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In enormem Tempo machen Firmen in Zossen auf und wieder dicht. Amtsschreiben lassen sich häufig kaum mehr zustellen.

© imago/Steinach

Immobilienfirmen in Zossen: Die Stadt der Briefkästen

Dubiose Firmen, keine echten Büros – in Zossen kämpft Bürgermeisterin Michaela Schreiber gegen gierige Immobilienhändler. Spuren führen nach Berlin.

Eine halbe Stunde von Berlin entfernt liegt ein Steuerparadies. Zossen, das ist eine Kleinstadt mit rund 20.000 Einwohnern, praktisch an der B96 gelegen. Sie hat sich prächtig entwickelt, rund um den Marktplatz mit der alten Eiche sind Cafés, Geschäfte, Banken. Die Bevölkerung wächst, die Arbeitslosigkeit zählt mit drei Prozent zu den niedrigsten Brandenburgs. Denn Zossen hat auch die geringste Gewerbesteuer des Landes.

Es ist eine Strategie, die einige Gemeinden rund um Berlin verfolgen, um Unternehmen anzulocken. In Zossen ist sie voll aufgegangen, und so könnte Bürgermeisterin Michaela Schreiber zufrieden sein. Doch vor ein, zwei Jahren begann etwas gehörig schiefzulaufen in ihrer Stadt, und das macht sie wütend.

In ihrem Büro im Zossener Rathaus hängt ein rot-schwarzer Boxsack. Auf ihren Arm hat sie die Worte „Fides, Veritas, Justitia, Robur“ tätowiert. Wahrheit, Gerechtigkeit, Kraft, Vertrauen. Michaela Schreiber kennt jeden in Zossen. Sie ist hier geboren, aufgewachsen, zur Schule gegangen. Doch die Geschäftsmänner, die seit Kurzem nach Zossen kommen und sie so wütend machen, kennt sie nicht wirklich. Kaum jemand kennt sie. Schreiber sagt: „Denen geht es nicht darum, wenig Steuern zu zahlen, sie wollen gar keine zahlen.“

Nur, wer sind die?

Etliche Firmen sind in den vergangenen Jahren nach Zossen gekommen. Seriöse, fragwürdige, etwa auch kriminelle? Um sich einen Überblick zu verschaffen, muss man nur einmal rund um den Marktplatz laufen.

An einem der Häuser hängt neben der Eingangstür ein weißer Briefkasten, dessen gesamte Fläche von einem dicht bedruckten A4-Bogen bedeckt ist. Darauf die Namen von 60 Firmen, die angeblich hier ihren Sitz haben. Auffällig: Die meisten von ihnen sind Immobilienfirmen. Durch die Scheibe ist im Innenraum ein leergefegtes Besprechungszimmer zu erkennen. Kein Mensch ist dort.

Die Firmen stehen unter Druck

Dass mehr Immobilienfirmen ihren Sitz nach Zossen verlegen, ist ein Phänomen, das Michaela Schreiber erst seit Kurzem beobachtet, „seitdem in Berlin über Mietendeckel, Enteignung und Milieuschutz diskutiert wird und die Stadt endlich aktiv geworden ist“. Schreiber vermutet, die Firmen reagierten auf den Wandel des politischen Klimas. „Seitdem suchen die nach ruhigeren Rückzugsgebieten.“

Tatsächlich findet sich unter den zahllosen Briefkastenfirmen ein Name, der in Berlin längst berüchtigt ist: „Zelos Properties GmbH“. Denn der gehört seit einigen Jahren ein Haus im Herzen Kreuzbergs, Reichenberger Straße 58. Dort im Erdgeschoss wirtschaftet das „Kneipenkollektivs Meuterei“.

Anruf in Kreuzberg bei der Kneipe „Meute“. Marcus Grätsch hebt ab. Über die Firma Zelos kann er viele Geschichten erzählen, ja fast die ganze wechselhafte Firmengeschichte. Grätsch hat sogar schon mit dem gegenwärtigen Geschäftsführer, Goran N., persönlich verhandelt. „Der ist mit einer Räumungsklage gegen uns unterwegs“, sagt Grätsch, „Streitwert 11.000 Euro“.

Es ist nur der neueste Aufreger um dieses Haus, das selbst für Berliner Verhältnisse seit 2009 schon eine verblüffende Abfolge von Eigentümern und Affären überstanden hat. Denn die Reichenberger 58 war einmal im Besitz einer Firmengruppe im Zentrum der Affäre um sogenannte „Schrottimmobilien“, über die schließlich Berlins damaliger Justizsenator Michael Braun stürzte. Für Grätsch und die Mieter der Reichenberger 58 brachte das Ende der Affäre einen neuen Eigentümer, die Firma Zelos Properties – mit Sitz in Zossen. Der Kampf gegen Verdrängung habe sich dadurch noch verschärft, sagt er.

