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Bernd Geiling ist seit Beginn der Ära Wellemeyer im Ensemble. 

© HL Böhme

Abschied von HOT-Schauspieler Bernd Geiling: „Potsdams Publikum ist radikal“

Der Schauspieler Bernd Geiling feiert als Prospero in Shakespeares „Der Sturm“ seine letzte Potsdamer Premiere. Ein Blick zurück auf neun Jahre als Tyrann, Anzugträger – und Musicalstar

Potsdam - Die Figuren von Bernd Geiling betrachten die Welt immer ein wenig von halb oben. Aus einer Distanz heraus, die noch im bittersten Spott aus einer Verletztheit zu rühren scheint. Jeder Affekt liegt ihnen fern. Die Figuren, die er spielt, sind Meister der Selbstbeherrschung, manchmal auch der Herablassung. Sie scheinen immer einen Schritt zurückzutreten, bevor sie sich äußern, wie um ihren Kern, nennen wir ihn ruhig ihre Verletzung, nicht preiszugeben. Das machte die Herrscher, Tyrannen, Anzugträger, Größenwahnsinnigen, die er in den letzten neun Jahren in Potsdam so oft spielte, letztlich auf unterschwellige Weise so nahbar.

Im Sommer wird Bernd Geiling Potsdam in Richtung Saarbrücken verlassen, dort hat er ein Engagement im Staatstheater. Blickt man jetzt mit Bernd Geiling auf seinen Anfang in Potsdam zurück, scheint auch hier etwas von dieser spöttischen Distanz durch. Bernd Geilings Auftakt in Potsdam, das war die wohl größte Niederlage dieser zehn Jahre, der „Macbeth“ von Lukas Langhoff. Eine glücklose Inszenierung – der Regisseur war erkrankt, es blieben insgesamt zehn Probentage. Man wagte es trotzdem, das Stück fiel gnadenlos durch. Man spielte regelmäßig vor etwa 40 Zuschauern im Saal. Und Bernd Geiling? Der stand als Banquo mit auf der Bühne und sagt heute auf die Frage: Wie ist das, wenn die Leute scharenweise den Saal verlassen? „Amüsant.“

„Ich hab’s gern, wenn die Hütte voll ist“

„Es war schon richtig, dass wir diese Art von desaströsem Experiment nicht nochmal gemacht haben.“ „Ich hab’s gern, wenn die Hütte voll ist“, sagt er. Und, ernster: „Andernfalls hätten wir nicht neun Jahre lang durchgehalten.“ Für Bernd Geiling waren die neun Potsdamer Jahre „die beste Arbeitserfahrung überhaupt“. Das will was heißen, denn als Geiling 2009 nach Potsdam wechselte, hatte er bereits 20 Jahre in Ensembles in Mannheim, Mainz und Hannover gespielt. In Potsdam, sagt er, war Teamgeist gefragt. Das war anderswo anders.

Überhaupt, Potsdam: „So hinreißend schön!“ Als er hier ankam, aus Hannover, hatte er nicht das Gefühl, im Osten gelandet zu sein, sondern im Süden. Toskana! Dann kam die Premiere des „Macbeth“ und Geiling entdeckte, dass auch das Publikum anders ist in Potsdam. Bernd Geiling nennt es radikal. „Radikal in der Auswahl dessen, was es sehen will. Entweder die leichte Muse oder Stücke, die auf Vergangenheitsbewältigung setzen.“ „My Fair Lady“ oder „Der Turm“. Dazwischen gibt es nichts. Auch Klassiker finden, so Geiling, keine Gnade. Im „Don Carlos“ (Regie Markus Dietz) saßen teilweise nur 60 bis 80 Zuschauer in den Vorstellungen. Einem Schauspieler wie Geiling, jedem Schauspieler eigentlich, muss das wehtun. Er sagt: „Ich mache aus meiner Enttäuschung keinen Hehl, dass das Publikum oft nicht mitgegangen ist mit dem, was wir vorhatten.“

Er ist stolz auf den "My Fair Lady"-Erfolg

Vom Experimentellen machte Tobias Wellemeyer damals nach dem „Macbeth“-Desaster die 180-Gradwendung ins Gefällige: Vermehrt Musicals. Bernd Geiling war auch hier ganz vorne mit dabei, als Professor Higgins stand er in „My Fair Lady“ siebzig Mal vor ausverkauftem Saal auf der Bühne. Was andere eher als stadttheaterobligatorische Pflichtübung abtun würden, macht Geiling stolz.

