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Die Berliner Künstlerin Katrin von Lehmann findet ästhetische Formen für wissenschaftliche Erkenntnisse.

© Repro: Andreas Klaer

Ausstellung in der ae-Galerie: Pfirsichhaut aus Papier

Zwei Künstlerinnen verknüpfen in der Potsdamer Galerie a|e bloße Information mit Kunst – und zwar mithilfe von Papier.

Potsdam - „Visi-topia 17“ benennt die Künstlerin Katrin von Lehmann eine ihrer Arbeiten, die aktuell in der Galerie a|e im Rahmen der Doppelschau „Widerstand Papier und wir“ zu sehen ist. Sie setzt sich zusammen aus „Buntstiften auf Papier, gelocht, mit Acryglashaube“. Die Zeichnung auf Papier, versehen mit einem darüber liegenden Lochpapier ist so etwas wie der Ursprung vieler ihrer Werke.

Von Lehmann hält sich gern auf den Azoren auf und nimmt ihr künstlerisches Werkzeug mit dorthin: Buntstifte, Papier. Die Landschaft abbilden oder illustrieren – dafür interessiert sich die 1959 geborene Künstlerin, die bis 1991 ein Studium an der Akademie der Künste in München abschloss, allerdings nicht. Dennoch hatte sie bei ihrem Aufenthalt auf der Insel vor ungefähr zehn Jahren eine bildliche Vorstellung entwickelt: eine Systematisierung der Zeichen und Linien, die sich auf dem Papier ergaben. Verdichtungen der Striche, ein Auseinanderlaufen, Ballungen ergaben Muster, die ihr reizvoll erschienen und sie zu weiteren Studien inspirierten. Alsbald wurden auch Tische oder Wände mit in den Zeichenprozess einbezogen. 2012 war Lehmann Artist in Residenz am Max-Planck-Institut für Wissenschaftsgeschichte in Berlin und entwickelte dort ihr Projekt „Blick auf Vielfalt“, welches ebenfalls in der Ausstellung Erwähnung findet. Wiederum mit Zeichnung und Lochpapier entstanden nun allerdings Formen, die eine feste Ordnung haben.

Wissenschaftsdaten erhalten eine visuelle Form

Von Lehmann hatte zahlreiche Tabellen, Statistiken und geografische Aufzeichnungen über die menschliche Vielfalt am Max-Planck-Institut vorgefunden. „Aber daraus ergab sich kein zusammenhängendes Bild, es waren lauter Einzelinformationen“, sagt die Künstlerin. Mit der von ihr entwickelten Zeichen- und Lochtechnik wollte sie für die gesammelten Informationen eine ästhetische Form finden. Die unendliche Variation der menschlichen Erscheinung sollte eine künstlerische Verdichtung erfahren. Dies geschah wiederum mit Linien und einer Papierkonstruktion, in der sich die Fragilität der humanen Diversität ebenso einschreibt, wie dessen unendliche Varianz. Lehmann hatte für sich eine Methode gefunden, sich wissenschaftlichen Erkenntnissen mit künstlerischen Methoden zu nähern.

Die auf diese Weise entstehenden Werke beschreiben und bebildern nichts. Sie fordern den Betrachter auf, sich mit dem Werk, dessen Entstehungsprozess und den darin verdichteten Forschungsergebnissen zu befassen. „Ny Alesund“ ist der Titel einer Serie von gefalteten Kugelschreiberzeichnungen auf Papier. Meteorologisch ermittelte Temperaturwerte aus Spitzbergen sind die Grundlage. „Das ist die nördlichste Temperaturmessstation der Welt“, stellt Lehmann fest. In einer Zusammenarbeit mit dem Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung und dem Potsdamer Alfred-Wegener-Institut verarbeitete sie die Werte einer dreiwöchigen Wetteraufzeichnung auf Papier. Diese Papiere faltete sie jeweils und schichtete sie anschließend aufeinander. Für den Betrachter ist nur die schmale Außenkante des gefalteten Blattes zu sehen. Dennoch entsteht ein ästhetisches Werk, durch das die Wissenschaftsdaten eine visuelle Form erhalten. Kurz: Die Schönheit des wissenschaftlichen Strebens um Erkenntnisgewinn wird in eine künstlerische Form überführt.

Werke, die an Holz oder Pfirsiche erinnern

Die Arbeiten Lehmanns korrespondieren in der Ausstellung mit denen von Beate Hoffmeister. Auch ihr Medium ist das Papier. Die Künstlerin greift dabei allerdings auf schon verarbeitetes Papier in Form von Büchern, Listen, Katalogen zurück. Telefon-, Adress- und Branchenbücher sind ihr bevorzugtes Material.

Hoffmeister zerschneidet das Papier, schichtet es neu, klebt und bündelt die entstandenen Papierfetzen. „Der triviale Gegenstand des Telefonbuches, ein Informationsträger, der gemeinhin als das langweiligste aller Bücher gilt, schon am Tag seines Erscheinens veraltet“, bilde das Ausgangsmaterial und erhalte durch die Verarbeitung eine neue künstlerische Form. „Leerstellen“, „Haariger Haken“, „Haariges Bündel“ lauten die Titel von Arbeiten der 1952 geborenen Künstlerin, die ein Studium an der Hochschule der Künste Berlin und an der Technischen Universität in Berlin absolvierte. Durch das Zerreißen und die erneute Schichtung des Papiers entstehen ganz verschiedene Oberflächen. An Samt, Pfirsichhaut, Fell und geschliffenes Holz erinnern ihre Werke. So entstehen aus sprödem Tabellen- und Zahlenwerk Gegenstände, die neue Assoziationen wecken. 

>>In der Galerie a|e, Charlottenstraße 13, bis 15. Februar. Geöffnet mittwochs bis freitags: 15 bis 19 Uhr, samstags: 12 bis 16 Uhr

Richard Rabensaat

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