Das raue Klima in Berlin

Für Immobilienfirmen ist das Klima rau geworden in Berlin. Viele Hausgemeinschaften vernetzen sich, kämpfen gegen den „Mietenwahnsinn“. Autos der Firma Deutsche Wohnen gingen in Flammen auf. Und die Justiz greift mit Hausdurchsuchungen und Beschlagnahmungen hart gegen die kriminellen Ränder der Branche durch.

Ist Zossen also der bequeme Rückzugsort für Firmen mit Imageproblemen? Oder hat die Stadt nun zu kämpfen mit Geistern, die sie selbst gerufen hat?

Wirtschaftsexperten kennen das Problem

„Das Problem ist bekannt; kleine Gemeinden im Umland von Ballungsgebieten locken Firmen an mit niedrigen Hebesätzen“, sagt Stefan Bach, Steuerexperte beim Deutschen Institut für Wirtschaft DIW. Weil Metropolen wie Frankfurt, Berlin und München mit den Produktionsstätten wuchsen, die immer mehr Menschen in die Städte lockten, und weil die Digitalisierung eine neue Gründerwelle und Start-ups bringt, gönnen sich die Großstädte eine hohe Gewerbesteuer. Sie brauchen das Geld zur Finanzierung von Straßen und Netzen, von Schulen und Kitas.

Und so erkennen Gemeinden im Umland ihre Chance darin, den Unternehmern das ruhige Landleben durch weniger Steuern schmackhaft zu machen. Besonders gut gelang das Eschborn nahe der Finanzmetropole Frankfurt, bis sogar der damalige hessische Finanzminister Thomas Schäfer tobte, er werde eine Solidaritätsumlage von Eschborn einfordern, um deren „Dumpingsteuersätze“ auszugleichen. Die Stadt mit 20.000 Einwohnern zählte 32.000 Arbeitsplätze. Auf dem Papier.

Berlin in die Zange genommen

Berlin wird an seinen Stadtgrenzen regelrecht in die Zange genommen von Gemeinden, die mit halb so hohen Gewerbesteuern wuchern. Im Süden ist das neben Zossen Schönefeld. Die Gemeinde mit dem verschleppten Großflughafen hatten Immobilienunternehmer bereits vor zwei Jahren zum gelobten Land erklärt, weil die Ämter viele Äcker zu Bauland machten und mit einer unternehmerfreundlichen Verwaltung einen regelrechten Bauboom auslösten. Im Norden Berlins locken Biesenthal und Marienwerder, beide mit Gewerbesteuern nur geringfügig über dem gesetzlichen Minimum.

Berlins Staatssekretär für Finanzen Fréderic Verrycken sorgt das nicht. „Einen Trend können wir definitiv nicht feststellen“, sagt er. Und schon gar keinen Firmenexodus in nennenswertem Umfang.

Auch Bürgermeisterin Michaela Schreiber glaubt nicht daran, dass ihre Steuerpolitik schuld ist an den vielen Briefkastenfirmen, die sich in ihrer Stadt gegründet haben. Den niedrigen Steuersatz, sagt sie, „haben wir seit der Kommunalreform 2003“. Doch Probleme mit unseriösen Immobilienfirmen erst seit anderthalb Jahren.

Sie will es lieber gleich richtig machen "als den Mist abräumen"

Schreiber ist Juristin. Nach dem Studium lösten sie in einer Kanzlei die verzwickten Rechtssachen für die Gemeinde. „Da konnte ich mich ebenso gut wählen lassen und es von Anfang an richtig machen, statt später erst den Mist für andere abzuräumen“, sagt sie. Doch der Kampf, den sie jetzt austrägt, könnte für sie allein eine Nummer zu groß sein.

Sie hat angefangen, gegen jene Firmen vorzugehen, die versuchen, die Stadt um die Steuern zu betrügen. „Mehrere Dutzend Strafverfahren und Zwangsvollstreckungen“ seien bereits eingeleitet. Etwa zehn Personen hat die Rathaus-Chefin derzeit „auf dem Schirm“, sagt sie. Doch hinter jeder Person stünden etliche Firmen, bis zu 20 Stück. „Die haben mehr Arme als eine Krake“, und die wüchsen ihnen nach, um im Bild zu bleiben.

Die Masche, sagt Schreiber, sei immer dieselbe. Sie berichtet vom enormen Tempo, mit dem Firmen aufmachen und wieder schließen, sich umbenennen. Auch die Geschäftsführer wechseln ständig. Doch in Zossen steht nur ein Briefkasten. Für die Firmen ist der Aufwand vor Ort also sehr gering, während die Stadt kaum hinterherkommt. Für die Beamten ist an der offiziellen Meldeadresse in Zossen sowieso nie jemand anzutreffen, oder die Firma ist längst verschwunden.