Dabei ist er einer, für den – „ein bisschen anachronistisch vielleicht“ – der Text einer Rolle im Vordergrund steht. Kleist, Schiller – Geiling bezwingt die Sprache der Klassiker scheinbar mühelos. Und er hat keine Angst vor noch so einem anachronistischen Wort: Haltung. „Ich suche die Haltung hinter jeder Figur, deren Kosmos.“

Ein großer Liebender und ein Zorniger

Was also ist der Kosmos des Prospero – als der er heute Abend auf der Bühne in Shakespeares „Der Sturm“ seine letzte Potsdamer Premiere feiert? „Das ist ein großer Liebender, ein Außenseiter, auch ein Zorniger. Er geht in die Einsamkeit, in den Tod.“ Prospero ist auch ein Sklavenhalter, könnte man da ergänzen: Prospero, der einstige Herzog von Mailand, lebt mit seiner Tochter Miranda im Exil auf einer abgelegenen Insel – und hat sich, eine Überlebensmaßnahme, den Inselbewohner Caliban zum Knecht gemacht.

Zu Anfang des „Sturm“ werden die ehemaligen Widersacher auf die Insel gespült, am Ende hat Miranda einen Mann und Prospero den Willen, nach Mailand zurückzukehren. Weil er dafür seiner Zauberkräfte entsagt, kann das aber ebenso den Tod bedeuten. „Es ist ein Stück über das Loslassen, über einen schmerzlichen Abschied“, sagt Bernd Geiling, und meint damit auch den von Potsdam. „Das wird das Publikum auch sehen, denke ich.“

Als Transvestit Zaza mit hohen Absätzen

Banquo und Prospero, dazwischen immer wieder singende Komödienhaudegen, wie Higgins in „My Fair Lady“ (Regie Nico Rabenald) und natürlich Albin in „La Cage aux Folles“ (Regie Ulrich Wiggers) – dass ein Schauspieler nicht nur einen solchen Spagat schafft, sondern dabei auch noch in jeder Rolle tadellos Gesicht und Haltung zu wahren vermag, ist selten. Bernd Geiling schafft das, auch dafür bekam er 2017 den Potsdamer Theaterpreis. Er sieht als Transvestit Zaza auf hohen Absätzen und mit Federboa in „La Cage aux Folles“ ebenso würdevoll aus wie als Nadelstreifenträger oder als König in „Don Carlos“.

Wenn man Bernd Geiling fragt, was ihm näher ist, seine Rolle in „Don Carlos“ oder die in „La Cage aux Folles“, muss er nicht lange überlegen: Letztere. Als er das Stück damals auf dem Spielplan sah, ging er zum Intendanten und sagte: Zaza/Albin, das bin ich. Schon als er, Sohn eines Maurers und einer Hausfrau, mit dem Theaterspielen anfing, wollte er Komiker sein. „Ich wollte die Leute zum Lachen bringen.“ Für ihn ist Zaza eine der schönsten Rollen überhaupt, „weil man mit der Figur über die Welt lachen kann“, sagt er. Darin, in der tragikomischen Größe, ist die Zaza des Broadwayhits „La Cage aux Folles“ für Geiling nicht weit weg von den großen Shakespeare-Rollen.

"Schreiben Sie bloß nicht, ich sei so ein verbitterter Knorken."

Dass das Ensemble mit dem Weggang von Tobias Wellemeyer jetzt auseinanderbrechen – er sagt: „zerstört werden“ – musste, will Bernd Geiling nicht einleuchten. „Ein sattes Dutzend Leute wird hier in die Arbeitslosigkeit gejagt.“ Ist nicht aber ein Ensemblewechsel bei einem Intendantenwechsel die normalste Sache der Welt, Business as usual? "Mag sein", sagt Bernd Geiling, „aber das will und werde ich nicht als normal bezeichnen in diesem Leben“. Trotzdem wünscht er der neuen Intendantin einen guten Start – und ein volles Haus. "Bitte", sagt er noch, "schreiben Sie bloß nicht, ich sei so ein verbitterter Knorken." Nein, ist er nicht. Eher ziemlich geradezu und gar nicht von halb oben.

Die Premiere heute um 19.30 Uhr im Hans Otto Theater ist ausverkauft. Weitere Termine am 19.5. und 27.5. sowie am 2., 3. und 30.6.

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