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Brandenburg: Risikofaktor Kohle

Ob ein Käufer Vattenfalls Lausitz-Sparte langfristig rettet, ist ungewiss. Die Pläne für den Tagebau Jänschwalde-Nord könnten schon 2016 begraben werden

Potsdam - Brandenburgs Wirtschaftsminister Albrecht Gerber (SPD) wird nicht müde, die Bedeutung der Braunkohle für die künftige Energieversorgung und als Brückentechnologie für die Energiewende zu betonen. Dabei ist es in der Regierung und in der Koalition längst bekannt, dass die Pläne für den neuen Tagebau Jänschwalde-Nord bald Geschichte sein könnten. Nach PNN-Recherchen wird in Koalitionskreisen inzwischen damit gerechnet, dass selbst bei einem Verkauf der Lausitzer Braunkohle-Sparte durch den schwedischen Energiekonzern an einen neuen Investor im kommenden Jahr das laufende Braunkohleplanverfahren für Jänschwalde-Nord gestoppt und fallengelassen wird.

Auch für den Tagebau Welzow-Süd II, für den die Landesregierung vor der Landtagswahl 2014 den Braunkohleplan beschlossen hat und wo ab 2027 Kohle abgebaut werden sollte, könnte die unsichere Lage schwere Folgen haben. Es ist nicht ausgeschlossen, dass der Käufer von Vattenfalls Kohlesparte die Tagebaupläne fallenlassen könnte, heißt es in der Koalition. Der Grund: Das Kohlegeschäft rechne sich auf Dauer nicht mehr, selbst für den potenziellen Käufer. Am Ende könnte der Kohleausstieg trotz aller Treueschwüre weitaus schneller vorangehen, als der Landesregierung lieb ist – mit tiefgreifenden Konsequenzen für das Lausitzer Revier. Allein mit dem Umbau auf Solar- und Windstrom könnte die Region mit dem vorzeitigen Kohleausstieg aber wirtschaftlich nicht aufgefangen werden, heißt es in Potsdam.

Deutlich wird dabei aber auch, dass der Landesregierung die Weigerung, einen seit Jahren von Experten und Wissenschaftlern geforderten „Plan B“ für einen Umbau der Lausitz über den ohnehin schon laufenden Strukturwandel zu erarbeiten, auf die Füße fallen könnte.

Zwar teilte das Wirtschaftsministerium auf Anfrage mit, ein möglicher Stopp des Planverfahren für Jänschwalde-Nord oder ein Szenario für ein Aus bei Welzow-Süd II sei kein Thema. Allerdings machte Minister Gerber beim 17. Brandenburger Energietag am Donnerstag in Cottbus auch deutlich, dass wegen Klagen, zu erwartender Gerichtverfahren und des bevorstehenden Verkaufs unklar ist, ob die Tagebaupläne etwa für Jänschwalde-Nord weiter vorangetrieben werden. Aber die Landesregierung werde ihre Energiepolitik weiterverfolgen und – wenn der neue Eigentümer es wolle – den Braunkohleplan so schnell wie möglich genehmigen.

Dass Gerber ein mögliches Aus für Jänschwalde-Nord nicht öffentlich macht, liegt auf der bisherigen Linie der Landesregierung. Auch von den im Herbst 2014 offiziell bekannt gewordenen, aber intern lange zuvor kommunizierten Verkaufsplänen Vattenfalls wollte Brandenburg lange nichts wissen.

Nun aber prescht zumindest der Koalitionspartner Die Linke vor – und zwar ausgerechnet Gerbers Amtsvorgänger und Linkefraktionschef Ralf Christoffers, einer, der sich mit dem Thema genau auskennt und gute Drähte hat. Nach einer Fraktionsklausur sagte er am Freitag in Cottbus, dass Braunkohleplanverfahren für Jänschwalde-Nord solle 2016, wenn der Verkauf der Lausitz-Sparte klar ist, überprüft und gegebenenfalls eingestellt werden. „Nach meiner Auffassung wird sich ergeben, dass Jänschwalde-Nord energiewirtschaftlich nicht mehr notwendig sein wird“, sagte er. Auch das ist ein Zeichen, wie sehr die Kohlepolitik von Rot-Rot, insbesondere der SPD, ins Wanken gerät: dass ausgerechnet Christoffers, der in seiner Partei jahrelang als Kohleverfechter angefeindet wurde, solche Sätze sagt.

