das blockfreien Jugoslawien eingestellt hatten, während der Internationale Währungsfonds brachiale Austerität einforderte.

In Teilen der westlichen Linken zirkulierte das Narrativ von Jugoslawien als letzter Bastion des Sozialismus in Europa, deren Niedergang „der Westen“ orchestriere und wogegen sich Serbiens Führung wehre. Dieser Deutung schlossen sich Leute an wie der „Konkret“-Autor Jürgen Elsässer, inzwischen aktiv als rechtsnationaler Publizist, oder der britische Dramatiker Harold Pinter, den Handke bei seiner Rede am Grab Miloševićs erwähnte.

Viele tausend Serbinnen und Serben hatten davor schon und haben seither gegen die absurde Ideologie der ethnischen Suprematie protestiert, mit Texten, Reden, Romanen, Musik, ihre Namen sind bekannt. Für Peter Handke blieben die „Verräter“ wie nicht vorhanden. Gegen das Drama dieses begabten Mannes hilft auch kein Nobelpreis.

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