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Rechtsextreme Gewalt, Übergriffe – oder wie hier die Schändung von Stolpersteinen, die an von den Nazis deportierte Juden erinnern, nehmen aktuell sogar zu.

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Rassistische Straftaten in Brandenburg: Die Sorge vor dem rechten Funken

Die Zahl rassistischer Straftaten ist in Brandenburg deutlich gestiegen. Bei den Behörden wächst die Sorge, dass die Stimmung in der Bevölkerung kippt.

Potsdam - Es geschah Anfang April 2014 in Cottbus: Erst rufen sie „Scheiß Ausländer, scheiß Kanake“, dann drängen die Rechtsextremen den türkischen Imbissbesitzer in sein Lokal, halten seine Arme fest, würgen ihn. Oder im März in Spremberg (Spree-Neiße): Ein Schüler wird beim Praktikum in einer Firma mit den Worten „Sieg Heil, ihr F.....“ begrüßt. Und: „Was denkst du, was sie zu Hitlers Zeiten mit dir gemacht hätten?“ Als er die Firma verlassen will, hält ihn der Geschäftsinhaber fest, den Mitarbeitern sagt er: „Der ist freigegeben, ihr könnt machen mit ihm, was ihr wollt.“ Sie drücken den Praktikanten zu Boden, halten seinen Kopf fest und reiben sein Gesicht mit Dreck ein. Am selben Tag an einer Schule in Wittenberge (Prignitz): Ein rechtsextremer Jugendlicher geht auf der Schultoilette auf einen afghanischen Mitschüler los. Das sind nur drei von insgesamt 73 rechtsextremen Gewalttaten, die die Polizei 2014 in Brandenburg erfasst hat. Was ist los in Brandenburg? Ein Überblick.

Was bedeutet der Anstieg rechtsextremer Gewalt?

Aus Sicht von Innenminister Karl-Heinz Schröter (SPD) sind der Anstieg der Flüchtlingszahlen und der Bau neuer Asylheime Grund für die Zunahme rechter Gewalt. 73 rechtsextreme Gewalttaten gab es im vergangenen Jahr – das ist der höchste Wert seit 2007. Allein 46 der Gewalttaten waren rassistisch motiviert und richteten sich gegen Ausländer. In den Sicherheitsbehörden ist die Sorge groß, dass die Stimmung in der Bevölkerung wegen der steigenden Zahl von Flüchtlingen kippt, die NPD mit ihrer Stimmungsmache, etwa mit ihrer „Nein zum Heim“-Kampagne bei Facebook, oder die Pegida-Ableger stärker bei den Brandenburgern Resonanz finden als bisher. Geschickt, ohne direkte ausländerfeindliche Äußerungen versuchen Neonazis bei Bürgerversammlungen die Stimmung anzuheizen. Es gibt jedenfalls einen Trend: Auch in den ersten Monaten des laufenden Jahres registrierte die Polizei eine steigende Zahl rechtsextremer Straftaten. Von allen 1281 rechtsextremen Straftaten, neben den Gewalttaten sind es überwiegend Propagandadelikte und anderes wie Sachbeschädigung, Beleidigung und Verstoß gegen das Versammlungsrecht, waren 280 fremdenfeindlich, 2013 waren es 191. Das ist ein  Anstieg um 74 Prozent.

Wo steht Brandenburg im Ländervergleich?

Brandenburg macht, so die Einschätzung der Behörden, zwar im Vergleich zu anderen Bundesländern keine Ausnahme beim Anstieg fremdenfeindlicher Gewalt, aber doch beim Umgang mit Flüchtlingen und bei Informationsveranstaltungen. „Das tolerante Brandenburg trägt Früchte. Die Situation ist hier signifikant anders als in Sachsen, wir gehen anders mit dem Thema um. Ich sehe uns besser aufgestellt“, sagte Schröter. Er setzt auf frühzeitige Information der Bürger und stellt sich auch selbst vor Ort den Ängsten. „Wir müssen die Menschen abholen. Am Ende gehen sie mit einem größeren Verständnis. Es hat sich gelohnt.“ Schröter sagt aber auch, mit besondere Aufmerksamkeit würden die Sicherheitsbehörden Fackelmärsche von Rechtsextremen, den hohen Anteil von Neonazis bei Pegida-Aufmärschen und radikale Störaktionen durch Neonazis bei Bürgerversammlungen zu geplanten Asylheimen beobachten. Ursula Nonnemacher, Grünen-Innenexpertin im Landtag, hält die Erklärung – mehr Flüchtlinge, mehr rechte Gewalt – für abwegig, dies sei schließlich wohl kaum ein unverrückbares Naturgesetz. Die neuen Zahlen bestätigten vielmehr das erschreckend hohe Maß an flüchtlingsfeindlicher Hetze und Gewalt, sagt sie. Vor allem „die rechtspopulistische Hetze und unverhohlene Fremdenfeindlichkeit von AfD, Pegida und ihren zahlreichen Nachahmern“ seien für ein Klima verantwortlich, „in dem die Hemmschwelle zur Gewaltanwendung gegen Flüchtlinge und Asylbewerber sinkt“.

Wie reagiert die Polizei in Brandenburg?

In den Sicherheitsbehörden des Landes verweist man darauf, dass es in Brandenburg bislang überwiegend bei Steinwürfen gegen Asylheime blieb. Insgesamt 14 Attacken wurden 2014 auf Flüchtingsunterkünfte registriert. In anderen Ländern dagegen gab es sogar schon Brandanschläge auf geplante oder bestehende Heim wie in den 1990er-Jahren. Brandenburg selbst wird seit Jahren eine Vorreiterrolle im Kampf gegen Rechts zugeschrieben. Neben der Stärkung der Zivilgesellschaft gilt die harte, repressive Linie der Polizei als Mittel des Erfolgs. Bei rechten Aufmärschen und Aktionen rückt die Polizei stets mit großem Aufgebot an. Immerhin kann die Polizei auf gute Aufklärungsquoten verweisen: Bei rechten Gewalttaten stieg sie von 89 auf 93 Prozent, bei allen rechten Taten von 50 auf 57 Prozent. CDU-Innenexperte Björn Lakenmacher wirft der Landesregierung dennoch Fahrlässigkeit vor, weil im Zuge der Polizeireform der Staatsschutz der Polizei von 242 Stellen im Jahr 2011 auf 139 Stellen geschrumpft ist, ein Abbau von mehr als 40 Prozent. Das müsse mit Blick auf die nun veröffentlichten Zahlen rückgängig gemacht werden.

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