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Buch über die Corona-Folgen für die Kultur: Die Müdigkeit, die Kraftmeierei und das neue Normal

Pünktlich zum zweiten Kultur-Lockdown stellt ein Buch die Frage nach den Folgen der Corona-Pandemie für die Kultur - und jene, die von ihr leben.

Es überrascht kaum: Auch am Anfang dieses Buches stand ein Ausfall. Geplant war eine Kulturpolitische Jahrestagung der Friedrich-Ebert-Stiftung für April, das Thema lautete „Gestaltung gesellschaftlicher Räume und Erkundung von Zukunft“ - schönster kulturpolitischer Allgemeinplatz. 

In die Vorbereitungen hinein fiel der Lockdown und ließ das Thema konkreter werden, als die Veranstalter es sich je gedacht haben dürften. „Zukunft erkunden“, das ist in Zeiten existenzieller Sorgen für Kulturschaffende mehr als Phrase. Statt einer Tagung gibt es nun eine Anthologie, die das Ausmaß der Corona-Pandemie für den kulturellen Sektor zu vermessen versucht: „Echoräume des Schocks. Wie uns die Corona-Zeit verändert“.

Der Schock im Frühjahr, die Härten der Doppelbelastung

Als das Buch im Juli in den Druck ging, konnte man auf den Lockdown seit März schon fast wieder milde zurückblicken; jetzt befinden wir uns mitten drin im Teil-Lockdown Nummer zwei. Und auch die kurze Phase der Normalität auf Probe im Kulturbetrieb unter Corona-Bedingungen ist längst wieder Schnee von gestern. Der anfängliche Schock im Frühjahr, die Härten der Doppel- und Dreifachbelastung von Menschen mit Familien in ihren Homeoffices, die (vergeblichen) Versuche, trotz der Umstände kreativ und produktiv zu sein - all das liest sich im November 2020 schon wieder wie Erzählungen aus alter Zeit. 

Gleichzeitig aber führen diese „vorgestrigen“ Beschreibungen angesichts steigender Infektionszahlen bitter vor Augen, was erneut droht. Allein deswegen lohnen die sehr persönlichen Tagebuchaufzeichnungen der Schauspielerin Salome Dastmalchi oder der Dramaturgin und Autorin Peggy Mädler im ersten Teil des Buches durchaus. „Mein Kopf verhungert“, notiert Dastmalchi, alleinerziehende Mutter eines Kindes im Kita-Alter im März. „Tagsüber kann ich nichts für die Arbeit tun. Abends bin ich zu müde.“ Der Text von Mädler stellt schon im Titel die Frage, die angesichts des zunächst bis Ende November erlassenen Teil-Lockdowns alle Kulturschaffenden umtreiben dürfte: „How long is Now?“

Nüchterner Blick auf die fatalen Folgen der Krise

Die während des ersten Lockdowns entstandenen Fotos des Arno-Fischer-Schüler Andreas Rost zeigen eindrücklich, wie die Welt stillzustehen schien im Frühjahr 2020. Von Rost stammt auch der für die Kultur so schmerzliche wie bedenkenswerte Satz: „Mir ist bewusst, dass die Künste zwar einen wichtigen Platz im gesellschaftlichen Leben einnehmen, nicht aber zwangsläufig ,systemrelevant sind.“

Irgendwann in hoffentlich nicht allzu ferner Zukunft werden die Beiträge der Textsammlung vor allem als Zeitdokumente interessant sein. Anders die analytischen Essays vor allem im zweiten Teil des Buches, die die Frage nach den Lehren aus Krise stellen. Die 14 „Vermutungen zur New-Normal-Kultur“ von Michael Schindhelm, in der Vergangenheit unter anderem Generaldirektor der Berliner Opernstiftung, fassen die für die Kulturbranche befürchteten Folgen der Coronakrise nüchtern zusammen.

Arbeitslosigkeit, Ausdünnung der Kultur, Entfremdung von Kultur

Zu erwarten sei „eine tiefe und langfristige Krise der Kulturfinanzierung“. Angesichts der absehbaren immensen Staatsverschuldung sieht er „eine massive Korrektur der Kulturfinanzierung nach unten“ kommen.

Zu erwarten seien weiterhin: „Arbeitslosigkeit, Ausdünnung der Kulturlandschaft, Entfremdung von Kultur und Gesellschaft, Rückgang von Produktion, Rezeption und der sozialen Effekte von Kultur und kultureller Bildung“. Anders als Kommunikationsexperte Thomas Mühlnickel, der in gewisser Hauruckmentalität an anderer Stelle im Buch schreibt, Solidarität werde infolge der Corona-Pandemie künftig „eine wichtigere Rolle“ einnehmen, diagnostiziert Schindhelm: „Am Ende wird es einen Kampf um Ressourcen geben.“ Zu befürchten sei „ein harter Überlebenskampf“ zwischen freier und institutionalisierter Kunst. „Innovative Kulturpolitik wird vor allem dafür sorgen müssen, dass Tradition und Institution nicht das Neue, Alternative und Nicht-Institutionalisierte an den Rand drängen.“

Die Stunde der Frauen und der leiseren Männer?

Die verhalten bis offen pessimistischen Überlegungen überwiegen in den 25 Beiträgen, die „Die Echoräume des Schocks“ versammelt hat. Auch das mag kaum überraschen. Anders als bisherige Versuche, die Folgen der Krise zu vermessen (etwa von Alexander Kluge oder Ferdinand von Schirach), lässt das Buch Raum für Zweifel, Unsicherheit - oder das schlichte Fazit: Was kommt, wir wissen es nicht.

„Das Virus ist unbeeindruckt von kraftmeierischem Auftreten“, schreibt die Autorin Tanja Dückers. In Zeiten der Bedrohung durch das Virus hätten sich jene Politikansätze bewährt, die auf Austausch, auch Demut vor der Problematik beruhten. Es schlage daher nun die Stunde der Frauen - und der leiseren unter den Männern. „Erst recht, wenn sie nicht gleich eine wasserdichte Theorie dazu haben, wie die Welt ,nach Corona' aussehen wird.“

Echoräume des Schocks. Wie uns die Corona-Zeit

verändert. Herausgegeben von Franziska Richter, Dietz Verlag 2020. 192 Seiten, 16 €.

Lena Schneider

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