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Hans-Hendrik Grimmling stellt in der Galerie Sperl aus.

© Ottmar Winter PNN

Ausstellung in der Potsdamer Galerie Sperl: Aufmarsch der geschulterten Gewehre

Der Künstler Hans-Hendrik Grimmling eröffnet am Sonntag seine neue Schau in der Sperl Galerie. Fast unbemerkt hat Corona in seinen Bildern Raum gegriffen, und ihn auch zum Stillleben geführt.

Potsdam - Dieses Grün überrascht. Es hat etwas Hoffnungsvolles, beinahe Versöhnliches. Ist Hans-Hendrik Grimmling altersmilde geworden? Mitnichten! Dieser Maler des explosiven Aufschreis, der starken Kontraste, der sich vor allem dem Schwarz und Rot anverwandt fühlt, bleibt ein Verstörer. Und doch klingen manche Töne in der Ausstellung leiser, die am Sonntag in der Sperl-Galerie eröffnet wird. Fast unbemerkt hat Corona in den Bildern Raum gegriffen, ihn auch zum Stillleben geführt. Sein „Widerständiges Blühen“, das zum dichtgewebten Ausstellungsfries auf den graugestrichenen Wänden der Galerie gehört, ist keineswegs ein blumiges Vergnügen. Die Stängel formieren sich wie geschulterte Gewehre – zum Aufmarsch bereit. Und die kreisrunden Blüten leuchten blutrot, wie aufgeschlagene Knie.

Das Grün ist Grimmlings Erinnerungsfarbe

„Das Grün, das Florale, das sich nach Weihnachten in meine Bilder schlich, hat mich selbst überrascht. Es bekam plötzlich diese Corona-Wertigkeit gegen Lethargie, gegen Müdigkeit und zeigt wohl das Unterbewusste, am Leben bleiben zu wollen. Wie kleine Blüten, die ich manchmal an fast vertrockneten Stauden sehe, und die sich nicht unterkriegen lassen“, sagt Grimmling, der mit seinen 73 Jahren zur Risikogruppe gehört. Das Grün ist auch Grimmlings Erinnerungsfarbe. Es begleitet den in Zwenkau bei Leipzig geborenen Maler seit seiner Kindheit. Noch immer läuft er diesen Erinnerungen nach: Er sieht sich mit Dreiecksbadehosen in die Schaumberge der Weißen Elster springen und sich hinterher den bröckelnden Schmutz vom Gesicht abwischen, er fühlt den Dreck der Kohlengrube, die Flugasche, die sich über das Grün seines Waldes legt: ein schmutziges Grün. „Ich habe erlebt, wie erst die Kirchen, dann die Dörfer, dann die Wälder verschwanden. Und schließlich die Gruben kamen.“ 

Bei Kaffee und Kuchen sinniert er am Rande des Ausstellungsaufbaus, wie er einst mit seinem Malköfferchen an den Fluss und in die Auen zog. Völlig frei holte er die Welt von außen in sein Inneres, nahm das Grün ganz unbewusst mit. Später malte er auf den Flözen, sah in die Weite ohne Horizont. „Trotz Dreck war es Poesie. Es barg so viel Veränderung.“ Heute ist aus dem Tagebau-Ort ein Erholungsgebiet geworden. Es gibt einen Hafen und weiße Segel auf der Weißen Elster. „Und dennoch bedrückt es mich, dort zu sein. Ich könnte heute nicht mehr an den Orten leben, die ich einmal verlassen habe.“ So wie Leipzig, wo er studierte, Meisterschüler wurde und schließlich seine aufwühlenden, wuchtigen Bilder malte. Verstörend wirken sie, seine Vogelmänner, die unbekümmert dem schwarzen Vogel die Flügel verbiegen und brechen. Sie sind Sinnbild für die Drangsalierung, die er in der DDR erlebte. Auch in der jetzigen Ausstellung sehen wir Vögel, denen es an der Kragen geht, die mit ihren Schnäbeln atemlos nach Luft schnappen. Die Gefahr kommt nun aus anderen Quellen.

Grimmling, der bildreiche Erzähler

Grimmling, der große Verehrer von Max Beckmann, braucht für seine Metaphorik Raum. Seine Bilder sind Giganten: von den Ausmaßen, von den Farben, von den Formen. Und dennoch scheinen die Figuren den Rahmen noch immer sprengen zu müssen. Der wie immer in Schwarz gekleidete Grimmling spricht vom Schwafeln mit Pinsel und Farben. Wenn er die Malutensilien in seinem Atelier im Berliner Wedding beiseitelegt, redet er weiter, nun mit Worten. Nur ungern lässt er sich unterbrechen. Grimmling ist ein bildreicher Erzähler, ein Philosoph, ein Selbstdarsteller. Mit der jetzigen Ausstellung eröffnet er zugleich einen eigenen Youtube-Kanal: Grimmling Ateliergespräche. 

Natürlich findet er auch dort, in den Selbstgesprächen, den Weg zurück. Heute nach über 50 Maljahren hat sich der Blick gefaltet, „wie bei einem kleinen Schiffchen: ins Innere hinein“. Weit öffnet er den Käfig der Erinnerung, sieht oft ins Jahr 1984, als er den „1. Leipziger Herbstsalon“ mitorganisierte: halblegal, an den Behörden vorbei. Eine mutige junge Garde legte sich mit der etablierten Kunst an, stellte öffentlich die Machtfrage – mitten in der Stadt, im Messehaus am Markt. Mehr als 10 000 Menschen kamen in ihren Salon: ein kurzer Moment der Zufriedenheit. Wenig später wurde er als „konterrevolutionär“ eingestuft. Die Salonherren Lutz Dammbeck, Günter Firit und Hans-Hendrik Grimmling verließen die DDR. 

