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Wolfgang Kohlhaase hat mehr als 20 Filme für die DEFA geschrieben, nach der Wende wurde Andreas Dresen sein Arbeitspartner.

© Patrick Pleul/dpa

90. Geburtstag Wolfgang Kohlhaase: Eine wichtige Stimme im gesamtdeutschen Gedächtnis

Der Geschichtenerzähler und Drehbuchautor Wolfgang Kohlhaase interessiert sich für Menschen, nicht für Ideologien. Eine Gratulation.

Potsdam - In Wolfgang Kohlhaases Erzählung „Kohlen und Kavallerie“ trifft der Ich-Erzähler auf einen Kohlenhändler. Sie geben einander die Hand, kommen auf Fußball zu sprechen, und auf die Vergangenheit. Der Kohlenhändler war mal bei der Kavallerie, sagt er: als Ulan in Leipzig. Von da kommen sie auf Kürassiere in Pasewalk, Dragoner in Parchim, Husaren in Stendal, und brauchen dafür nicht einmal einen Absatz. Am Ende reichen sie sich wieder die Hand, und der Ich-Erzähler steigt in sein Auto. „Aber so wie er mich ansieht, scheiden wir als Reiter.“

In wenigen glasklaren Sätzen kommt der Prosaautor Kohlhaase in „Kohlen und Kavallerie“ einer Figur auf den Grund, ohne sie zu verraten. Und er zeigt, wenn man so will, auch was die große Kunst des Drehbuchautors Wolfgang Kohlhaase ausmacht: So viel Charakterschärfe wie möglich in so wenigen Worten wie nötig.

„Kohlen und Kavallerie“ erschien erstmals 1977 im Aufbau Verlag. Am 13. März feiert Wolfgang Kohlhaase seinen 90. Geburtstag, und dass der Wagenbach Verlag das zum Anlass nimmt, um diese Erzählungen neu zu veröffentlichen („Erfindung einer Sprache und andere Erzählungen“), ist ein Glück. Wer seine Filme nicht kennt, wird sie danach kennenlernen wollen. Wer sie kennt, wird Themen, Stimmungen, Figuren wiederfinden. Die Halbstarken im Ostberlin der Nachkriegszeit („Berlin Ecke Schönhauser“), die Sprachlosigkeit über die Gräuel im Krieg („Ich war neunzehn“), den Lebenshunger einer „Solo Sunny“.

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Immer wieder geht es in den Drehbüchern und Erzählungen natürlich auch um: die Liebe. Wie ihr von den Realitäten und Banalitäten des Lebens ein Bein gestellt wird. Selten komischer, tragischer als in „Inge, April und Mai“. Eine erste, im ausgehenden Krieg unbeholfen aufblühende Liebe geht kaputt, weil der pubertierende Ich-Erzähler seiner Angebeteten den später bitter bereuten Satz sagt: „Heut Nachmittag habe ich keine Zeit.“

Nicht Überlebende, sondern ausdrücklich Lebende

Der Krieg endete, als Wolfgang Kohlhaase 14 war. Er lauert immer irgendwo. In den Erzählungen und frühen Filmen oft als Mitspieler im Vordergrund. Später in den von Einschusslöchern durchzogenen Fassaden des Prenzlauer Bergs. Kohlhaases Figuren sind trotzdem nicht in erster Linie Überlebende, sondern ausdrücklich Lebende. Auch noch da, wo sie dem Tod ins Auge sehen, wie Henry Hübchen in Andreas Dresens „Whisky mit Wodka“. Als er seinem todkranken Vater im Krankenhaus auf dessen Wunsch Bier statt Tee gibt, und der Vater das nicht überlebt, sagt Hübchen die alles erklärenden, nichts zerredenden zwei Sätze: „Er war kein Teetrinker. Er war Biertrinker.“

Wolfgang Kohlhaase hat sich immer für Menschen interessiert, nicht für Ideologien, schreibt Dresen im Nachwort zum Erzählband. Mehr als 20 Filme entstanden für die DEFA, wo Kohlhaase nach Volontariat und Redakteursdasein bei der Jugendzeitschrift „Start“ sowie späterer Tätigkeit für die „Junge Welt“, kurz als Dramaturgie-Assistent angestellt war. Schon 1952 war er freischaffend. Nach 1989 folgten Arbeiten, die ihn auch im gesamtdeutschen Gedächtnis zu einem der wichtigsten Drehbuchautoren machen: Volker Schlöndorffs „Die Stille nach dem Schuss“, Matti Geschonnecks „In Zeiten des abnehmenden Lichts“, Andreas Kleinerts „Haus und Kind“.

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Die Zusammenarbeit mit Andreas Dresen begann 2005 mit „Sommer vorm Balkon“. Rund 30 Jahre, nachdem der Kohlenhändler als Kavallerist vondannen ritt, erzählt Kohlhaase hier von dem Trucker Ronald. Auf die Frage, was er denn transportiere, sagt der: „Meistens Teppiche. Aber das füllt mich nicht aus. Nicht beruflich und auch nicht menschlich.“ Ein typischer Kohlhaase-Moment: Man will von Herzen lachen, und doch nimmt Ronald keinen Schaden dabei. Im Gegenteil. Wie schafft Wolfgang Kohlhaase das? Vermutlich hat Andreas Dresen auch hier recht. „Das hat damit zu tun, dass er die Menschen und seine Figuren mit den Augen der Liebe betrachtet.“ (Das Filmmuseum Potsdam gratuliert Wolfgang Kohlhaase mit einer Filmreihe, unter: https://filmmuseum-potsdam.cinemalovers.de)

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