Unerreichbare Chefs, unzustellbare Briefe

Solche Tricks werden nicht nur in der Immobilienbranche eingesetzt. Wenn Verantwortliche nicht zu greifen sind, können Steuerbescheide oder Strafbefehle nicht zugestellt werden und die Verfahren laufen ins Leere. Und weil die ersten Steuerbescheide ohnehin erst weit nach Abschluss des ersten Geschäftsjahres erstellt werden, haben diese Art von Firmen erst einmal reichlich Zeit zu wirtschaften, ohne behelligt zu werden.

Schreiber ist wichtig zu betonen, dass sich beileibe nicht jede in Zossen gemeldete Firma solcher Tricks bedient, auch nicht jede auf den Briefkästen verzeichnete – wie „Zelos“ oder „Lebensgut“. Im Verhältnis zu den 5000 insgesamt in Zossen gemeldeten Unternehmen aller Branchen fielen die Fälle der Steuertrickser prozentual nicht ins Gewicht. „Dafür machen sie aber viel zu viel Arbeit und kosten viel zu viel Zeit“, sagt Schreiber.

Staatsanwaltschaften ermitteln

Und sie scheint nicht die Einzige zu sein, die mit den Firmen überfordert ist. Denn Zossen hat neben der geringen Gewerbesteuer einen weiteren Standortfaktor, der unseriöse Immobilienfirmen anzieht: Das örtliche Finanzamt mit dem ohnehin knapp bemessenen Personal kommt nur mit Mühe gegen die schwer durchschaubaren internationalen Firmenkonglomerate an, die sich in Zossen „niederlassen“. Eines dieser Verfahren hat nun schon die Staatsanwaltschaft Neuruppin übernommen. Auch die Staatsanwaltschaft Berlin sei involviert, heißt es im Rathaus.

Immerhin: Der harte Kurs in Zossen habe sich rumgesprochen. „Es gibt weniger Ansiedlungen, denen wird es ungemütlich“, sagt Schreiber. Als Erfolg wertet Schreiber das nicht: „Die ziehen weiter, in den nächsten Finanzamtsbezirk oder ein anderes Bundesland“, vermutet sie. Das verlagere das Problem nur, statt es zu lösen. Besser wäre es gewesen, gleich mit „Strafverfahren und Gewerbeuntersagungsverfahren“ zu reagieren – doch das habe Berlin versäumt.

Das goldene Klingelschild

200 Meter weiter steht ein verwitterter Altbau. Neben der Tür ist ein goldenes Klingelschild frisch angeschraubt. Zwischen den Namen ganz gewöhnlicher Mieter steht „Lebensgut“. Das ist nicht der Name eines Reformladens, sondern einer Immobilienfirma – und auch diese Spur führt nach Berlin.

In die Dieffenbachstraße 29. Deren Mieter hatten Anfang des Jahres in einem offenen Brief zur Erhaltung von „bezahlbarem Wohnraum und sozialem Zusammenhalt im Graefekiez“ aufgerufen. Und auch sie erzählen – ähnlich wie das Reichenberger-Straße-Kneipenkollektiv – vom bedrohten Leben einer Hausgemeinschaft, in der einer dem anderen hilft, beim Babysitten, Schrauben, Einkaufen oder was sonst so ansteht.

Die zwei Geschwindigkeiten

Das Leben in der Tiefe der Berliner Quartiere folgt eben einer anderen Logik und einer anderen Geschwindigkeit als die Gesetze des Marktes – jedenfalls dort, wo Geschäftsleute die Grenzen von Recht und Gerechtigkeit austesten und ihre Chance nun darin erkennen, über die Grenzen von Gemeinden oder Ländern hinweg dem Zugriff der Finanzbezirke zu entkommen.

Der Zossener Firmensitz Am Kietz 20 jedenfalls bietet ein ähnliches Bild wie direkt gegenüber vom Rathaus: An der Scheibe des Ladens im Erdgeschoss hängt ein dicht bedruckter A4-Bogen mit mehreren Dutzend Firmennamen.

„Sollte ich einmal nicht da sein, bin ich für meine Kunden unterwegs“, steht auf einem Zettel hinter der Scheibe. Wer der Verfasser ist, was seine Funktion ist, steht dort nicht.

Vor einigen Wochen ist Marcus Grätsch vom Kreuzberger Kneipenkollektiv mit einigen Aktivisten in den Zug gestiegen und zum angeblichen Firmensitz der Eigentümer gefahren. Das raue Berliner Klima, es könnte bald auch Zossen erreichen. Die Karawane der Steuertrickser, glaubt Bürgermeisterin Schreiber, wird dann längst weitergezogen sein.

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