Die Energieexpertin der Grünen im Landtag, Heide Schinowsky forderte dagegen sogar die Einstellung des Braunkohleplanverfahrens für Jänschwalde-Nord. Der Plan für einen neuen Tagebau, „um ein noch zu bauendes Kohlekraftwerk mit dem fossilen Energieträger zu befeuern, ist klimapolitisch fatal“. Es gebe dafür auch keine energiepolitische Notwendigkeit. Zumal im Zuge der vom Bund beschlossenen Drosselung der Kohlestromkapazitäten bis 2020 auch im Kraftwerk Jänschwalde zwei von sechs Blöcke abgeschaltet und als Kapazitätsreserve vorgehalten werden. „Schon damit war das ohnehin wacklige Kartenhaus an Argumenten, die von Rot-Rot für den Aufschluss neuer Tagebaue angeführt werden, endgültig in sich zusammengefallen“, sagte Schinowsky. Überdies entscheide nicht ein Energiekonzern über die Einstellung eines Planverfahrens, sondern die Landesregierung.

Bei dem 2009 von der Gemeinsamen Landesplanung Berlin-Brandenburg gestarteten Verfahren wird geprüft, ob es energiewirtschaftlich sinnvoll ist, dass der Tagebau erweitert wird. Das ist Grundlage für alle weiteren Entscheidungen. Auch Gerber weiß um die unsichere Lage in der Lausitz. Er rief Vattenfall am Donnerstag dazu auf, die Verhandlungen über einen Verkauf seiner Braunkohlesparte zügig abzuschließen. „Die Menschen und die Unternehmen in der Lausitz brauchen eine verlässliche Perspektive und Planungssicherheit“, sagte Gerber.

Wie ein Vattenfall-Sprecher den PNN sagte, wird das Bieterverfahren für den Verkauf der Braunkohle-Sparte „jetzt anlaufen“ und bis Jahresende dauern. Bis Mitte 2016 soll der Verkauf der Tagebaue und Kraftwerke erledigt sein. Schweden will seinen Staatskonzern konsequent auf Klimaschutz und grüne Energie trimmen, da passt der schmutzige und wegen des hohen Ausstoßes des klimaschädlichen Kohlendioxids (CO2) umstrittene Kohlestrom nicht mehr ins Portfolio.

Doch dass der Käufer die Lausitzer Sparte langfristig retten wird, daran gibt es selbst in der Landesregierung erhebliche Zweifel – zumal Vattenfall schon jetzt auf Rückzug setzt. Für den geplanten, von der Landesregierung Sachsen genehmigten Tagebau Nochten II hat Vattenfall bereits im Juni die laufenden Vorbereitungen für Umsiedlungen auf Eis gelegt. Als Grund waren damals die „unsicheren energiepolitischen Rahmenbedingungen für den Braunkohlenbergbau und die Stromerzeugung aus Braunkohle in Deutschland“ genannt worden. Auch für den geplanten Tagebau Welzow-Süd II wird weiterhin geprüft, ob die Umsiedlungsvorbereitungen gestoppt werden, wie ein Vattenfall-Sprecher am Mittwoch den PNN sagte.

Erst vor einer Woche hatten Umweltschützer und Anwohner Klage gegen die geplante Grube eingereicht. Die Gegner argumentieren unter anderem, dass der Bau neuer Kohlekraftwerke nicht mit dem Plan der Bundesregierung vereinbar sei, bis 2050 bundesweit zu 100 Prozent auf erneuerbare Energien umzusteigen.

Wegen des bevorstehenden Rückzugs Vattenfalls liegen bei der Kohletochter ohnehin die Nerven blank. Die auch im laufenden Betrieb nötigen Investitionen wurden zurückgefahren, Betriebsteile wurden ausgegliedert und verkauft. Zudem leidet die Lausitz jetzt schon unter den schlechter werdenden Bedingungen für des Geschäft mit dem klimaschädlichen Kohlestrom. Vattenfall fordert von Lausitzer Kommunen voraussichtlich die gesamten Gewerbesteuereinnahmen für 2014 zurück. Grund sind fallende Strompreise. Für 2015 werden die Steuerzahlungen wohl halbiert. Vattenfall betreibt in Brandenburg und Sachsen fünf Tagebaue und vier Braunkohle-Kraftwerke. Nach Angaben des Unternehmens ist auch in den nächsten Jahren wegen niedriger Strompreise mit „einer ungünstigen Ergebnisentwicklung“ zu rechnen.

Besonders betroffen von der unsicheren Lage sind nicht nur die rund 8000 Beschäftigten von Vattenfall in der Lausitz mit ihren Familien. Über Jahre erhielten die Städte und Gemeinden im Lausitzer Revier Millionenbeträge an Gewerbesteuern von Vattenfall. Auch aus der millionenschweren Kultur- und Sportförderung zieht sich der Konzern bereits zurück, betroffen ist schon das Cottbuser Filmfestival. Auch für den Fußball-Drittligisten Energie Cottbus ist fraglich, ob sich der Käufer der Kohlesparte so stark wie Vattenfall bisher finanziell engagiert.

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