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Die amerikanische Journalistin Dorothy Thompson interviewte in Berlin Adolf Hitler, der die gesamte Zeit über so redet, als sei er gerade Redner bei einer Massenversammlung.

© Library of Congress/promo

Buchvorstellung: "Fieber" von Peter Walther: Ein gesellschaftlicher Krater

Der Potsdamer Autor Peter Walther macht die politischen Umbrüche im Berlin der Dreißiger fassbarer – anhand von Biografien.

Von Helena Davenport

Potsdam - Die wackligen Zustände im Berlin der dreißiger Jahre liefern ihm den geeigneten Nährboden – der Magier Erik Jan Hanussen erntet Bewunderung, wo auch immer er auftritt. Er sagt den Leuten die Zukunft voraus, hypnotisiert sie, befreit sie von Schlaflosigkeit oder Onanie, und schafft vor allem, dass sie ihm blind vertrauen. Außerdem betreibt er eine eigene Zeitung, veröffentlicht politische Horoskope. Die Nationalsozialisten zieht er auf seine Seite, indem er ihnen – die meisten sind arbeitslos – Spiel und Spaß finanziert und sie mitnimmt zu Fahrten auf seiner Luxusyacht. Ganz nebenbei ebnet er Hitler mit seinen Prophezeiungen den Weg. Dieser Halbwaise aus einer mittellosen jüdischen Schaustellerfamilie – intelligent genug, so beschreibt es der Potsdamer Autor Peter Walther in seinem gerade erschienenen Sachbuch „Fieber“, sich den Scharfsinn nicht anmerken zu lassen.

Walther, der 2018 für „Hans Fallada. Die Biographie“ den Annalise-WagnerPreis erhielt und der gemeinsam mit Hendrik Röder das Brandenburgische Literaturbüro in Potsdam leitet, macht nun mit seinem jüngsten Buch die Verhältnisse, Umbrüche, Gedanken des Berlins zwischen 1930 und 1933 greifbarer, möglicherweise auch ein wenig durchsichtiger. Wobei Letzteres zu der Erkenntnis führt, dass der Abgrund nur noch breiter war als angenommen. Als Leser möchte man den Kopf schütteln: Das kann nicht wahr sein! Dabei ist rein gar nichts fiktiv – vor eineinhalb Jahren begann Walther zu recherchieren, rund 40 Seiten umfasst das Quellenverzeichnis.

Gerissen: Der Hellseher Erik Jan Hanussen führte so einige hinters Licht.
Gerissen: Der Hellseher Erik Jan Hanussen führte so einige hinters Licht.

© promo

Der Scharlatan Hanussen wurde selbst zum Opfer

Die Lebensgeschichten von neun Protagonisten des politischen Geschehens umreißt der Autor zunächst, unter anderem die der letzten drei Reichskanzler, Brüning, Papen, Schleicher, sowie die der politischen Opposition, verkörpert durch Ernst Thälmann. Um sie dann gemeinsam auf einer fragilen Bühne inmitten einer zerrissenen Gesellschaft auftreten zu lassen. Dabei taucht immer wieder das Motiv der Überhitzung auf. Wie ein Politkrimi liest sich dieses Sachbuch, dessen einzelne Szenen sich rasch zu einem Bild verdichten, das grell und düster zugleich ist. Adolf Hitler selbst spielt keine zentrale Rolle – stattdessen tritt der Hellseher Hanussen an die Position des Bösen: Er steht für den Kampf ums Überleben und das Verderben zugleich. „Auch er manipuliert und verachtet sein Publikum, er nutzt quasi dieselben Mittel auf einer anderen Ebene“, sagt Walther. 

