zum Hauptinhalt
Protest auf Schwedisch. Im Oktober 2009 schütteten Greenpeace-Aktivisten 18 Tonnen Braunkohle rund um den Eingang der Stockholmer Regierungskanzlei und hielten Schilder mit den Namen schwedischer Kohlekraftwerke in Deutschland in die Luft.

© Greenpeace

Vattenfall und die Braunkohle: „Mehr Kohlendioxid als ganz Schweden“

Der staatliche schwedische Energiekonzern Vattenfall gerät zunehmend auch im Heimatland unter Druck. Nach Jahren mit Milliardengewinnen verliert der Konzern seine Stellung als heilige Kuh – auch wegen der Braunkohlekraftwerke in der Lausitz

Plötzlich interessieren sich die Schweden für deutsche Kohlekraftwerke. Lange Zeit standen sie den Unternehmungen ihres staatlichen Energiekonzerns Vattenfall eher gleichgültig gegenüber.

Erst in der vergangenen Woche hatten auch schwedische Greenpeace-Aktivisten am Protest gegen den Kohlekraftwerksausbau Vattenfalls in der Lausitz teilgenommen. Sie hatten sich an Schienen festbetoniert, um den Betrieb zu stören. Der ausbleibende Kohle-Nachschub für die drei Kraftwerke Jänschwalde, Schwarze Pumpe und Boxberg sowie den Veredlungsbetrieb in Schwarze Pumpe hatte laut Vattenfall zu einer angespannten Situation geführt. „Es ist eine Schande für alle Schweden, dass unsere staatliche Vattenfall einige der schmutzigsten Kohlekraftwerke in Europa betreibt“, sagte Emma Pettersson von Greenpeace. „Schwedens Bevölkerung schaut in Umweltfragen leider nicht oft über den Tellerrand.“ In Schweden betreibe Vattenfall nur Wasser- und Atomkraftwerke. „Das Bewusstsein für die enorme Verschmutzung in Deutschland ist nach wie vor gering, aber es wächst“, sagt sie. Die bürgerliche Regierung und die Medien interessiere allerdings bislang nur, dass Vattenfall vom Goldesel „zu einem schrumpfenden Verlustunternehmen geworden ist“, so Petersson.

Die jüngsten Entwicklungen in Ostdeutschland wurden denn auch in der schwedischen Presse thematisiert. „Die deutschen Grünen flehen Vattenfall an, seine umstrittenen Braunkohlebetriebe in Ostdeutschland nicht zu verkaufen“, wird ein längerer Artikel ein wenig hämisch eingeleitet. Dann wird aber sachlich weitergeführt, dass Vattenfall Milliarden mit ihnen verdient hätte und deshalb als Teil des schwedischen Staates eine Verantwortung hätte, die Braunkohlewerke umweltfreundlich abzuwickeln, statt sie an noch skrupellosere Konzerne weiterzuverkaufen. Die Thematisierung des Themas an sich ist schon ein Teilerfolg für Greenpeace in Schweden.

In der Tat wurde Vattenfall in Schweden lange gar nicht thematisiert. Selbst als es in Deutschland zum Skandal um den Umgang mit Atomkraftpannen gekommen war und der Entzug der Betreiberlizenz drohte, wurde dies in schwedischen Medien erstaunlicherweise völlig ignoriert. Dies, obwohl es kurz zuvor auch in Vattenfall-Kernkraftwerken in Schweden mehreren Störfällen gab.

Vattenfall war eine heilige Kuh, solange sie ordentliche Gewinne abwarf. Gleiches galt für Konzernchef Lars Josefsson. Inzwischen ist mit dem Einbruch der Geschäfte auch das Unantastbarkeitsgebot zusammengebrochen. „Die Party um Vattenfalls große, europäische Einkaufstournee ist vorbei”, schrieb die konservative Tageszeitung „Svenska Dagbladet”. „Nun kommt der Kater.“ Der Konzern muss in den kommenden zwei Jahren 4,5 Milliarden Kronen (540 Millionen Euro) einsparen. Der Großteil der Einsparungen soll in Vattenfalls größtem Markt Deutschland stattfinden. Nirgendwo anders hat der durch jahrelange massive Expansion europaweit agierende staatliche Konzern einen größeren Umsatz.

In Schweden wird nun über Gründe für die verheerende Entwicklung gestritten. Bei der Suche nach Schuldigen gerät auch die bürgerliche Regierung zunehmend unter Druck. Denn mit ihrer Erlaubnis hatte der Konzern im Jahr 2009 das holländische Energieunternehmen Nuon für 97 Milliarden Kronen (11,5 Milliarden Euro/14,1 Milliarden Franken) gekauft. Das waren 30 Milliarden Kronen über Marktwert. Die „Nuon-Affäre“, bei der vor allem Berater und Topmanager gut verdienten, gilt dementsprechend als „das schlechteste Geschäft in Schwedens Geschichte“ und ist den meisten Schweden ein Begriff.

