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"Missing Baby" von Jana Müller und Alexej Meschtschanow zeigt Foto-Fragmente einer Mutter, die einen Schuh ihres verlorenen Sohnes hält.

© Klaer

Ausstellung: Rätselhafte Objekte und Installationen im Kunstraum

Der Kunstraum Potsdam geht unter dem Titel „Demand on release“ auf Amerikareise und offeriert „Jahresgaben“.

Rätselhafte Objekte und Installationen sind das, die da im Kunstraum stehen. Ein großer hölzerner Schrank, aufgebockt auf einem von Rollen untersetzten Podest. Rollende Möbel mit gelben Rädern, aber auch von der Decke hängende Tücher, zwei aneinander gekettete Kinderstühle. „Demand on release“ ist der Titel der aktuellen Ausstellung von Jana Müller und Alexej Meschtschanow – eine verdrehte Anspielung auf die im englischen  Verlagswesen gängige Formulierung „Release on Demand“. Veröffentlichung und Nachfrage also. Was aber genau veröffentlicht werden soll und woher die Nachfrage kommen könnte, wird erst einmal nicht klar.

Eine lange Schlange von aneinander gereihten Fotos liegt auf dem mit Rollen untersetzten Objekt. Es sind Bilder von Wüstenlandschaften, von Coyoten, Strommasten und Hotelzimmern, und es findet sich auch eine Landkarte. Die Fotos stammen von einer Reise, die Jana Müller und Alexej Meschtschanow zusammen mit der Schriftstellerin Felicitas Hoppe quer durch die USA unternommen haben: Boston, Los Angeles, New York und zahlreiche Stationen an Orten dazwischen. Die kleine Reisegruppe hat mit der Fahrt eine Tour nachgezeichnet, die im Jahr 1935 das sowjetische Schriftstellerduo Ilja Ilf und Jewgeni Petrow unternommen und in einem berühmt gewordenen Tagebuch mit dem Titel „Eingeschossiges Amerika“ veröffentlicht hatten. „Grand Tour – Europa verlassen“ haben die beiden Künstler ihre Installation genannt.

„Wir zeigen hier Positionen, die in einer konventionellen Galerie nicht zu finden wären“, erklärt Kunsthaus-Leiter Mike Gessner das Konzept. Tatsächlich gibt es auch in Berlin nicht viele Galerien, in denen eine derart raumgreifende Installation adäquat präsentiert werden könnte. Dass die Arbeit zuvor bereits in einem Museum zu sehen war, ist daher nur konsequent. Anhand der Fotos entfaltet sich das Hochglanzpanorama eines Landes, das von weiten Landschaften und viel Einsamkeit geprägt ist.

Die Reise geriet unversehens zu einer Momentaufnahme der Vereinigten Staaten, in denen mit der Wahl des neuen Präsidenten ein kultureller Umbruch eingeleitet werden sollte. Wie weit der anstehende politische Wandel zur Zeit der Fahrt schon in der Luft lag, lässt sich den Fotos nicht entnehmen. Aber die Stimmung der Fotos wird durch den gelesenen Text von Felicitas Hoppe verstärkt, der aus den Lautsprechern durch den Raum schallt. Die sonderbar surreal anmutenden, aber handwerklich sehr sorgfältig gearbeiteten Möbel verleiten zum Innehalten. Gleiches gilt für das Fotoobjekt „Missing Boy“. Das Archivfoto einer Mutter, die ihren Sohn vermisst, ist in viele einzelne Quadrate unterteilt. Aus denen wiederum setzt sich ein ganzes Panel zusammen – so, dass das Motiv erahnbar, aber nicht erkennbar ist. Im Mittelpunkt der Fotoinstallation: ein Basketballschuh, den die betroffene Mutter in den Händen hält. Die Zergliederung des Motivs führt zu der Frage, wie sich Erinnerung, Schmerz und die fotomechanische Reproduktion von Realität zueinander verhalten.

Einen ganz anderen Ansatz verfolgt das Künstlerpaar bei „Kindermord in Bethlehem“, so der Titel eines Werkes aus zwei Stühlen, die mit einer komplizierten Konstruktion aneinander geschraubt und angekettet sind. Wobei die Ketten der Stühle jeweils aus der Wandverankerung herausgerissen erscheinen. Unversehens assoziiert man die weiße und die schwarze Farbe der Stühle mit verschiedenen Hautfarben. Die Größe der Sitzmöbel lässt diese kindgerecht erscheinen. Der Titel und das martialisch anmutende Arrangement machen aus dem Werk eine zeitgemäße Interpretation des biblischen Themas.

Ein Arrangement aus Stoffen, Folien und LKW-Planen, das zusammen gezurrt von der Decke herab hängt, ergänzt die Ausstellung. Der Titel: „Fruits“. Früchte sind auch auf die Planen gedruckt. Darunter auch eine Alraune, die im Mittelalter mit allerlei Mythen behaftet war und deren Form gelegentlich an menschliche Gliedmaßen erinnert. Auch dieses Objekt ist hochästhetisch, sorgfältig im White Cube des Ausstellungsraumes arrangiert und fände wohl so leicht keinen anderen Platz, an dem es seine poetische Kraft entfalten könnte.

Zu den raumgreifenden Werken von Müller/Meschtschanow gesellen sich die „Jahresgaben“ von Künstlern, die ihre Werke zu verbilligten Preisen im Kunstraum darbieten. Zu sehen sind Fotos, Drucke, kleine Malereien, Zeichnungen und Installationen. Und auch eine umfangreichere Installation von Chris Hinze. Das Objekt fällt schon durch seine verhältnismäßige Größe auf, auch wenn es sich nur um die kleinere Variation einer größeren Arbeit von Hinze handelt. Auf einem Podest, das wie rostiges Eisen anmutet, hat Hinze auf einem Bett aus Moos Halbschalen aus Beton arrangiert. Eingepresst in die glatte Oberfläche ist der Querschnitt einer Hirnhälfte. Mithilfe einer komplizierten Technik hat der Künstler das Relief auf die Betonschalen appliziert, die sich nun jeweils schwarz und weiß bemalt gegenüber liegen.

Das Kunstwerk stellt eine unmittelbare Beziehung her zwischen der Natur, die durch den moosigen Untergrund symbolisiert wird, dem menschlichen Geist und der komplizierten Technik, mit der die menschliche Anatomie in dieser Form überhaupt erst sichtbar wird. Dennoch bleibt bei der Arbeit Hinzes, wie auch bei Müller und Meschtschanow, jener unlösbare Rest an Rätsel, der alle hochkarätigen Kunstwerke umgibt. R. Rabensaat

Zu sehen bis 16.12. im Kunstraum Potsdam in der Schiffbauergasse. Am 15.12. um 14 Uhr Finissage mit Felicitas Hoppe

R. Rabensaat

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