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Ein Werbestand der Psycho-Sekte Scientology, die auch in Brandenburg wieder aktiv ist.

© Kai-Uwe Heinrich/TSP

Verfassungsschutzbericht für Brandenburg 2021: Wenn der Lehrer zum Sektierer wird

Rechtsextremismus bleibt die größte Gefahr in Brandenburg. Doch auch Reichsbürger, Verschwörungstheoretiker und nun wieder die Sekte Scientology bedrohen die Demokratie. 

Potsdam - Es ist eine gefährliche Mischung aus Extremisten, Verschwörungsideologien, Parteianhängern und Menschenfängern, die sich da in Brandenburg tummelt – und Coronakrise und Ukraine-Krieg für die Verbreitung ihrer demokratiefeindlichen Botschaften ausnutzt. Der Rechtsextremismus bleibt dabei die größte Gefahr, wie aus dem am Montag in Potsdam vorgestellten Verfassungsschutzbericht für 2021 hervorgeht. Demnach ist zwar die Anzahl der Rechtsextremisten im Vergleich zum Vorjahr um 30 Personen auf 2830 gesunken. Dennoch ist dies der zweithöchste Stand in der Geschichte des Landes. Und: Gleichzeitig steigt offenbar die Aggressivität in der Szene. Die Anzahl der von rechten Extremisten verübten Gewalttaten ist von 2020 zu 2021 um 39 auf 108 gestiegen. 

Extremisten tummeln sich in sozialen Netzwerken 

Wie berichtet ist erst Anfang Juni ein 17-jähriger rechtsextremistischer Gefährder aus Potsdam verhaftet worden, der einen Sprengstoffanschlag geplant haben soll. Ob der Jugendliche länger im Visier des Verfassungsschutzes war und ob er in der Szene gut vernetzt ist, wollte Brandenburgs Verfassungsschutzchef Jörg Müller am Montag mit Verweis auf die laufenden Ermittlungen nicht sagen. Der Fall sei aber ein Beispiel dafür, „wie gut Verfassungsschutz, Polizei und Staatsanwaltschaft zusammenarbeiten“, so Müller.  

Er zeigt auch, welche Rolle das Internet nicht nur, aber vor allem in der rechtsextremistischen Szene spielt. „Extremisten gehen mit der Zeit“, so Müller. Der Potsdamer produzierte sich bei Telegram – laut Müller ein „Verbreitungsmedium für Hass und Hetze“. Auch der bei Jugendlichen beliebte Videokanal TikTok werde zunehmend für Propaganda missbraucht. In einer Video-Ton-Montage eines Brandenburger Accounts waren orthodoxe Juden zu sehen, die zum Wehrmachtslied „Erika“ tanzen. „Das ist so perfide, dass es selbst erfahrenen Verfassungsschützern den Atem verschlägt“, so Müller.  

Auch AfD-Politiker bedienen sich dieser Kanäle. So postete ein AfD-Politiker aus Lauchhammer in sozialen Netzwerken unter den Ankündigungen von Impfbusterminen: „1933 gab es auch Fahrzeuge die für die Menschenvernichtung benutzt wurden.“

Stübgen spricht von einer weiteren Radikalisierung der AfD 

Insgesamt hat sich die Brandenburger AfD nach Einschätzung von Innenminister Michael Stübgen (CDU) seit ihrer Einstufung als rechtsextremistischer Verdachtsfall vor zwei Jahren weiter radikalisiert. „Besonderes Kennzeichen ist ihr ausgeprägtes völkisch-nationalistisches Lager“, sagte Stübgen am Montag. Demnach wird mit 790 Personen mehr als jedes zweite der rund 1400 AfD-Mitglieder in Brandenburg als rechtsextremistisch eingestuft. 

Hinzu kommen 60 Mitglieder der Jugendorganisation Junge Alternative. In der AfD-Landtagsfraktion werden laut Müller neben dem Fraktionsvorsitzenden Christoph Berndt als Chef des rechtsextremen Vereins „Zukunft Heimat“ auch Daniel Freiherr von Lützow und Lars Günther als Rechtsextreme eingestuft. Zur neuen AfD-Landeschefin Birgit Bessin wollte sich Müller noch nicht äußern.  