Der Konzern bestreitet, dass es einen Zusammenhang zwischen Affäre und Sparprogramm gebe. Schließlich seien auch die Konkurrenten wegen der Marktlage dabei, Sparprogramme durchzusetzen. Gewerkschaften und die sozialdemokratische Opposition sehen dagegen Zusammenhänge mit der Nuon-Affäre. Das Wort Korruption ist bislang nicht gefallen. Es schwingt aber mit. Schließlich war es das letzte große Geschäft des Ex-Managers Josefsson. Kurz nach dem Nuon-Aufkauf ging der in den Ruhestand und wurde ausgerechnet vom damaligen Nuon-Topmanager Löseth Östein abgelöst.

Schwedische Analysten gaben sich düster in ihren Zukunftsprognosen für Vattenfall. Unabhängig vom Nuon-Geschäft hätten deren Manager im Vergleich zur Konkurrenz viel zu spät auf die absehbare Marktentwicklung reagiert. Auch habe man mit dem Setzen auf Gas und Kohle den Umstieg auf subventionierte umweltfreundlichere Energieformen verpasst. Dies, obwohl die schwedische Regierung schon in einer Eigentümerdirektive vorgibt, dass der Konzern vor allem auf nachhaltige Energieversorgungsformen setzen soll.

Aus der Sicht von Greenpeace-Vertreterin Pettersson hat die Nuon-Affäre auch Vorteile. „Immerhin wurde damit der Blick auf Vattenfall kritischer“, sagt sie. „Dass Vattenfall in Deutschland mehr Kohlendioxid ausstößt als ganz Schweden, ist dagegen noch immer kaum bekannt.“ Immer wieder versuche Greenpeace Schweden auf das Thema aufmerksam zu machen. So schüttete die Umweltschutzorganisation bei einer Aktion 18 Tonnen Kohle rund um den Eingang der Stockholmer Regierungskanzlei aus und hielt Schilder mit den Namen schwedischer Kohlekraftwerke in Deutschland in die Luft. Langsam verschafft sie sich damit Gehör.

HINTERGRUND

Neuer Tagebau Welzow-Süd II

Nach der Rekordflut neuer Stellungnahmen zu den Vattenfall-Plänen für den neuen Braunkohletagebau Welzow-Süd soll es im Dezember einen zweiten Erörterungstermin geben. Gegner neuer Tagebau-Gebiete hatten bei dem am Dienstag voriger Woche beendeten zweiten Beteiligungsverfahren mehr als 120 000 Stellungnahmen abgegeben. Dagegen überreichten Befürworter des weiteren Kohleabbaus der Planungsbehörde gut 60 000 Unterschriften. Umstritten ist die Tagebau-Erweiterung in Brandenburg vor allem wegen der damit verbundenen Abbaggerung mehrerer Ortschaften und der Umsiedlung von rund 800 Anwohnern.

Wachsender Braunkohleabbau

Die Braunkohleproduktion im Lausitzer Revier boomt trotz kritischer Klimadebatte und Protesten. Der Energiekonzern Vattenfall Europe Mining AG holte 2012 aus seinen fünf Gruben zwischen Cottbus und Boxberg 62,4 Millionen Tonnen Rohkohle, das ist ein Drittel der Gesamtmenge in Deutschland und so viel wie zuletzt 1993. Zugleich erzeugten die Kraftwerke der Vattenfall Europe Generation AG mit 58 Milliarden Kilowattstunden so viel Strom wie seit 1990 nicht mehr.

Vattenfalls Strategie

Bei der deutschen Braunkohle-Sparte des schwedischen Energiekonzerns glaubt man unbeirrt an eine Zukunft für den klimaschädlichsten aller Energieträger. Der Lausitzer Vattenfall-Chef Hartmuth Zeiß sagt: „Durch den endgültigen Ausstieg aus der Kernenergie entfallen bis 2022 insgesamt etwa 40 Prozent der gesicherten Leistung, die ohne Wind und Sonne verfügbar ist. Deshalb kommt auf die Braunkohlewirtschaft eine größere Verantwortung für Netzstabilität und Versorgungssicherheit zu. Zurzeit haben Stein- und Braunkohle einen Anteil von 45 Prozent an der Stromerzeugung.“ Auch die Neuausrichtung Vattenfalls ändert laut Zeiß daran nichts: „In dem neuen Strukturkonzept haben die Lausitzer Tagebaue und Kraftwerke ihren festen Platz. Wir sind in der Region wirtschaftlich gut aufgestellt und technisch exzellent ausgerüstet“, sagt Zeiß. Wie berichtet laufen die Planverfahren für neue Tagebaue in Welzow und Nochten, um die Versorgung der Kraftwerke Schwarze Pumpe bis etwa 2040 und Boxberg bis etwa 2050 zu sichern. Ob mit Jänschwalde-Nord noch ein dritter neuer Tagebau und ein Neubau für das Kraftwerk Jänschwalde kommt? Zeiß sagt: „Der Braunkohlenplan für das Kohlefeld Jänschwalde-Nord befindet sich im Abstimmungsprozess. Bis 2020 müssen wir eine Entscheidung zu einem Ersatzneubau treffen. Dieser Neubau soll mit kohlendioxidarmer Technik ausgerüstet werden.“ Die noch ungeklärte Speicherung des vom Rauchgas abgetrennten Kohlendioxids nach dem CCS-Verfahren bleibe eine Herausforderung im europäischen Rahmen. (dpa/axf)

André Anwar

Zur Startseite