"Man lernt mit seinem Ich umzugehen"

Bevor Grimmling 1986 nach West-Berlin übersiedelte, war er im November 1985 noch in Potsdam beim legendären Friedensfest in der Nikolaikirche dabei. Auf einer 17 Meter langen Leinwand zeigte er die Gestalt eines Gestürzten, der gegen die Umklammerung eines Stacheldrahtes zu kämpfen scheint. Potsdam war für ihn nach Zwenkau und Leipzig wie eine Weltreise, auf der er auf den „Außerirdischen“ Rudolf Tschäpe traf. „Dieser Mann war nicht nur gebildet, sondern auch sehr charmant. Ich war schon etwas neidisch, wie er auf Frauen wirkte“, sagt Grimmling über den 2002 verstorbenen Astrophysiker und Bürgerrechtler. Vor allem begeisterte ihn Tschäpes Besonnenheit, die seiner eigenen permanenten Unruhe völlig entgegenstand. „Mit dieser Ruhe setzte er tatsächlich die Ausstellung durch: zur Friedensdekade – obwohl sie keine konfessionelle Bezüglichkeit hatte. Eine große Form von Toleranz! Wir haben etwas gewagt, und es gelang, obwohl die Stasi aufzog, der Pfarrer weiche Knie bekam.“ Vor allem auch durch den Kunsthistoriker Andreas Hüneke, der ein Pamphlet über freie Kunst und freien Glauben aufsetzte. „Wir bekamen grünes Licht. Obwohl alle wussten, dass ich einen Ausreiseantrag gestellt hatte.“ In Leipzig fühlte sich Grimmling zuletzt gemieden, auch von seinen Freunden. Er musste, nachdem er den Antrag auf Ausbürgerung gestellt hatte, an den Stadtrand ziehen, angeblich, weil seine zentral gelegene Wohnung baufällig war. „Niemand kam mehr zu Besuch. Die Isolation hatte geklappt und war ein gutes Training.“ Denn auch im Westen fühlte er sich anfangs isoliert. Für den Maler auch ein Gewinn, wie er sagt: „Das Training der Selbstisolation ist der Weg zur Kunst. Man entzieht sich der Gemeinschaft. Kunstmachen ist auch ein Verlies. Aber es ist ein Glück, Kunst zu machen. Man lernt mit seinem Ich umzugehen.“ 

Raum für Grün. 
Raum für Grün. 

© Ottmar Winter PNN

Mitunter auch, mit Angriffen von außen fertig zu werden. Die kamen vor allem nach der Ausstellung „Hinter der Maske“ im Museum Barberini 2017, in der er sein Triptychon „Die Umerziehung der Vögel“ von 1977 zeigte. „Die Kuratoren hatten uns nicht gesagt, dass auch die für den Palast der Republik gemalten staatskonformen Auftragsbilder zeitgleich im Museum zu sehen sind. Das macht man nicht. Doch die Verträge waren unterzeichnet, und ich ließ meine Bilder hängen. Sie hingen sehr gut. Aber ein ganzer Malerkreis spaltete sich nach dieser Ausstellung. Freunde fragten mich: Was ist aus dir geworden? Was hat der Westen aus dir gemacht?“

Der Künstler und seine politische Gesinnung

Ja, was machte er aus dem Rebell, der jetzt seine vierte Personalausstellung bei den Sperls zeigt und im Herbst 2019 auch in der großen Leipziger Ausstellung über den gesellschaftlichen Umbruch in Ostdeutschland vertreten war: in „Point Of No Return“.  Grimmling reibt sich weiter an dieser Welt, geht zu Demos gegen den Klimawandel, obwohl er nicht glaubt, dass die Menschen davon ablassen, immer mehr zu wollen. „Das ist die Krux des kapitalistischen Systems und der Freiheit. Sie ist ein ganz schweres Gericht. Man ist schon nach dem ersten Gang satt, aber man muss immer weiter essen. Auch meine Ateliers werden immer größer und teurer.“ 

In der jetzigen Ausstellung kosten seine Bilder zwischen 3000 und 23.000 Euro. Ungefragt erzählt der etablierte, bei Sammlern gefragte Künstler, dass er neben den Grünen auch schon zwei Mal die CDU gewählt hat. „Konservativ gehört heute für mich zur Mitte, das sage ich auch meinen Kindern. Früher, als Ost-Linker, war für mich konservativ gleichbedeutend mit reaktionär.“ Der Künstler schätzt den Sozialstaat. „Im Vergleich zu Afrika oder China leben wir doch im Paradies. Deshalb sollten wir etwas Demut zulassen.“ Aber er weiß, dass es kein Entkommen gibt aus dem Wettbewerb. Vielleicht gerade deshalb widmet er dieser Pause, die jetzt so vieles lahmlegt, Raum: Raum für Grün. Und sei es noch so zart. 

Die Vernissage findet am Sonntag, dem 19. Juli, 15 bis 18 Uhr, in der Sperl-Galerie, Schopenhauerstraße 2, statt. Zur Eröffnung spricht Christoph Tannert, es erscheint ein Katalog. Die Schau erstreckt sich über zwei separate Galerieräume. Genügend Abstand ist möglich. Zu sehen ist die Ausstellung bis zum 20. September.

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