„Der Morast, der ihn an die Oberfläche trieb, zu Glanz und Glück, zeigt den gesellschaftlichen Krater in siedender Hitze“, zitiert der Autor im Buch den Marxisten und Journalisten Bruno Frei, der seiner Zeit versuchte, Hanussen des Scharlatanentums zu überführen. Ein Ausbruch kündige sich an, eine Revolution, die in ihrer glühenden Lavamasse die berstenden Paläste einer morschen Gesellschaft begraben werde. Hanussen wurde selbst zum Opfer – 1933 wurde seine Leiche gefunden. Man geht davon aus, dass die SA ihn tötete.

Peter Walther.
Peter Walther.

© Ottmar Winter

Dorothy Thompson als starke Frauenfigur

Die Figur Dorothy Thompson ist so etwas wie Hanussens Gegenstück, das Gute, Kluge, Gefühlvolle. Als „stille Heldin“ bezeichnet Walther die amerikanische Journalistin, die nach Berlin kam, um den Aufstieg der NSDAP zu beobachten und Hitler für ein Interview traf. Das misslungene Treffen, sein groteskes Auftreten beschrieb sie in Zeitungsartikeln sowie einem Buch. Thompson ist dafür bekannt, sich für das Frauenwahlrecht eingesetzt zu haben, darüber hinaus schrieb sie über die Unterdrückung in der Sowjetunion. 

In „Fieber“ verknüpft Walther ihr Engagement, ihre Arbeit allein unter Männern, mit ihrer privaten Seite, die sie ihrem Tagebuch anvertraute. Hier schreibt sie über ihre Liebe zu der Künstlerin Christa Winsloe, über die „wunderliche Zärtlichkeit“. Keinem Protagonisten in Walthers Buch kommt man als Leser zu nahe wie ihr, die so mutig war, Gefühle ehrlich darzulegen.

Und das macht Walthers Buch so spannend: Man lernt verschiedene Perspektiven kennen, bei denen auch immer das Persönliche mitspielt. „Man kann die Zeit nicht verstehen, ohne in die Köpfe der Menschen hineingesehen zu haben“, sagt der Autor. 

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Sich dem Hass zu enthalten

Was hat die Leute geprägt, mit welchen Idealen sind sie groß geworden, mit welchen Irrtümern? Auf Fragen wie diese habe ihn Oswald Spenglers kulturphilosophisches Werk „Der Untergang des Abendlandes“ gebracht. Ein Freund seiner Familie habe es ihm im Alter von 16 Jahren in die Hand gedrückt, erzählt Walther. Sein Vater hatte den Mann im Krankenhaus kennengelernt, einen Zellenleiter der Kommunistischen Partei, der 1937 verhaftet wurde und anschließend im Gefängnis in Brandenburg an der Havel landete. Er habe im Prinzip die gesamte Nomenklatura der damaligen Zeit gekannt, sagt Walther. Dass ein Kommunist sich mit Spengler beschäftigt, hatte er vorher nicht für möglich gehalten, so Walther. Dies weckte sein Interesse und inspirierte ihn zu dem biografischen Ansatz von „Fieber“.

Was er bei seiner Recherche vorfand, waren Quellen in Hülle und Fülle – Fluch und Segen zugleich. Die Parallelen zum Heute lassen den Leser manches Mal schlucken: die innerparteilichen Kämpfe, die Spaltung in extreme Lager, deren Ziele sich überschneiden, ein Umgangston, der aggressiver wird. „Wir müssten blind sein, würden wir leugnen, in Umbruchzeiten zu leben“, sagt Walther. Dennoch gebe es zwei Unterschiede: Die brutalen Erfahrungen aus dem Zweiten Weltkrieg, die Männer der damaligen Zeit teilten, und die hohe Arbeitslosigkeit, die fast zwei Drittel der Bevölkerung betraf. Von der hieraus resultierenden Polarisierung sei man heute weit entfernt – „wenn es nicht so weitergeht“, meint Walther und pocht auf etwas, was ebenfalls nicht neu ist: die Dinge differenziert zu betrachten, sich dem Hass zu enthalten.

>>Lesung am Sonntag, 11 Uhr, in der Villa Quandt, Große Weinmeisterstraße 46/47

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