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Die Liebe zum Führer auf Büttenpapier. Lotte J. Kaiser sandte Hitler einen Glückwunsch zum Muttertag als „unsagbar großen Dank dem seeligen Elternpaar, der Mutter, die ,Unseren Führer’ gebar“.

© Aus dem Buch „Briefe an Hitler“, Henrik Eberle (Hg.), Bastei Lübbe

Briefe an Hitler: „Viele sahen in ihm den Erlöser“

Anfangs gab es vor allem Kritik, ab 1930 dann immer mehr Verehrung: Der Wissenschaftler Henrik Eberle spricht mit den PNN über sein Buch „Briefe an Hitler“, das er am Mittwoch in Potsdam vorstellt.

Herr Eberle, „Briefe an Hitler“ heißt das Buch, das Sie in Potsdam vorstellen. Von bisher unbekannten Dokumenten schreiben Sie. Wie haben Sie diese Briefe gefunden?

Durch Zufall. Ich hatte für ein Forschungsprojekt über deutsche Generäle in russischer Gefangenschaft in einem Moskauer Archiv gearbeitet und dabei entdeckt, dass es da eine Sammlung unter der Rubrik „Briefwechsel mit Hitler“ gibt. Als ich mir das dann genauer angeschaut habe, wurde schnell klar, dass es sich dabei nicht um einen Briefwechsel handelte, sondern um Briefe, die Hitler bekommen hatte. Antworten waren nur ganz wenige verzeichnet.

Wie viele solcher Briefe haben Sie dort gefunden?

Es wurden immer mehr. In diesem Archiv müssen um die 100 000 Briefe lagern, die Hitler bekommen hat. Ungefähr 20 000 davon habe ich gesehen. Die sind alle als sogenannte Beuteakten nach dem Zweiten Weltkrieg nach Moskau gebracht worden.

Hatten sich schon vor Ihnen Wissenschaftler zumindest in diesem Archiv mit diesen Briefen beschäftigt?

Man findet ja in jeder Akte ein Benutzerblatt, in das sich jeder eintragen muss. Ich war immer der Erste.

Was sagen Ihnen, als Wissenschaftler, diese Briefe?

Diese Briefe geben eine Art Volksstimmung wieder. Ich spreche in diesem Zusammenhang auch von einer Hitlerkurve. Aus dem Jahre 1924 sind die ersten Briefe erhalten. Das sind noch ganz wenige, die füllen gerade einmal einen Aktenordner. Und in ihnen wird vor allem Kritik formuliert.

Kritik?

Ja, Hitler möge dieses machen und jenes. Und das macht der Hitler nicht richtig. Das war die Zeit nach dem missglückten Putsch von 1923, Hitler stand vor Gericht. Trotzdem, so wird aus diesen Briefen deutlich, traute man ihm als Politiker etwas zu. Gleichzeitig wurden ihm aber auch noch Ratschläge erteilt. Ab 1930 gibt es dann immer mehr Verehrungen, aber auch Hinweise und Kritik. Hitler wird auf bestimmte Probleme wie die Arbeitslosigkeit oder die Not von Frauen, von Müttern, die ihre Kinder nicht ernähren können, angesprochen. Zwei Jahre später wird immer deutlicher, dass viele in ihm den Erlöser sehen.

Ein Erlöser im politischen Sinne?

Ja, es gibt da diesen Brief von Ruth Hübner, einer vermutlich älteren Frau aus Nieder-Petersdorf in Schlesien, die fordert, dass er diese Regierung, die alle ins Unglück führe, den Pantern, Tigern und anderen wilden Tieren zum Fraß vorwerfe.

Finden sich solche martialischen Schreiben häufig in den Briefen an Hitler?

So etwas findet sich immer wieder. Ab1933 und ’34 häuft sich die Begeisterung über die Fortschritte bei der Beseitigung der Arbeitslosigkeit. Es gibt aber auch Kritik an judenfeindlichen Maßnahmen, es wird Unverständnis geäußert oder Frauen bitten für ihre Männer, die in Konzentrationslager gesperrt wurden. Doch das sind nur Einzelfälle. Die Politik Hitlers an sich wird nicht in Zweifel gezogen. Das steigert sich förmlich hin zu einer unkritischen Bewunderung, die ihren Höhepunkt 1938/39 erreicht. Die Sudetenkrise ist beigelegt, das Abkommen von München beschlossen und Hitler wird als Friedensretter gesehen. Und die Menschen glauben ihm, dass er nur den Frieden wollte.

Wie wirkte sich der Beginn des Zweiten Weltkrieges im September 1939 auf die Briefe aus?

