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Brandenburg: „Unser Platz ist in der Furche“

Wolfram Hülsemann baute Beratungsteams auf – nun geht er in den Ruhestand

Potsdam – Auf einem Flohmarkt in Luckau hat Wolfram Hülsemann diese alte Schallplatte entdeckt. Ein DDR-Produkt, frühe 1950er Jahre. Darauf zu hören ist fröhliches Trällern von den „Zwei kleinen Negerlein“. Wolfram Hülsemann kam nicht umhin, er musste zugreifen. „Solche Musik kommt aus unseren Häusern“, sagt der Theologe. Wie zum Beweis zeigt er dem Gast die Platte, denn rassistische und rechtsextreme Einstellungen waren in der DDR und sind immer noch in großen Teilen der Bevölkerung weit verbreitet.

Sein Leben lang hat ihn das Thema nicht losgelassen. 1998 riefen ihn Brandenburgs damaliger Ministerpräsident Manfred Stolpe und die frühere Ausländerbeauftragte Almuth Berger nach Potsdam. Der Theologe Hülsemann sollte die sechs mobilen Beratungsteams in der Mark aufbauen. Die Landesregierung sah sich im Zugzwang. Ungeheuer brutale Angriffe auf Ausländer und eine Umfrage hatten die Politik aufgeschreckt, rechtsextreme Vorstellungen seien weit verbreitet, hieß es damals. Weiter, als es die neuen Bundesländer bis dahin wahr haben wollten. „Man kann beklagen, dass Stolpe und die Landesregierung so lange gebraucht haben“, sagt Hülsemann. „Aber sie sind die ersten gewesen, die das Problem als solches benannt haben.“ Heraus kam das Handlungskonzept „Tolerantes Brandenburg“, ebenso die Idee für die Mobilen Beratungsteams. Beides fand wegen des Erfolgs bundesweit Nachahmer.

Anfangs sind Hülsemann und seine Mitarbeiter „in die Stiefel gestiegen“, und ins Land raus. „Ich habe immer gesagt, wir treiben uns nicht auf Tagungen rum. Unser Platz ist in der Furche, bei den Menschen.“ Die Furche ist bei den Teams zum Begriff geworden, bei Hülsemann sprechen sie von dem „Alten“, der sich oft viel zu viel vornimmt, Termine doppelt und dreifach belegt und zu Treffen noch mit dem Handy am Ohr zu spät kommt. „Ich wusste damals wenig von rechtsextremen Parteien. Aber das viele stabile rechtsextreme Einstellungen haben – das war mein Thema.“ Und das seit der Kindheit.

„Unter Adolf hätte es das nicht gegeben“ – diesen Satz hat Hülsemann als Jugendlicher oft gehört. Oder wie die Alten am Stammtisch über den Weltkrieg sinnierten. Und dann diese Geschichte aus Schmalkalden in Thüringen. Als Pfarrer suchte er in den späten 70er Jahren nach den Spuren der zerstörten Synagoge, fragt, was damals im Dritten Reich passiert war. Antworten gab es nicht.

Am 9. November 1978 ging er mit Jugendlichen durch die Kleinstadt zu dem Ort, wo früher die Synagoge stand, las Psalmen, jüdische Klagelieder – die Volkspolizisten sind völlig verunsichert. Hülsemann wollte eine Gedenktafel anbringen, an die Schmalkaldener Juden erinnern. Doch die Behörden haben das nicht erlaubt – in einem Land, wo Juden nur als Zahl vorkamen, als sechs Millionen Tote.

Rechtsextreme gab auch in der DDR, wenn auch nicht offiziell. Mit Jugendlichen, die jüdische Grabsteine mit Hakenkreuzen beschmierten, wurde Hülsemann als Stadtjugendpfarrer von Berlin in den 1980 Jahren konfrontiert. Totalitarismusforscher reihen ihn inzwischen in die Reihe der Bürgerrechtler ein. 1989 hat der Theologe nach der großen Demonstration am 7. Oktober in Ost-Berlin bei der Polizei erreicht, dass die Besucher der Gethsemanekirche das Gotteshaus wieder verlassen konnten. Auch in der Vorbereitungsgruppe für den „Runden Tisch“ war er dabei. Für Hülsemann selbst sind das alles keine Heldengeschichten, die Sachen, das Streiten für Demokratie und gegen rechte Gewalt sind ihm wichtiger als seine eigene Person.

Von 1995 bis 1998 wickelte Hülsemann als Superintendent den Kirchenkreis Königs Wusterhausen ab, bevor er die Mobilen Beratungsteams übernahm und später Geschäftsführer des Brandenburgischen Instituts für Gemeinwesenberatung demos wurde. 2006 bekam er den Stuttgarter Friedenspreis für sein Wirken. Gestern Abend würdigte Bildungsstaatssekretär Burkhard Jungkamp bei einem Fachgespräch zur Verabschiedung Hülsemanns, dieser habe sich um Brandenburg verdient gemacht.

Heute, zehn Jahre später, hört sich das einfacher an, als es tatsächlich war. Hülsemann und sein Team mussten in den Dörfern und Städten einige Überzeugungsarbeit leisten, Widerstände aufbrechen, den Menschen die Augen öffnen. Haltungen und Verhaltensmuster ändern sich nicht so schnell. „Da muss man behutsam vorgehen“, sagt Hülsemann. „Was auffiel war, dass alle gesagt haben, jetzt reg“ dich nicht darüber auf“, erzählt der Theologe. Besonders in ländlichen Region sei die Auseinandersetzung mit Rechtsextremismus schwierig, Belehrungen von Städtern kommen da nicht gut an. Auch demokratisches Streiten will geübt sein. Hier habe das Mobile Beratungsteam neue Wege gefunden.

Inzwischen ist Hülsemann richtig stolz. Das Problem des Rechtsextremismus werde vor Ort nicht mehr negiert, sondern offen angesprochen. Die demokratischen Strukturen seien deutlich stärker geworden. „Die Kommunalpolitiker haben zugelegt. Es wird kaum noch jemand sagen, wir haben kein Problem damit. Und sich holen sich Hilfe von außen.“ Und wenn das Problem erst einmal beim Namen genannt sei, verliere es auch an Wichtigkeit, werde entzaubert. „Wir haben heute eine völlig neue Situation. Die Feuerwehr, Vereine und Initiativen haben eine hohe Sensibilität für Gefahren“, so Hülsemann. Selbst in den Familien. Im Herbst 2007 startete er das Projekt „Elternwege – Beratungswege“.

Trotz oder gerade wegen der Lobeshymnen zu seinem Abschied warnt er vor Schönfärberei. Brutale Überfälle auf Ausländer könnten sich jederzeit wieder ereignen. Von paradiesischen Zuständen könne keine Rede sein. Besonders am politischen Klima müsse noch gearbeitet werden, Bürger stärker einbezogen werden. Daran zu arbeiten, sei die nächste Phase in der Arbeit der Mobilen Beratungsteams.

Nicht für Hülsemann, der macht sich als Supervisor und Coach selbstständig, berät kommunale Verwaltungen.

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