Sorgen bereitet den Behörden auch ein erheblicher Zuwachs an Reichsbürgern und Selbstverwaltern, was laut Stübgen auf die Proteste gegen die Corona-Maßnahmen zurückzuführen sei. Die Zahl der Reichsbürger wird mit 650 angegeben, das sind 80 Personen mehr als 2020. Rund zehn Prozent weisen dem Verfassungsschutz zufolge Überschneidungen zum Rechtsextremismus auf, etwa indem sie antisemitischen Denkmustern folgen. 

Innenminister Michael Stübgen (CDU, l.), Verfassungsschutzchef Jörg Müller. 
Innenminister Michael Stübgen (CDU, l.), Verfassungsschutzchef Jörg Müller. 

© Sören Stache/dpa

Das Compact-Magazin in Werder (Havel) wird genau beobachtet 

Hinzu komme laut Stübgen die sich „irgendwo zwischen Rechtsextremismus, verrückten Verschwörungserzählungen, wirren Umsturzfantasien, devoter Putin-Hörigkeit und üblem Antisemitismus einschwingende Compact-Magazin GmbH“. 

Das in Werder (Havel) ansässige Magazin mit seinem Chefredakteur Jürgen Elsässer hat nach eigenen Angaben eine monatliche Auflage von 40.000 Exemplaren und ist an nicht wenigen Kiosken in Brandenburg und auch Berlin zu finden. 

Scientology seit 20 Jahren erstmals wieder im Bericht 

Wiedererwacht in der Gruppe der Extremisten: die Scientology Organisation (SO). Erstmals seit rund 20 Jahren taucht die in den USA gegründete Sekte wieder im Jahresbericht auf. In Südbrandenburg verteilte die SO-Tarnorganisation „The Way to Happiness“ Flugblätter. Darin werde für eine vermeintliche Lebenshilfe für Menschen mit vermuteten Schwächen oder Problemen geworben. 

Das Hauptinteresse der Organisation, die laut Verfassungsschutz das demokratische Rechtssystem ablehnt, gelte dabei dem Geld, welches sie ihren Opfern abnehmen wolle, heißt es im Bericht. Scientology macht auch vor den Jüngsten nicht halt: In einer Brandenburger Schule unterrichtete eine Lehrkraft Unterstufenschüler nach der „Studiertechnik“ des Scientology-Gründers L. Ron Hubbard. Die Lehrkraft ist mittlerweile nicht mehr im Schuldienst.

Auch die Zahl der Islamisten steigt 

Verstärktes Augenmerk richtet der Verfassungsschutz auch auf den islamistischen Extremismus. Seit 2013 steigt das Personenpotenzial in Brandenburg an und lag Ende 2021 bei 210, zehn mehr als im Vorjahr. Auf 80 (plus zehn) ist die Anzahl islamistischer Extremisten gestiegen, die Bezüge zur „Islamistischen Nordkaukasischen Szene“ aufweisen. 

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Zahl gewaltorientierter Autonomer unverändert 

Der Linksextremismus sei sowohl im bundesweiten Vergleich als auch in Relation zum Rechtsextremismus deutlich weniger relevant, so Stübgen. Die Anzahl der Linksextremisten sank um zehn auf 630. Die Zahl gewaltorientierter Autonomer lag unverändert bei 240. 

„Härteste Gewaltstraftaten autonomer Linksextremisten gegen Staatsbedienstete, Politiker und selbstgewählte Gegner sind im Gegensatz zu anderen Bundesländern in Brandenburg glücklicherweise noch nicht zu beobachten“, so der Minister. Allerdings würden kritische Infrastruktur und Großunternehmen zunehmend zur Zielscheibe. Im Mai 2021 gab es einen Brandanschlag auf die Stromversorgung der Tesla-Baustelle in Grünheide. Eine „Vulkangruppe“, die auch in Berlin Brandanschläge verübte, bekannte sich dazu.

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