Bis auf eine kurzzeitige Zunahme nach dem Sieg über Frankreich 1940 nimmt die Zahl der Briefe radikal ab. 1945 sind es nur noch eine Handvoll.

Warum dieser Rückgang? Weil der Krieg als das prägende Ereignis in den Vordergrund getreten ist?

Ich kann mir auch vorstellen, dass die Bevölkerung den Krieg nicht gut fand und von Hitler enttäuscht war, weil er nun doch nicht der Friedenspolitiker war, den viele in ihm gesehen haben.

Und was steht in den Briefen nach Kriegsbeginn?

Das sind vor allem Geburtstagsglückwünsche. Aber auch judenfeindliche Briefe sind immer wieder mit dabei. Da habe ich unter anderem ein sehr widerliches Gedicht gefunden, das Hitler zum Geburtstag bekommen hat, in dem der Hobbydichter, ein Architekt aus dem Schwäbischen, schreibt, dass Hitler doch wie Herkules den Augiasstall Europa von den Juden ausmisten soll. Zu seinem Geburtstag hat Hitler viele Gedichte bekommen.

Warum ausgerechnet Gedichte?

Weil man ihm etwas Besonderes schenken wollte, auch wenn man arm war.

Wer hat Hitler all diese Briefe geschrieben?

Das ging durch alle Bevölkerungsschichten. Das zeigt sich schon am Briefpapier. Mal wurde auf feinstem Büttenpapier, mal auf einer herausgerissenen Seite aus einem Schulheft geschrieben.

Haben Hitler mehr Frauen oder mehr Männer geschrieben?

Das ist total ausgeglichen.

Aber gibt es Unterschiede in den Briefthemen?

Bleiben wir mal bei den Gedichten. Mäner dichten kriegerischer. Frauen bewundern dagegen Hitlers Mutter, die diesen unvergleichlichen Sohn geboren hat.

Haben Sie auch Liebesbriefe an Hitler gefunden?

Manches kann man als Liebe interpretieren. Aber ich habe nicht einen einzigen Brief gefunden, in dem steht: Mein Führer, ich will ein Kind von Ihnen. Es gibt einen Brief eines ehemaligen kommunistischen Arbeiters aus den Siemenswerken, der schreibt über die Begeisterung seiner Kinder für Hitler und dass seine Tochter Tina endlich erwachsen werden will, damit sie den besten Mann der Welt, also Hitler, heiraten kann.

Wie wurde, wenn überhaupt, auf diese Briefe geantwortet?

Eigentlich wurde fast jeder Brief beantwortet. Fast immer mit einem Standardschreiben. Hitler selbst hat nur auf ganz wenige dieser Briefe geantwortet.

Wie wurde Hitler über den Inhalt dieser Briefe informiert?

Martin Bormann, Leiter der Partei-Kanzlei der NSDAP, hat ihm Zusammenfassungen angefertigt, die als eine Art demoskopischer Spiegel gelesen wurden. Ein Dresdener Professor hatte Briefe von 1931/32 analysiert und geschrieben, dass die Parteimitglieder geschlossen auf der Seite Hitlers stehen. Nun komme es darauf an, die bürgerlichen Schichten für den Führer zu gewinnen. Darum solle die NSDAP ihren Terror mäßigen.

In der Wissenschaft wird immer noch darüber gestritten, wie groß der Zuspruch für Hitler in der breiten Bevölkerung war. Zu welchem Schluss sind Sie nach der Auswertung dieser Briefe gekommen.

Wir haben uns für die Lesung in Potsdam ja bewusst für den 30. Januar entschieden. Der 30. Januar 1933 wird immer für eine Zäsur gehalten. Ich sehe das nicht so. Das ist der Tag der Regierungsübernahme Adolf Hitlers in einem Koalitionskabinett, die Zustimmung für ihn ist aber schon vorher so enorm, dass damals alles tatsächlich auf Hitler zulief. Diese Begeisterung seiner Anhängerschaft, dieser Wille, dass dieser Mann endlich die Regierung übernehmen soll und endlich etwas in Deutschland verändert, das ist schon vorher da.

Das Gespräch führte Dirk Becker

Henrik Eberle stellt „Briefe an Hitler“ (Bastei Lübbe, 9,95 Euro) am Mittwoch, dem 30. Januar, um 18 Uhr in der Brandenburgischen Landeszentrale für politische Bildung, Heinrich-Mann-Allee 107 (Haus 17) vor. Juliane Götz, Schauspielerin am Hans Otto Theater, liest aus ausgewählten Briefen. Der Eintritt ist frei 

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