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Brandenburgs Gesundheitsministerin und Linke-Landeschefin Diana Golze.

© Ralf Hirschberger/dpa

Skandal um illegale Krebsmedikamente: Wie lange kann sich Brandenburgs Gesundheitsministerin noch halten?

Brandenburgs Gesundheitsministerin Golze verliert im Pharmaskandal den Bezug zur Realität - findet die CDU. Golze habe keine Achtung vor dem Amt, sagt die SPD.

Potsdam/Berlin - Im Pharmaskandal um womöglich unwirksame Krebsmedikamente ist das Ausmaß des Versagens der brandenburgischen Behörden größer als bislang bekannt. Dem von Diana Golze (Linke) geführten Gesundheitsministerium waren zwar seit spätestens Frühjahr 2017 Ermittlungen wegen illegaler Geschäfte bekannt; es ging um Chemotherapie-Präparate, die aus griechischen Kliniken gestohlen worden waren. Doch die Behörde setzte das im Juli 2017 erteilte Handelsverbot mit einer griechischen Apotheke nicht durch. Das Unternehmen Lunapharm mit Sitz im brandenburgischen Mahlow konnte deshalb bis vor kurzem weiter illegal handeln.

Wie das ARD-Magazin „Kontraste“ berichtet, geht aus den Akten der griechischen Ermittler hervor, dass Lunapharm das Verbot ignoriert und die Medikamente bis mindestens März 2018 weiter bei der Apotheke bestellt hat. Brandenburgs Gesundheitsamt vertraute ohne weitere Kontrolle auf die Einhaltung des Verbots.

Ein kriminelles Netzwerk hat über die griechische Apotheke und über Lunapharm seit 2013 die gestohlenen Medikamente vertrieben. Nach neuesten Erkenntnissen aus einem im Juli abgefangenen Transport hat Lunapharm Krebsmedikamente aus Griechenland auch über Litauen eingeführt. Zudem soll Lunapharm bis Juli Krebsmedikamente aus Italien vertrieben haben – obwohl auch das seit 2014 europaweit wegen massiver Diebstähle aus Krankenhäusern und Bezügen zur Mafia verboten ist.

Das finanzielle Ausmaß des Deals: Mehr als 20 Millionen Euro

In den Akten der griechischen Behörden zeigt sich auch das finanzielle Ausmaß des Skandals. Demnach soll die griechische Apotheke allein von 2013 bis 2016 Medikamente im Wert von mehr als 20 Millionen Euro an Lunapharm geliefert haben. Gesundheitsministerin Golze konnte bislang nur Angaben für die Jahr 2015 bis 2017 machen. In dieser Zeit hat Lunapharm 4651 gestohlene Arzneimittelpackungen von der Apotheke bezogen. Das entspricht einem geschätzten Wert von 11 bis 20 Millionen Euro.

Weil die Ermittlungen rund um Lunapharm nach Hessen ausgeweitet wurden, der Skandal sogar bis in die Schweiz reicht, geht es inzwischen um die Frage, ob das alles nicht früher hätte gestoppt werden können – wenn Golzes Ministerium entschieden eingeschritten wäre.

Der Skandal wurde Mitte Juli bekannt, seither kämpft Golze um ihr Amt. Regierungschef Dietmar Woidke (SPD) ist auf Distanz zu ihr gegangen: Ob sie Ministerin in der rot-roten Koalition bleibt, soll sich am Dienstag entscheiden. Dann legt die von ihr eingesetzte Task Force, die das Kontrollversagen untersucht, ihren Bericht vor. Und der wird, so ist schon jetzt zu hören, äußerst kritisch ausfallen.

Golze glaubt an die Unterstützung ihrer Partei

Bislang lehnt Golze einen Rücktritt ab. Sie sorgt damit nicht nur für Verwunderung, sondern inzwischen für blankes Entsetzen. Grund sind Aussagen der Ministerin gegenüber der FAZ. Golze sagte dem Blatt: „Ich will als Gesundheitsministerin im Amt bleiben.“ Das sei möglich, wenn ihr keine Fehler nachgewiesen würden, für die sie als Ministerin politisch verantwortlich sei. Auch ihr Amt als Landeschefin der Linken wolle sie behalten.

„Ich habe die Unterstützung meiner Partei. Es geht hier nicht um ein Spiel auf Zeit, sondern sie will, dass ich dieses Amt weiter ausfülle“, sagte Golze. Zugleich machte sie deutlich, worum es ihr geht. Ihre Arbeit sei ihr wichtig. „Und für das, was mir wichtig ist, kämpfe ich auch“, sagte Golze. Zu ihrem Vorgehen erklärte sie: „Ich bin Sozialpädagogin und setze auf einen kooperativen Führungsstil.“ Sie wolle nicht ohne belastbare Grundlage durchgreifen, wie es von ihr gefordert werde. „Das wäre nicht mehr ich.“ Dieser Zeitung sagte Golze, sie sehe nach wie vor ihre politische Verantwortung darin, den Skandal aufzuklären.

Die Linke sucht nach Ersatz für Golze - die SPD ist wütend

Ob die Partei hinter ihr steht, darf allerdings bezweifelt werden. Öffentlich geht keiner ihrer Genossen auf Abstand zu Golze, die als designierte Spitzenkandidatin die Linke in den Landtagswahlkampf 2019 führen sollte. Niemand werde sich herauswagen und laut sagen, dass es mit Golze nicht mehr gehe, sagte ein Linke-Landespolitiker dem Tagesspiegel. Hinter den Kulissen ist das Entsetzen aber groß, intern werden Lösungen besprochen – ohne Golze.

Beim Koalitionspartner SPD, deren Landeschef Woidke eine Kabinettsumbildung nicht ausgeschlossen hat, äußern sich dafür immer mehr Politiker öffentlich eindeutig. Britta Müller, Gesundheitsexpertin der SPD-Landtagsfraktion, sagte dem Tagesspiegel am Donnerstag zu Golzes: „Sie hat keine Achtung vor dem Amt und geht mit diesem nicht würdevoll um, im Gegenteil. Es geht nicht um Frau Golze, es geht um die Glaubwürdigkeit der Politik. Durch ihr Agieren nimmt diese jedoch gerade Schaden.“

Harald Sempf, Schatzmeister der Landes-SPD, schrieb seinen Genossen in diesen Tagen in einem Brief, Golze kämpfe ums politische Überleben. Und: „Die Linken in Brandenburg haben mit Frau Golze längst abgeschlossen. Mit einer derart beschädigten Vorsitzenden möchte dort niemand in den Wahlkampf im Herbst 2019 ziehen. Nur sagen möchte ihr das keiner. (…) Soll doch SPD-Ministerpräsident Woidke Frau Golze in die Wüste schicken.“

CDU-Chef Senftleben: Regierungschef Woidke zeigt Abneigung gegen Golze

Ingo Senftleben, Chef der Brandenburger CDU und der Landtagsfraktion, sagte dem Tagesspiegel am Donnerstag: „Ministerin Golze weigert sich beharrlich, die Realität anzuerkennen. Die Welt dreht sich nicht nur um sie selbst.“ Der Ministerposten sei ein Amt auf Zeit, dabei müssten Minister auch das Amt über ihre eigene Zeit hinaus schützen. Es könne nicht darum gehen, dass der Ministerin von der Task Force persönliche Fehler nachgewiesen werden müssen, „sondern um die politische Verantwortung für einen der größten Skandale in der Geschichte Brandenburgs und um den moralischen Anstand in der Politik“.

Auf Abstand: Brandenburgs Ministerpräsident Dietmar Woidke (SPD) und Gesundheitsministerin Diana Golze (Die Linke).
Auf Abstand: Brandenburgs Ministerpräsident Dietmar Woidke (SPD) und Gesundheitsministerin Diana Golze (Die Linke).

© Ralf Hirschberger/dpa

Wenn im eigenen Ressort etwas schief gelaufen sei, beim sensibelsten Thema überhaupt, nämlich der Gesundheit von Menschen in Brandenburg und deutschlandweit, „kann man als Ministerin nicht einfach sagen, man trägt keine direkte Verantwortung“, sagte Senftleben. Regierungschef Woidke müsse durchgreifen. „Er lässt nichts aus, um seine Abneigung gegen Frau Golze zu demonstrieren, ist aber nicht in der Lage, seinen Laden zu leiten und klare Entscheidungen zu treffen.“ Es fehle Führung.

Golze wartet auf die Task Force - Kolat handelt

Ganz anders agiert Berlins Gesundheitssenatorin Dilek Kolat (SPD). Während Golze nicht einmal Zahlen zu Patienten nennen kann, hat Kolat 220 Betroffene in beiden Ländern ausgemacht. Kenner der Vorgänge rechnen mit weiteren Betroffenen. Nun plant Kolat nach Tagesspiegel-Informationen für den Herbst ein Fachtreffen, um Lehren aus dem Lunapharm-Skandal zu ziehen. Apothekerverbände, das Landesamt für Gesundheit und Soziales und die Senatsverwaltung sollen teilnehmen.

Indes wurde bekannt, dass zwei Apothekerinnen der Charité für Lunapharm tätig waren. Diese auf wenige Stunden im Monat beschränkten Nebentätigkeiten waren 2014 von der Universitätsklinik genehmigt worden – gegen Lunapharm wurde damals noch nicht ermittelt. Eine der Apothekerinnen war stellvertretendes Mitglied der Berliner Ethik-Kommission, die etwa medizinische Versuche bewertet. Den Posten lässt die Frau seit Bekanntwerden des Skandals ruhen, für Lunapharm sind die beiden Charité-Angestellten nicht mehr tätig. Berlins Gesundheitssenatorin Dilek Kolat (SPD) sagte: „Die Nebentätigkeit bei Lunapharm verträgt sich nach meiner Überzeugung nicht mit der Mitgliedschaft. Es darf nicht einmal ein Schatten eines Zweifels auf die Kommission fallen.“

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